Im Alltag bringt sie nicht viel. Da ist die Ehrenbürger-Würde nur eine Urkunde an der Wand, die von außerordentlichen Verdiensten um die Stadt erzählt. Es ist eine schöne Urkunde mit einem knallroten Siegel. Doch ein Ehrenbürger kann weder kostenlos Bus fahren, wie manche denken, noch kann er sich etwas davon kaufen. „Es ist ein Dank der Stadt für herausragendes, außerordentliches Engagement“, sagt Michael Hübner von den Zentralen Diensten der Stadt Singen. Er muss es wissen, denn er war mitverantwortlich, als die Stadt vor vier Jahren Wilhelm Waibel zum Ehrenbürger ernannte. Allzu oft kommt eine solche Verleihung nicht vor. Seit 1930 wurden elf Männer zu Ehrenbürgern der Stadt, zwei davon leben noch: neben dem Heimatforscher Waibel auch der einstige Alu-Chef Dietrich Boesken.

In Engen hingegen gab es zwar sogar eine Frau unter den Gewürdigten, doch seit 1976 bleibt die höchste Ehre aus: Es habe sich keine Gelegenheit ergeben, erklärt Bürgermeister Johannes Moser auf SÜDKURIER-Nachfrage. Was bedeutet und bringt es also, ein Ehrenbürger zu sein, und wie gehen Gemeinden damit um?

Regularien lassen viel Spielraum – auch für den Zeitgeist

Das Prozedere ist in Singen wie Engen gleich: Erst wird vorgeschlagen, dann recherchiert, dann geehrt. Der bürokratische Rahmen lässt viel Platz für eigene Auslegungen. Die Gemeindeordnung des Landes bestimmt in Paragraf 22: „Die Gemeinde kann Personen, die sich besonders verdient gemacht haben, das Ehrenbürgerrecht verleihen. Konkrete Kriterien oder Vorgaben zur genaueren Gestaltung gibt es aber nicht. „Es ist auch abhängig von der Mode einer Zeit, da gibt es keine feste Regel.“

Zeitgeist zeige sich auch anderer Stelle: Unter den elf Ehrenbürgern Singens ist keine Frau. „Ich bin überzeugt, dass man das künftig anders sieht“, sagt Hübner. Würdig müsse es sein, das betont Hübner immer wieder – eine würdige Zeremonie als Zeichen der Dankbarkeit und Anerkennung der Lebensleistung, eine würdige Urkunde als Erinnerung.

30 Jahre Pause – und dann zwei Ehrungen in 13 Jahren

Warum es zwischen 1975 und 2003 keinen Ehrenbürger in Singen gab, kann Hübner nicht sagen. Vielleicht habe es politisch andere Strukturen, andere Prioritäten und Themen gegeben, vermutet er. „Wir sind ja nicht verpflichtet, das zu tun“, erklärt er allgemein. „Es soll auch ein Einzelfall sein und nicht Alltag. Wir machen sparsam Gebrauch von unserer höchsten Würdigung.“ Dietrich Boesken wurde 2003 geehrt, laut Hübner sprachen dafür mehrere Umstände: Boesken sei in der jüngeren Singener Stadtgeschichte sehr präsent gewesen und habe in der gesamten Bürgerschaft gewirkt, außerdem sei seine rein berufliche Tätigkeit schon einige Jahre her gewesen.

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„Ein Ehrenbürger trägt unglaublich viel zur örtlichen Gemeinschaft bei“, benennt Hübner ein Kriterium für die höchste Würdigung. Weitere Kriterien sind: Langanhaltend, über das Normale hinaus und mit viel eigenem Engagement, außerdem mit einer besonderen Wirkung muss der Einsatz eines Ehrenbürgers sein. Eine solche Entscheidung müsse reifen und brauche ganz großen oder vollständigen Konsens unter denjenigen, die abstimmen: also Oberbürgermeister und Gemeinderat.

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Nach dem Chefarzt war in Engen niemand mehr außergewöhnlich vorbildlich aktiv

In Engen hingegen gab es seit Jahrzehnten keine Entscheidung, die reifen musste, schildert Bürgermeister Johannes Moser: „Es hat sich nach Ansicht des Gemeinderates keine Gelegenheit ergeben, diese höchste städtische Ehrung an eine Persönlichkeit zu verleihen.“ Der bislang letzte Ehrenbürger Hans Ludwig wurde 1976 ernannt. Steffen habe sich über 30 Jahre als Chefarzt im Krankenhaus engagiert. „Hier hat der Gemeinderat den Tatbestand ‚in außergewöhnlich vorbildlicher Weise‘ als erfüllt angesehen“, sagt Moser.

Bürgermeister und Mitglieder des Gemeinderates können Menschen für eine Ehrung vorschlagen. „Mit der Ehrung sind keine besonderen Rechte, aber auch keine weitergehenden Pflichten verbunden.“ Häufiger als eine Ehrenbürgerwürde sind andere Formen wie ein Ehrenring oder eine Bürgerehrung.

Die Zahl der Vorschläge ist sehr übersichtlich. Doch es gibt noch andere Ehrungen

Ein potenzieller Ehrenbürger weiß im Idealfall nicht, dass über seine Ehrung gesprochen wird, sagt Michael Hübner für die Stadt Singen. Es soll kein Erwartungsdruck entstehen – und auch keine Enttäuschung, wenn eine Ehrung dann doch keine klare Mehrheit findet und daher verworfen wird. Die Zahl der Vorschläge sei aber ohnehin „sehr, sehr übersichtlich“, sagt Hübner. Zwei bis drei Impulse gebe es pro Jahr, diese können direkt ans Rathaus, den Oberbürgermeister oder auch einen Stadtrat herangetragen werden. Kommunen hätten außer der Ehrenbürgerwürde aber auch andere Möglichkeiten, ihre Bürger zu ehren: In Singen gibt es beispielsweise Ehrenringe und Ehrenmedaille. „Auch damit wollen wir Dank ausdrücken.“ Und auch damit darf man nicht kostenlos Bus fahren.

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Singener Ehrenbürger erzählt: „Es war für mich eine unerwartete Bestätigung“

Wilhelm Waibel (86) wurde 2016 zum Ehrenbürger der Stadt Singen ernannt. Begründet wurde das mit seinem Engagement zur Aufarbeitung der Situation der Zwangsarbeiter in Singener Großbetrieben während des Zweiten Weltkriegs. Im Gespräch schildert Waibel, was so eine Ehrung bedeutet.

  • Der Ablauf: Wilhelm Waibel war seit den 90er-Jahren schon Ehrenbürger in den ukrainischen Orten Kobeljaki und Muchyna Greblja, wo er sich um Zwangsarbeiter verdient gemacht hat. Im Jahr 2015 habe Oberbürgermeister Bernd Häusler ihm dann erklärt, dass der Gemeinderat seiner Heimatstadt Singen ihn einstimmig zum Ehrenbürger gewählt habe. Das habe er im ersten Moment gar nicht glauben können: „Früher wurden Normalbürger keine Ehrenbürger.“ Seine Vorgänger hätten sich häufig in der Industrie verdient gemacht. Er hingegen sei nur ein „Graswurzel-Historiker“ aus der Südstadt, ohne Abitur und Studium. Außerdem habe er sich damals gegen die Ansiedlung eines Einkaufszentrums im Bruderhof stark gemacht und dabei sogar mit einem Verein gegen die Stadt geklagt – daher habe er nicht mit der höchsten Ehrung gerechnet.
  • Die Ehrung: Waibel erinnert sich an eine eindrucksvolle Rede des Oberbürgermeisters, auch an seinen eigenen Worten habe er lange gefeilt. Der OB lobt Waibel dann auch auf der Urkunde in den höchsten Tönen. Er wird als Chronist „der dunkelsten Zeiten unserer Stadt“ bezeichnet, von gelebter Völkerverständigung ist die Rede.
  • Die Vorteile: Mit der persönlichen Ehrung hätten auch seine beiden Schwerpunkt-Themen eine Aufwertung erfahren, Zwangsarbeit in Singen und die Theresienkapelle. Einige Menschen hätten erkannt, dass es sich bei seinem Engagement nicht um die dumme Idee eines Einzelnen handle, sondern dass mehr dahinter steckt: Ein Teil der Singener Stadtgeschichte. Er selbst könne weder kostenlos Busfahren noch kostenlos in der Garage des Singener Rathauses parken, wie manche denken würden. Einziger Vorteil sei, dass später sein Grab über eine längere Zeit erhalten bleibe. Doch Waibel betont: „Ich hätte alle meine Anstrengungen auch erbracht, wenn sie ohne Gegenleistung seitens der Stadt geblieben wären.“ Dass er nun zu städtischen Veranstaltungen eingeladen wird, hätte er sich schon eher gewünscht: Vor 30 Jahren, als er noch als Einzelkämpfer mitten in seinen Recherchen steckte und teils wenig Echo erfahren habe, wäre diese Bestätigung von Vorteil gewesen. „Damals war ich ja der Exot und stand vor einigen Hürden. Heute kennt man mich.“
  • Der Vorgänger: Wie in hunderten anderen Orten in Deutschland hatte auch Singen und Engen einen heute unrühmlichen Ehrenbürger: Adolf Hitler. Das ist auch Wilhelm Waibel bewusst, der das bereits bei seiner Dankesrede 2016 erwähnte. Hitler wurde 1933 zum Ehrenbürger ernannt, 1945 wurde das aber wieder aberkannt. Theoretisch sei es nicht nötig gewesen, Hitler die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, erklärt Hübner, denn diese erlischt mit dem Tod. Praktisch habe sich das damalige Bürgergremium aber von Hitler und der NS-Diktatur distanzieren wollen.