Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und wo gearbeitet wird, da braucht man Energie. In Singen, dem industriellen Herz des Landkreises Konstanz, macht man sich dazu schon seit einiger Zeit Gedanken. Denn die Stadt will bis 2035 klimaneutral werden, das Land Baden-Württemberg will im Jahr 2040 treibhausgasneutral sein und die Europäische Union will dasselbe Ziel 2050 erreichen. Doch wo kommt dann die Energie her, die Betriebe mit tausenden Mitarbeitern in Singen brauchen?

Die Dimensionen, um die es geht, macht eine Zahl deutlich: Etwa 900 Gigawattstunden Energie werden in Singen für Wärme verbraucht. Und was daran hängt, zeigen weitere Zahlen. Allein Constellium, laut Aussage von Geschäftsführer Jochen Chwalisz der größte Arbeitgeber der Stadt, hat in Singen etwa 1500 Mitarbeiter. Zusammen mit dem Standort Gottmadingen seien es sogar 2500, sagte er am Rande eines Termins des Standortmarketingvereins Singen aktiv. Und: „Wir haben einen signifikanten Gasverbrauch.“

Arbeitsplätze brauchen Energie

Auch die Firma Wefa braucht viel Energie: „Wir betreiben ein eigenes Blockheizkraftwerk“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Joachim Maier ebenfalls am Rande des Singen aktiv-Termins. Zahl der Arbeitsplätze in Singen: etwa 140. Und das ist noch nicht alles. Die beiden weiteren Aluminiumunternehmen 3A Composites und Amcor, die Eisengießerei Fondium oder der Lebensmittelkonzern Maggi – alle brauchen sie Wärme, um arbeiten zu können.

Fabian Burggraf vom Verein Klimapartner aus Freiburg erläuterte die Wasserstoffstrategie für Südwest-Baden-Württemberg.
Fabian Burggraf vom Verein Klimapartner aus Freiburg erläuterte die Wasserstoffstrategie für Südwest-Baden-Württemberg. | Bild: Freißmann, Stephan

Es geht also auch um viele Arbeitsplätze, wenn es um Energieversorgung geht – und wenn diese klimaneutral organisiert werden soll. Ein Zauberwort, wenn es um Wärmeenergie geht, lautet: grüner Wasserstoff. Also Wasserstoff, der mithilfe von erneuerbar erzeugtem Strom erzeugt wurde. Erdgas wird zum Auslaufmodell. Bis 2040 plant der baden-württembergische Transportnetzbetreiber Terranets BW die „Umstellung seines gesamten Gastransportnetzes in Baden-Württemberg und Hessen“, wie das Unternehmen im Februar informierte. Spätestens dann fließt durch die großen Überlandleitungen nur noch die alternative Energiequelle Wasserstoff.

Netzwerktreffen Wasserstoff bei Singen aktiv: Etwa 50 Vertreter von Politik und Wirtschaft waren in der Bildungsakademie der ...
Netzwerktreffen Wasserstoff bei Singen aktiv: Etwa 50 Vertreter von Politik und Wirtschaft waren in der Bildungsakademie der Handwerkskammer dabei. | Bild: Freißmann, Stephan

Doch der wird über das geplante bundesweite Kernnetz nicht in die Region Hegau und westlicher Bodensee kommen – trotz reichlicher Initiativen im Vorfeld. Drei der landesweit 16 Projekte zur Vorbereitung von regionaler Wasserstoff-Versorgung, die das Land Baden-Württemberg gefördert hat, hängen mit der Region zusammen, eines davon wiederum konkret mit Singen, sagte Oberbürgermeister Bernd Häusler in seiner Begrüßung zum Netzwerktreffen Wasserstoff von Singen aktiv.

Irgendwann muss es ohne CO2 gehen

Und auch er verdeutlichte die Wichtigkeit des Themas: „Irgendwann muss das Label CO2-frei auf den Produkten drauf sein, sonst kann man am Weltmarkt nicht mehr teilnehmen.“ Und wenn die energieintensiven Unternehmen sich schneller umstellen können, werde auch die Stadt schneller CO2-neutral.

Tobias Nusser vom Steinbeis Innovationszentrum Energie plus in Stuttgart erklärte, wo in Singen ein Elektrolyseur hinkommen könnte.
Tobias Nusser vom Steinbeis Innovationszentrum Energie plus in Stuttgart erklärte, wo in Singen ein Elektrolyseur hinkommen könnte. | Bild: Freißmann, Stephan

Überlegungen, wie das geschehen könnte, sind tatsächlich schon ziemlich weit gediehen. Tobias Nusser vom Steinbeis Innovationszentrum Energie plus in Stuttgart stellte eine Machbarkeitsstudie für die Stadt vor. Daran beteiligt waren auch die Hochschule Technik Wirtschaft Gestaltung (HTWG) Konstanz und das Solarenergieforschungszentrum ISC Konstanz.

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Um zu ermitteln, welche Infrastruktur für grünen Wasserstoff man in Singen brauche, habe man zunächst den voraussichtlichen Bedarf an Wärmeenergie bei fünf großen industriellen Verbrauchern abgefragt. Beim Entwurf der Szenarien für einen schrittweisen Aufbau von Wasserstoff-Infrastruktur habe man auch einbezogen, wo stattdessen Strom verwendet werden kann, so Nusser. Für das Jahr 2040 kamen die Autoren der Studie auf einen Wasserstoffbedarf von 8900 bis 10.700 Tonnen pro Jahr. Der letztere Wert entspreche 50 bis 60 Lastwagenladungen am Tag, so Nusser.

Christian Klaiber vom Verein H2 Regio stellte das regionale Wasserstoffkonzept vor.
Christian Klaiber vom Verein H2 Regio stellte das regionale Wasserstoffkonzept vor. | Bild: Freißmann, Stephan

Bis vermutlich ab 2040 Wasserstoff auch per überregionaler Leitung nach Singen fließt, müsse man das begehrte Gas zunächst lokal erzeugen – also eine eigene Anlage errichten, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. Sogar Standorte für eine solche Anlage haben die Autoren der Studie untersucht und schlagen das geplante Gewerbe- und Wohngebiet Tiefenreute-Bühl als vielversprechendsten Standort vor.

Dafür braucht man jede Menge Strom

Wie grün ist das alles? Entscheidend dafür ist der Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen, mit dem der Wasserstoff erzeugt wird. Strom braucht man dafür nämlich reichlich. Nach Nussers Präsentation ist in Singen ähnlich viel Potential für regenerative Stromerzeugung vorhanden, wie es Bedarf an Strom für Verbrauch und Elektrolyse gibt. Joachim Maier von Wefa geht allerdings eher davon aus, dass die Wasserstoff-Versorgung anfangs noch nicht ökologisch sein wird.

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Auch Bene Müller, Chef des Bürgerenergieunternehmens Solarcomplex, ist eher skeptisch. Am Rande der Veranstaltung rechnet er vor: Für die Herstellung von 10.000 Tonnen Wasserstoff jährlich bräuchte man die riesige Menge von 500 Millionen Kilowattstunden elektrischer Energie. