Eine seltene Insel soll weichen. So beschreibt Michael Funke, was ihm Bauschmerzen macht. Denn der Jugendtreff Teestube, für den er sich einsetzt, soll umziehen. Die Stadt hat den Mietvertrag des bisherigen Standorts an der Hauptstraße im September gekündigt, ab Ende März soll es nur noch eine monatliche Duldung geben. Ein neuer Standort ist zwar angedacht, wird vom Trägerverein aber mitunter kritisch gesehen. Mario Renner geht in der Teestube ein und aus und hat für Samstag, 23. Oktober, eine Demonstration durch Singen angemeldet. Damit soll auch die Standortsuche in die Öffentlichkeit getragen werden.

Das bunt angesprühte Haus kennen viele, dahinter bieten sich Jugendlichen viele Möglichkeiten zur freien Entfaltung.
Das bunt angesprühte Haus kennen viele, dahinter bieten sich Jugendlichen viele Möglichkeiten zur freien Entfaltung. | Bild: Arndt, Isabelle

„Die meisten Leute haben das bunt angesprühte Haus schon gesehen, aber wissen nicht, welche Möglichkeiten wir bieten“, sagt Lara Fichtner, die wie Funke im Vorstandsteam des Trägervereins ist. Wer die Tür des alten, heruntergekommen wirkenden Hauses öffnet, tapst erst durch den Konzert- und Thekenbereich, bevor er in den Innenhof gelangt. Auf dem 900 Quadratmeter großen Gelände ist Platz für eine Werkstatt, eine überdachte Skaterampe, Foodsharing, Umsonstladen und eine vierköpfige WG. Ein Ort für Freiräume.

Ein Fertighaus mit einem Drittel der Fläche?

Genau solch einen Freiraum vermissen die Verantwortlichen bei ihrem möglichen neuen Standort an der Bahnhofstraße. „Das wäre ein Drittel der Fläche, die wir bisher haben“, sagt Mario Renner. Ein Außenbereich würde fehlen, eine eigene Zufahrt auch. Und vor allem könne man diese Fläche nicht gestalten. Michael Funke vergleicht es mit einem Fertighaus. Dabei ist das Mitgestalten einer der Bausteine, der die Teestube so besonders mache.

Bis zur Demo am Samstag sollen noch Transparente beschrieben werden.
Bis zur Demo am Samstag sollen noch Transparente beschrieben werden. | Bild: Arndt, Isabelle

Dass die Teestube umziehen soll, ist schon seit Jahren klar. Seit 2016 ist die Stadt im Gespräch mit dem Verein. Im September kam nun die Kündigung – und die Unsicherheit. Oberbürgermeister Bernd Häusler erklärt auf Anfrage, dass die Kündigung im Hinblick auf einen konkreten Ersatzstandort ausgesprochen wurde.

Umzug im Herbst 2022 ist sportlich, aber machbar, findet der OB

„Geplant ist ein Umzug direkt aus der Hauptstraße in das neue Objekt. Das ist sportlich, aber machbar. Voraussetzung ist, dass der Gemeinderat dem Neubau noch zustimmt und die Teestube den neuen Standort sowie das geplante Objekt ebenfalls akzeptiert.“ Aktuell würden die Pläne nachjustiert, die Teestube sei aktiv an diesem Prozess beteiligt. Der Umzug sei dann für Herbst 2022 vorgesehen.

Ab 2023 soll das Areal neu bebaut werden

Der Grund für den Umzug ist eine komplette Neuordnung des Quartiers zwischen Bahnhof-, Scheffel-, Hegau- und Hauptstraße. Damit dort Wohnen in der Stadt möglich ist, sollen bestehende Gebäude abgebrochen werden. Insgesamt seien etwa 35 Wohneinheiten und zwei Gewerbeeinheiten betroffen. „Die Verhandlungen mit Investoren sind kurz vor dem Abschluss. Anfang 2023 wird voraussichtlich mit dem Bau eines ersten Bauabschnitts begonnen“, erklärt OB Häusler.

