„Sie war wie eine Oma für mich“, erinnert sich Ali Mir Yousef an eine Bewohnerin im Singener Emil-Sräga-Haus, in dem er seine Ausbildung zum Altenpfleger gemacht hat. Er sei gern zu ihr gegangen. Sie habe sich gefreut. Wenn er zu ihr gegangen ist, habe sie die Arme ausgebreitet. Oft habe sie gewartet, bis Pfleger Ali gekommen ist. „Ich habe sie in mein Herz geschlossen und sie geht da nie wieder raus“, fasst es Mir Yousef zusammen. Inzwischen sei die Bewohnerin verstorben, aber er werde immer an sie denken, versichert er.

Die Herzenstüre ist nicht die einzige Türe, zu der der 31-jährige Moslem im Laufe seines Lebens einen Schlüssel gefunden hat. Viel mehr Tore schienen verschlossen gewesen zu sein – doch er hat sie alle geöffnet. Die erste Türe war die Grenze seines Herkunftslandes. Ali Mir Yousef hat Syrien hinter sich gelassen. „Ich wollte nicht zur Waffe greifen. Ich wollte niemanden töten“, betont der Moslem. Also sei er von dort geflohen.

„Der Tag war der Anfang eines neuen Lebens“

Teils auf sich allein gestellt, teils mithilfe eines Schleppers. Teils zu Fuß, teils über das Meer. Er zählt die Länder auf, durch die er gereist ist. Den Tag seiner Ankunft in Deutschland weiß er sofort. Es ist der 5. Oktober 2015. Er habe dieses Datum wohl schon hundertmal seither nennen müssen, schätzt er. Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum er das Datum auswendig kennt: „Der Tag war der Anfang eines neuen Lebens“, betont er.

Der Syrer Ali Mir Yousef (31) kam im Jahr 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Inzwischen spricht er sehr gut deutsch, ist als ...
Der Syrer Ali Mir Yousef (31) kam im Jahr 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Inzwischen spricht er sehr gut deutsch, ist als Altenpfleger im Haus am Hohentwiel in der Singener Anton-Bruckner-Straße in Singen (hier im Bild) tätig. Er sagt: „Ich arbeite lieber am Menschen als mit dem Computer“. | Bild: Uli Zeller

Einen wichtigen weiteren Schlüssel nennt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER selbst. Das erste Jahr habe er dafür eingesetzt, Deutsch zu lernen. Und er spricht es gut, wie man hören kann. „Ich wollte hier nicht überall Arabisch reden. Die Sprache ist der Schlüssel für mein neues Leben“, erklärt er. Während des Deutschkurses habe er als Minijobber im Top 10 gearbeitet. „Ich habe Kisten aus dem Lager geschleppt“, erinnert er sich – und dabei habe er sein Deutsch verbessert.

Ausbildung am Emil-Sräga-Haus absolviert

Bis er in der Pflege gelandet ist, hat er einige andere Schlüssel ausprobiert. In seiner Heimat begann er ein Studium der Wirtschaft, das er aber nicht abschließen konnte. Dann habe er gemerkt, dass er lieber mit Menschen arbeitet. Hörgeräteakustiker und Zahntechniker waren zwei weitere Berufe, in die er dann hier in Deutschland hinein geschnuppert hat. Zu technisch, zu weit weg vom Menschen, nennt er als Grund, warum er sich dann nochmal umentschieden hat. „Ich arbeite lieber mit Menschen als am Computer“, so Mir Yousef.

Die Türe in die Altenpflege hat er eher zufällig entdeckt. Nach einem Praktikum im Klinikum hatte er Zeit zu überbrücken, bis dort die Ausbildung zum Krankenpfleger begonnen hätte. In dieser Zeit wollte er ein Praktikum im Pflegeheim machen. Das absolvierte er im Singener Emil-Sräga-Haus. Der damalige Heimleiter Dominik Eisermann habe an ihn geglaubt und ihm die Ausbildung zum Altenpfleger zugetraut.

„Ich bin einer der letzten Altenpfleger in Deutschland“, erklärt er. Damit meint er, dass er als einer der letzten die spezialisierte Ausbildung gemacht hat, die auf die Arbeit im Senioren-Bereich ausgerichtet ist. Denn inzwischen ist die Pflegeausbildung generalisiert. Das heißt, dass die verschiedenen Bereiche Altenpflege, Kinderkrankenpflege und Krankenpflege zusammen unterrichtet werden. Zu ihm passt die Spezialisierung auf den Senioren-Bereich, wie er findet. „Denn in der Altenpflege kann man über viel längere Zeit Beziehungen zu den Menschen aufbauen als im Krankenhaus“, sagt er.

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Aber es sind jetzt noch nicht alle Türen, die Ali Mir Yousef durchschritten hat. Er will nun noch die Weiterbildung zum Fachwirt für Organisation und Führung im Gesundheitswesen absolvieren. Seit einem Jahr ist er verheiratet. Seine Frau Dayana stammt ebenfalls aus Syrien. „Sie ist das Licht meines Lebens“, sagt Mir Yusef. Sein großer Bruder ist Oberarzt in Dresden, die beiden großen Schwestern leben im Irak und in Saudi-Arabien. Die Mutter lebt noch in Syrien. Der Vater ist verstorben, als Ali Mir Yousef zwei Jahre alt war.

Interkulturelle Kompetenz wird wichtiger in der Pflege

Heute arbeitet Mir Yousef im Haus am Hohentwiel in der Singener Anton-Bruckner-Straße. Die evangelische Einrichtung ist ein Mitglied des Diakonischen Werkes Baden. Der SÜDKURIER fragte dort nach, wie sich der Einsatz von Menschen mit Migrationshintergrund auf die alltägliche Pflege auswirkt. Heimleiterin Claudia Laucht äußert sich dazu wie folgt: „Bei der Einstellung ist für uns, die Diakonischen Diensten Singen, die fachliche Qualifikation und die menschliche Komponente ausschlaggebend.“

Passe die Person zu unserer Einrichtung und erkenne man neben der fachlichen Eignung auch ein überdurchschnittliches Maß an sozialer Kompetenz? Ab und an gibt es sprachliche Herausforderungen bei Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund. Erfahrungsgemäß klappt die Integration aber im Laufe der Zeit immer besser.

Speziell bei Ali Mir Yousef seien die Deutschkenntnisse mittlerweile sehr gut. „Auch unsere Bewohner, Kunden, Gäste und Mieter haben teilweise Migrationshintergrund und sprechen nicht so gut deutsch“, erklärt Laucht. Gerade hier sei es ein großer Vorteil, wenn Mitarbeitende sich in der gemeinsamen Muttersprache unterhalten können. Solche Chancen schaffen eine besonders vertrauensvolle Beziehung zwischen Pfleger und zu Pflegendem. Ängste und Unsicherheiten auf beiden Seiten können abgebaut werden.