Der Fall aus Singen machte in ganz Deutschland Schlagzeilen: „Falscher Unternehmer bestellt Kondome„. Für viele Menschen aus Singen und Umgebung war klar: Bei dem Unternehmen muss es sich um Vinergy handeln. Das bestätigt Geschäftsführer Jan Vinzenz Krause. Aus dem Großauftrag wurde für ihn erst eine Enttäuschung, dann eine lehrreiche Erfahrung: Nicht der Einkaufsdirektor eines französischen Konzerns hatte bestellt, sondern ein Betrüger. Das haben Krause und sein Team erkannt, kurz bevor die Ware das Lager verließ. Held der Geschichte ist Ange Massa: Der in Singen bekannte Franzose half mit seinen Sprachkenntnissen, den Betrugsversuch in letzter Minute zu enttarnen. „Die Ware stand schon verpackt beim Spediteur. Stutzig gemacht hat uns am Ende eine Lieferadresse“, erklärt Vertriebsleiter Gunther Kuster.

Mit Englisch kam der Vetriebsleiter irgendwann nicht mehr weiter: Ein Franzose muss her

Jan Vinzenz Krause hat wieder gut lachen, wenn er mit Gunther Kuster und Ange Massa mit Abstand in den Büroraumen an der Singener Bahnhofstraße sitzt. Schon nach wenigen Worten zeigt sich das in diesem Fall entscheidende Talent von Ange Massa: Der französische Akzent ist nicht zu überhören. Am 4. Januar zeigte ein französischer Großkonzern Interesse an Kondomen im Wert von 60.000 Euro. Die Kommunikation verlief auf Englisch, doch damit kam Vertriebsleiter irgendwann nicht mehr weiter.

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Nach mehreren irritierenden Momenten sagte Gunther Kuster seinem Chef: „Jan, ich brauche jetzt einen Franzosen.“ Er selbst spreche nämlich kein Französisch, wollte vor der Lieferung aber einige Fragen geklärt haben. Also fragte Jan Vinzenz Krause seinen Nachbarn Ange Massa. Der brauchte nur ein kurzes Telefonat in seiner Muttersprache Französisch, um klar zu machen: „Das kann so nicht sein. Ihr solltet die Ware auf keinen Fall rausrücken!“

Sechser im Lotto oder ist da was faul?

Vertriebsleiter Gunther Kuster war bei der Großbestellung, die anfangs wirkte wie „ein Sechser im Lotto“, von Anfang an skeptisch: Der Konzern fragte nach Kondomen, die sonst einzelne Kunden kaufen – „Profis sollten wissen, dass das keine Handelspreise sind“. Doch dabei habe es sich um ein Missverständnis handeln können, deshalb beriet er den vermeintlichen Kunden auch bei Details: Statt alle Größen zu gleichen Stückzahlen zu bestellen, sei es erfahrungsgemäß sinnvoller, die Randgrößen in geringerer Zahl zu kaufen. Der Kontakt dankte es, indem er seine Bestellung von 75.000 Kondomen auf 150.000 Stück erhöhte.

Mehrere Punkte machen den Vertriebsleiter skeptisch

Menge und Umstände waren nicht ungewöhnlich, erklärt Jan Vinzenz Krause: Sie hätten immer wieder Großbestellungen in solchen Dimensionen, auch ins Ausland. Doch das Bauchgefühl vom Vertriebsleiter blieb schlecht: Bestellte da tatsächlich der Einkaufsdirektor? Den Konzern gab es, den Einkaufsdirektor auch, erklärt Kuster. „Doch das ist der zweitwichtigste Mann in einem Konzern, der 1,8 Milliarden Euro Umsatz macht. So einer schreibt mich nicht an“, sagt Kuster.

Auch die zuletzt genannte Lieferadresse kam ihm komisch vor: Der vermeintliche Kunde habe die Ware zwar abholen wollen, aber dennoch eine Kontaktadresse in Frankreich genannt. Doch Straßenaufnahmen der Gegend zeigten eine verlassene Lagerhalle.

Ein Anruf bei dem Konzern bringt rasch Klarheit

„Das perfide ist: Mit so einer großen französischen Adresse schafft man ein Grundvertrauen“, sagt Gunther Kuster. Doch Ange Massa schaffte Klarheit. „Ich habe bei dem Konzern angerufen und mich durchgefragt, ich wollte mehr über diese Bestellung wissen. Doch dieser Anruf war ziemlich schnell beendet.“ Denn das Unternehmen habe nichts von der Bestellung gewusst, im Gegenteil: Sie sollten die Ware nicht abgeben, denn es gebe bereits mehrere ähnliche Fälle.

