Immer häufiger werden heutzutage falsche und irreführende Informationen als Nachrichten im Netz verbreitet. Mittlerweile hat sich dafür der englischsprachige Begriff Fake News eingebürgert – falsche Nachrichten. Dass solche falschen Nachrichten Einfluss auf das soziale Gefüge haben, hat eine Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen in Singen deutlich gemacht. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Stephanie Aeffner zeigte einige Beispiele solcher Falschnachrichten auf und erläuterte, warum sie nicht stimmen. Mit auf dem Podium waren auch Bernhard Grunewald vom Verein Integration in Singen (Insi) und Caritas-Vorstandsmitglied Oliver Kuppel.
Arbeit lohne sich trotz Bürgergeld
„Ich will zunächst einmal mit einigen Mythen aufräumen“, so Stephanie Aeffner, die seit 2021 für den Wahlkreis Pforzheim im Bundestag ist, zur Begrüßung des Publikums im Café Horizont in Singen. 1976 in Donaueschingen geboren, hat sie nach dem Abitur zunächst vier Jahre Medizin studiert. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie das Studium abbrechen und wechselte ins Fach der Sozialpädagogik. Aufgrund eines angeborenen Gen-Defekts, der ihre Muskeln schwächt, ist sie seit 1999 auf den Rollstuhl angewiesen. 2016 wurde sie von Ministerpräsident Winfried Kretschmann zur Landes-Behindertenbeauftragten berufen, seit 2021 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen und dort Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. In ihrer Fraktion ist sie zuständig für die Themen Sozialpolitik, Bekämpfung von Kinderarmut, Asyl und Flucht und Behindertenpolitik.
Warum die Behauptung, dass sich Arbeit nicht lohnt, weil das Bürgergeld zu hoch ist, falsch sei, erläuterte sie an einem Beispiel: Ein Vollzeit arbeitender Familienvater mit zwei Kindern verdiene inklusive aller Sozialleistungen deutlich mehr als jemand, der Bürgergeld bezieht.
Als Sozialpolitikerin weist sie die Behauptung, dass viele Menschen, die Bürgergeld beziehen, gar nicht arbeiten wollen, als falsch zurück. 2023 sind laut Bundesagentur für Arbeit (BA) nur 16.000 Menschen mit Bürgergeld sanktioniert worden, weil sie eine Arbeit oder Ausbildung abgelehnt haben. Das sei weniger als ein Prozent, so Aeffner.
Genauso korrekturbedürftig ist aus Aeffners Blickwinkel die Behauptung, dass die Regelsätze für das Bürgergeld zu hoch seien, denn die Kaufkraftverluste seit 2021 seien 2024 laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales nur zu 15 Prozent ausgeglichen worden.
Sanktionen seien nicht die Lösung
Völlig daneben seien auch Sprüche, dass man mit härteren Sanktionen gegenüber Totalverweigerern Geld sparen könne. Bei 20.000 Sanktionen und 563 Euro Bürgergeld würde man auf zwei Monate gerechnet – was die Höchstdauer der Sanktionen bedeutet – nur 22,5 Millionen Euro sparen. „Das entspricht gerade einmal 0,005 Prozent des Bundeshaushaltes“, kalkuliert die Sozialpolitikerin und blickt auf die Sozialausgaben in den Nachbarländern. Laut Aeffner seien sie zwischen 2002 und 2022 in Deutschland um 26 Prozent gestiegen, in den USA um 83 Prozent oder in Norwegen um 92 Prozent und in Polen sogar um 126 Prozent.

Pauschale Behauptungen, dass Geflüchtete nicht arbeiten würden und dauerhaft Sozialleistungen bekämen, würden auch nicht stimmen. Die Erwerbstätigenquote bei geflüchteten Männern liege laut Arbeitsagentur acht Jahre nach deren Flucht bei deutlich über 80 Prozent.
Geflüchtete sind bei Prozessen außen vor
Für Bernhard Grunewald vom Integrationsverein Insi darf in der Diskussion das Thema Teilhabe nicht zu kurz kommen. Die Beteiligung an politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Prozessen in der Gesellschaft sei einerseits eine Herausforderung, andererseits aber auch Grundlage einer stabilen und wirksamen Demokratie. „Genau dies ist bei den Zugewanderten und Geflüchteten total unterentwickelt“, so Grunewald.
Die Mitwirkung an Bürgerbeteiligungsprojekten, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Teilhabe am kulturellen Leben müssen besonders gefördert werden. Dabei sei dies eng verknüpft mit dem Auftrag zur Integration.
Eine Notlage würden Verbreiter von Fake News auch gern mal in Bezug auf die angeblich zu große Zuwanderung ausrufen. Aeffner sieht es anders: „Die Asylanträge sind im ersten Halbjahr 2024 um 20 Prozent gesunken“, sagt sie. Den höchsten Stand habe es in Deutschland nach der ersten großen Flüchtlingswelle im Jahr 2016 gegeben, als 745.545 Asylanträge gezählt wurden.
Sozialträger sorgen sich vor Sparmaßnahmen
„Wir machen uns schon Sorgen, dass es offensichtlich hoffähig geworden ist, mit solchen Fake News zu arbeiten“, bestätigt Caritas-Vertreter Oliver Kuppel. Im Caritasverband frage man sich, was man noch leisten könne – gerade auch vor dem Hintergrund fehlender Fachkräfte in Pflegeeinrichtungen. Dazu kämen die größer werdenden Finanzlücken in den öffentlichen Haushalten. Kuppel sprach da die freiwilligen Leistungen an, über die der Kreistag immer wieder diskutiert, um eventuell Geld zu sparen.
Dabei müsse Prävention ganz anders betrachtet werden, so Aeffner: „Jeder investierte Euro kommt um ein Vielfaches zurück.“ Wenn man zum Beispiel bei der Suchthilfe sparen würde, würde es langfristig betrachtet deutlich teurer, da betroffene Menschen schon früh von Suchtberatungsstellen aufgefangen werden könnten. Die Moderation lag in den Händen der Grünen-Bundestagskandidatin Rosa Buss.