Es kommt doch noch etwas Pfeffer in den Singener OB-Wahlkampf – bei einer Auseinandersetzung zwischen der Grünen-Gemeinderätin Isabelle Büren-Brauch und Oberbürgermeister Bernd Häusler. Gibt es in Singen genügend geförderten Wohnraum, im Volksmund auch Sozialwohnungen genannt? Und unter welchen Bedingungen leben in der Stadt Menschen, die man als sozial schwach bezeichnet? Diese beiden Fragen warf Büren-Brauch auf.
Dabei bezog sie sich auf Aussagen von Häusler beim OB-Wahl-Podium des SÜDKURIER. Er hatte die Wohnungsbaupolitik der Stadt verteidigt, mit Blick auf leistbare Mieten, aber auch auf geförderten Wohnraum. Dass es genügend geförderten Wohnraum in Singen gebe, „das sehe ich nicht so“, hielt Büren-Brauch in der Sitzung dagegen. Beim Bauprojekt Ziegeleiweiher (siehe Text unten) habe man die Chance nicht genutzt, geförderten Wohnraum zu schaffen.
Den von Häusler angeführten Sickereffekt beurteilt sie skeptisch: Wenn eine Wohnung leer werde, würden viele Vermieter sanieren und die Miete erhöhen. Günstige Mieten könnten so nicht durchsickern. 50 eigene Wohnungen im Bestand der Stadt seien zu wenig. Und es gebe Probleme mit Vermietern, die hohe Mieteinnahmen erzielten, weil sie viele Menschen in kleinen Wohnungen unterbringen würden. Von einzelnen Gemeinderäten erhielt Büren-Brauch spontanen Applaus. Auch Regina Brütsch (SPD) hinterfragte den Sickereffekt und plädierte dafür, dass die Stadt ihren Einfluss nutze, wo sie eigene Grundstücke habe.
Es ist geförderter Wohnraum entstanden, beispielsweise von Genossenschaften
Häusler verteidigte im Gremium seinen Standpunkt. Er zählt Projekte auf, bei denen geförderter Wohnraum entstanden sei, beispielsweise von Genossenschaften. Gegenüber einem Investor sei es nicht fair, mit Absolutheitsanspruch 30 Prozent geförderten Wohnraum einzufordern. Denn mitunter würde ein Investor dann überhaupt nicht mehr bauen wollen. Und er blickte zurück auf die Zeit vor seinem Amtsantritt 2013: „Ich glaube schon, dass die Stadt viel gemacht hat.“ Häusler wiederholte seine Aussage vom SÜDKURIER-Podium, wonach es nun 800 Wohnungen mehr in Singen gebe, die Stadt seit 2016 aber nicht mehr Einwohner bekommen habe. Es müsse also eine Umverteilung, einen Sickereffekt, geben.
Bei einem Telefonat nach der Sitzung legt Büren-Brauch nach, was mutmaßliche Überbelegung von Wohnungen angeht: „Das ist tatsächlich Mietwucher.“ Das Rezept dafür schildert Büren-Brauch, die als Anwältin arbeitet, so: Die Leute zahlen zwar niedrige Mieten, müssen dafür aber auch auf engstem Raum zusammenleben. Doch dagegen vorgehen könne man nur auf zivilrechtlichem Weg. Das heißt, ein Mieter müsse den Zustand anzeigen. Und das mache niemand, aus Angst, die Wohnung zu verlieren.

Schaut man sich bei Häusern um, denen Überbelegung nachgesagt wird, sieht man in der Tat mitunter viele Namen an vergleichsweise wenigen Briefkästen. Doch das kann täuschen. An einer dieser Wohnungen heißt es, dort lebe eine ganz normale Wohngemeinschaft. An einer anderen Stelle ist hingegen die Rede von sechs Personen in zwei Zimmern, vermietet für eine stolze Summe.
Überbelegung von Wohnungen ist ein schwieriges Thema
An das Thema ist schwer heranzukommen. Denn nur selten wird etwas öffentlich über Gebäude, die einen einschlägigen Ruf in der Stadt haben. Einer dieser seltenen Fälle ist das Bullenkloster in der Singener Südstadt. Das gründerzeitliche und denkmalgeschützte Gebäude steht zum Verkauf. Und die Wohnungsanzeige gibt Auskunft über die Finanzen im Hintergrund. Das Gebäude habe eine Wohnfläche von etwa 2137 Quadratmetern. Die Ist-Miete wird mit 285.000 Euro pro Jahr angegeben. Umgerechnet ergibt das etwa 11 Euro pro Quadratmeter und Monat.
Singens Bürgermeisterin Ute Seifried, die in der Stadtverwaltung federführend für soziale Themen zuständig ist, sagt auf Anfrage, diese Quadratmetermiete würde man in den besseren Lagen Singens erwarten. Für das Gebäude zwischen Bahngleisen und Industriebetrieben trifft das sicher nicht zu. Ob das ein Anzeichen für Überbelegung ist, lässt sich von außen indes nur schwer definitiv beurteilen.
Wie lässt sich eine solche Miete erzielen? Der derzeitige Eigentümer Milorad Vasic beendet ein Telefonat abrupt, sobald das Gespräch auf das Bullenkloster kommt. Bürgermeisterin Seifried erklärt, ohne Bezug zum Einzelfall, dass beispielsweise das Jobcenter sich bei Mietkosten an der Personenzahl in einer Wohnung orientiere. Das bedeutet: Wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, kommen hohe Quadratmetermieten dabei heraus.
Es gibt kaum eine Handhabe für die Stadt
Und sie macht klar: „Die Stadt hat keine Handhabe, wenn es für die Bewohner in Ordnung ist.“ Schließlich hätten die Menschen freiwillig einen Mietvertrag unterzeichnet. Es gebe nur zwei Hebel, über die die Stadt die Zahl der Menschen, die in einem Gebäude leben, begrenzen könne. Einer sei der Brandschutz, wenn die Feuerwehr sage, dass die Bewohner im Brandfall nicht rechtzeitig aus dem Gebäude kämen. Der andere Hebel seien absolut unhygienische Zustände, die die Gesundheit gefährden würden.
In anderen Bundesländern sei eine Mindest-Quadratmeterzahl definiert, hierzulande gelte das nur für die Obdachlosenunterbringung. „Es ärgert mich, dass Baden-Württemberg da noch nichts gemacht hat“, sagt Seifried. Und was viele Namen an Briefkästen angeht, warnt sie vor voreiligen Schlüssen: „Es stehen mitunter mehr Namen an den Briefkästen, als noch Menschen da wohnen.“ Und sie ergänzt, dass zwar immer wieder Objekte mit Verdacht der Überbelegung genannt würden, dass die Stadt aber noch nicht hätte eingreifen müssen.
Und könnte die Stadt Bullenkloster einfach gleich selbst kaufen? Laut der Verkaufsanzeige hat das Gebäude 38 Wohnungen – die Stadt könnte ihren eigenen Bestand also deutlich erhöhen. Doch Seifried winkt ab: Der aufgerufene Preis von knapp 6 Millionen Euro sei für die Stadt zu hoch.