Die Gruppe beim Pressegespräch.
Die Gruppe beim Pressegespräch. | Bild: Arndt, Isabelle

Ob sich die Teestube mit der Fläche an der Bahnhofstraße arrangieren kann, steht aber noch nicht fest. „Wir hätten lieber ein altes Haus mit Charakter und Geschichte“, sagt Mario Renner in Erinnerung an die gemeinsamen Arbeiten, welche die Teestube über die Jahre geformt haben. Einige Flächen habe der Verein als neuen Standort vorgeschlagen, doch diese waren schon verplant und nicht verfügbar.

Dabei haben die Betroffenen ihre Wunschliste schon gekürzt und die Prioritäten angepasst: Hauptsache man könne innerhalb von 20 Minuten den Zug erreichen, erklärt Lara Fichtner. Und Mitgestalten.

Im Innenhof der Teestube gibt es viel Platz für Freiräume. Neben einer Werkstatt gibt es auch eine überdachte Skaterampe.
Im Innenhof der Teestube gibt es viel Platz für Freiräume. Neben einer Werkstatt gibt es auch eine überdachte Skaterampe. | Bild: Arndt, Isabelle

Singen ohne Teestube wollen sie alle sich nicht vorstellen. Den Jugendtreff gibt es seit 37 Jahren, seit 13 Jahren ist er an der Hauptstraße. „Hier kommen Leute auch her zum Wohnen, Kochen und Werkeln“, sagt Mario Renner. Vergleichbare Angebote gebe es kaum: In Konstanz vereinzelt, in Freiburg und Tübingen vielleicht. Die Kombination mache die Teestube aber im großen Umfeld einzigartig, ist er überzeugt.

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Einzigartig sei auch die überdachte Skaterampe in einem alten Schuppen, die in Eigenregie gebaut wurde. 318 Menschen haben bislang eine Petition dafür unterschrieben, etwas Ähnliches auch am neuen Standort einzurichten.

„Teestube hat einen hohen Stellenwert“

Auch der Stadt ist die Teestube wichtig, wie OB Häusler betont: „Die Teestube hat einen hohen Stellenwert, da die Kommunale Jugendarbeit die Bedarfe der Teestube nicht abdecken kann.“ Häusler sieht mehrere Vorteile: Beteiligte würden lernen, Verantwortung zu übernehmen und autonom zu denken. Außerdem werde ein demokratisches Grundverständnis gefördert und praktiziert. „Solche Konzepte zielen darauf ab, dass Jugendliche eine Konsummentalität ablegen müssen, da in den Zentren nichts geboten wird, was die Benutzer nicht selbst initiiert haben. Der Gewinn ist ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit für die Jugendlichen.“

30 Menschen würden sich aktiv einbringen, sagt Lara Fichtner. Der Trägerverein habe 125 Mitglieder. Willkommen sei aber jeder, wie alle betonen, außer Nazis. Die Gruppe will sich nicht in eine politische Schublade stecken lassen. Deshalb seien zur Demo Gemeinderäte und OB eingeladen, aber keine Parteien.

Ein Beispiel für Gentrifizierung? Nein, sagt der OB

Die Gruppe spricht sich aber auch klar gegen Gentrifizierung aus, worunter man meist die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohlhabendere Haushalte in innerstädtischen Quartieren versteht. „Die Innenstädte sehen alle gleich aus und sollen dazu da sein, dass die Leute möglichst viel Geld ausgeben“, kritisiert Renner. OB Häusler widerspricht, denn beim Scheffelareal würden keine gesunden Strukturen verdrängt.

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Das Quartier sei mit abgebrochenem Conti-Hochhaus, der aufgegebenen Gärtnerei sowie Garagen und Lagerflächen seit Jahren nicht stimmig. „Vor dem Hintergrund der Zielsetzung ‚Wohnen in der Innenstadt‘ kann also hier nicht von einer Verdrängung gesprochen werden, da das Quartier zu einem großen Teil bis jetzt gar nicht von der Nutzung Wohnen geprägt war.“

Der Oberbürgermeister hat eine positive Zukunft der Teestube vor Augen: „Die künftige Teestube wird so aussehen, dass der Charakter und der Charme des bestehenden Standorts berücksichtigt wird.“ Der neue Standort sei eine Aufwertung.

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