Es war der wohl schwerste einzelne russische Angriff auf die Ukraine in diesem Jahr: Mindestens 50 Menschen sind bei einem Angriff der russischen Armee in Poltawa gestorben – mehr als 270 wurden verletzt. Das erklärte die Frau des ukrainischen Präsidenten Selenskjy, Olena Selenska, auf der Plattform X am Dienstag. Poltawa liegt nur 60 Kilometer von Singens Partnerstadt Kobeljaki entfernt, auch dort hat der russische Angriff für Entsetzen gesorgt.
Die Raketen hatten Dienstagmittag ein Ausbildungszentrum des Militärs und ein Krankenhaus getroffen. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums waren die beiden Raketen kurz nach dem Beginn des Luftalarms eingeschlagen, als viele Menschen noch auf dem Weg in die Luftschutzbunker waren. In Onlinediensten und Lokalmedien wurde die Bevölkerung zum Blutspenden und zur Hilfe bei der Versorgung der Verletzten aufgerufen.

Viktor Popruga ist Feuerwehrkommandant in Kobeljaki. Er berichtet dem SÜDKURIER am Tag nach dem Luftangriff von verheerenden Bildern. „Die Bewohner von Kobeljaki und dem benachbarten Bilytski sind über diese Tragödie schockiert“, schreibt er. In der gesamten Region werde nun drei Tage Trauer getragen. „Natürlich machen sich alle Sorgen hier, um ihre Verwandten und Freunde, die sich zu dieser Zeit in Poltawa aufgehalten haben“, berichtet Popruga.
Ihm lägen aktuell keine genaueren Informationen über tote Bewohner aus Kobeljaki oder Bilytski vor. „Doch der Prozess der Identifizierung der Toten hat gerade erst begonnen“, so Popruga weiter.
Raketen verwüsten Poltawa
Laut übereinstimmenden Medienberichten war das Ziel des Angriffes offenbar ein militärisches Ausbildungszentrum in der Stadt. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurden jedoch eine Bildungseinrichtung und ein benachbartes Krankenhaus in Poltawa von zwei Raketen getroffen. Eines der Gebäude des Instituts für Kommunikation wurde dabei teilweise zerstört, Menschen wurden unter Trümmern verschüttet. Laut Innenminister Ihor Klymenko konnten mindestens 25 Menschen gerettet werden.
Mittlerweile soll die Anzahl an getöteten Menschen laut ukrainischen Medien auf 53 angestiegen sein. Viele der Opfer sollen Soldaten sein, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.
Das Entsetzen in Singen ist groß
Bei Wolfgang Werkmeister hat der Angriff auf Poltawa für Entsetzen gesorgt. Der Singener ist seit Monaten ein wichtiges Bindeglied zwischen Kobeljaki und Singen. Schon mehrfach hat er gemeinsam mit Mitstreitern Hilfskonvois in die Ukraine organisiert, er hatte zuletzt selbst eines der gespendeten Feuerwehrfahrzeuge bis an die ukrainische Grenze gefahren. „Wir sind in Gedanken bei unseren Freunden in Kobeljaki. Wir hoffen natürlich, dass niemand zu Schaden gekommen ist“, sagt er.
Zuletzt sei man ständig in Kontakt mit der Partnerstadt gewesen, so Werkmeister, ein weiterer Hilfskonvoi solle sich noch in diesem Jahr auf den Weg machen. „Vor vier Wochen hat Viktor mir noch geschrieben, dass es zu Drohnenangriffen gekommen sei, aber lediglich Schrapnelle rund um Kobeljaki gefunden wurden – und jetzt diese Nachricht“, so Werkmeister weiter. Schrapnelle sind laut Online-Lexikon Artilleriegranaten, die mit Metallkugeln gefüllt ist.
Noch vor wenigen Wochen hatte Feuerwehrkommandant Viktor Popruga das Zeltlager der Jugendfeuerwehren in Engen besucht. Mitte Juli hatte er davon berichtet, dass der Zusammenhalt der Menschen in der Ukraine auch nach zwei Jahren Krieg ungebrochen sei. Jetzt der erneute Angriff der Russen auf Poltawa. Popruga schildert, dass er und seine Feuerwehrkollegen aus Bilytski bereit gewesen seien, um in Poltawa zu helfen. Sie seien allerdings nicht alarmiert worden.

Feuerwehrauto aus Singen im Einsatz
Anders habe es bei Einsatzkräften aus Kobeljaki ausgesehen, sie seien in die bombardierte Stadt gerufen worden. „Sie arbeiten immer noch in Poltawa, denn der Abriss der Trümmer geht weiter“, so Popruga. Dabei sei auch eines der Feuerwehrfahrzeuge aus Singen im Einsatz gewesen. Die Feuerwehren aus Kobeljaki und Bilytski würden weiterhin in Alarmbereitschaft bleiben, man bereite sich auch bei der Feuerwehr auf mögliche weitere Angriffe vor.
Die erhöhte Alarmbereitschaft der Feuerwehren hänge laut Viktor Propuga aber nicht nur mit dem russischen Angriff auf Poltawa zusammen. Die Region kämpfe und leide aktuell auch unter einer großen Hitzewelle. „Bei uns hat es seit mehr als zwei Monaten nicht mehr geregnet und die Lufttemperatur erreicht an manchen Tagen etwa 40 Grad Celsius. Jeden Tag kommt es auf freiem Feld zu Bränden, die die Siedlungen unserer Gemeinden bedrohen“, sagt er.