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Also erstattete Jan Vinzenz Krause eine Anzeige bei der Polizei und schickte die Korrespondenz mit dem vermeintlichen Einkaufsdirektor auch an die tatsächliche französische Firma weiter. Dass die Polizei den Fall veröffentlichen würde und damit ein bundesweites Medienecho auslöste, habe Jan Vinzenz Krause überrascht. „Meine Mitarbeiter und ich wurden in den folgenden Tagen immer wieder darauf angesprochen.“

Nicht der erste Versuch: Gesundheitskampagne in Nigeria gab es, den Ansprechpartner nicht

Es ist nicht der erste Betrugsversuch, den die Präservativ-Firma verhüten konnte: Vor drei Jahren seien sie schon einmal Opfer von sogenannten Pishing-Mails geworden, erinnert sich Jan Vinzenz Krause. Außerdem hätten sie Hacker-Attacken aus Osteuropa erlebt. Und erst im November habe jemand aus Nigeria angefragt und erklärt, dass das Gesundheitsministerium im Rahmen einer Kampagne Interesse an einer Zusammenarbeit habe. Zwei Millionen Euro hätten im Raum gestanden. „Das Ministerium und die Kampagne gibt es tatsächlich“, sagt Krause. Doch der Kontakt war falsch, wie eine Nachfrage bei der Außenhandelskammer zeigte.

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„Die lassen sich ganz schön was einfallen“, findet er angesichts verschiedenster Betrugsversuche. Sein Team habe nun eine Checkliste erstellt, um es Betrügern künftig noch schwerer zu machen: „Man sucht sich die Partner, mit denen man zusammen arbeitet, ja auch aus.“

Bald tatsächlich deutsche Kondome in französischen Regalen?

Krause sieht das Ganze dennoch positiv: Er möchte nicht nur seinem Helden Ange Massa danken, sondern sieht auch eine Chance. „Wir wollen die negative Erfahrung mit dem Betrugsversuch in etwas Positives wandeln: Vielleicht klappt es ja wirklich, dass dieser französische Konzern bald unsere Kondome vertreibt?“ Einen wirklichen Kontakt gibt es ja jetzt.

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Das sagt die Polizei: Manchmal hilft nur der persönliche Kontakt

Uwe Vincon leitet die Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz und erklärt auf SÜDKURIER-Anfrage, wie oft es zu solchen Fällen kommt, wie man sich am besten verhält und warum das Dilemma erst beginnt.

Seit wann beobachten Sie so ein Vorgehen und wie viele Fälle gibt bisher? Betrifft es manche Unternehmensbereiche mehr als andere?

Wir sprechen, Gott sei Dank, nur von Einzelfällen. Die letzten vergleichbare Fälle im Kreis waren eine Holzlieferung, eine Bestellung von Solarmodulen und eine Bestellung von Eisen/Stahl. Wir hatten 2019 insgesamt fünf Fälle, bei denen sich der Täter als angeblicher Beauftragter oder Inhaber ausgab. Im Jahr zuvor waren es auch fünf und zwar jeweils in allen vier Landkreisen, also Rottweil, Villingen-Schwenningen, Tuttlingen und Konstanz. 2016 waren es nur zwei Fälle. Die Zahlen von 2020 liegen noch nicht vor, werden aber vermutlich nicht groß abweichen.

Wie verhalten sich Unternehmer am besten, um Betrüger zu erkennen?

Es gibt natürlich Standardmaßnahmen wie eine Bonitäts- oder Schufa-Auskunft. Auch ein Vorschuss ist eine denkbare Variante. Ebenso sind andere Zahlungsabläufe denkbar oder auch eine Handelsregisterauskunft. Ein zusätzlicher Blick in das Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichtes oder in das Vollstreckungsportal im Internet bietet sich an. Besonders bei großen Auftragsvolumina ist es notwendig, dass der Kunde beispielsweise über Sicherheiten seine Zahlungsfähigkeit plausibel nachweisen kann. Eine weitere effektive Maßnahme ist auch der Eigentumsvorbehalt. Allerdings hilft das alles nichts, wenn wie im vorliegenden Fall die Firma existent und als zuverlässig bekannt ist. Gerade um nicht aufzufallen, schlüpfen Betrüger in diese Identität. Hier hilft nur der direkte persönliche Kontakt zum Kunden.

Wie ermittelt die Polizei in so einem Fall? Wie sieht die Zusammenarbeit mit französischen Kollegen aus?

Hier entsteht das eigentliche Dilemma. Es gibt zwar Rechtswege über die Justiz und gute polizeiliche Zusammenarbeit über das Landes- und Bundeskriminalamt besonders in die Nachbarländer, aber trotzdem wird es durch die globale Geschäftswelt sehr schwierig, an ausländische Betrüger heranzukommen. Oft geht es über Umwege auch nach Osteuropa, während die Täter irgendwo im „warmen Büro“ sitzen und die ganze Geschichte am anonymisierten PC übers Internet koordinieren.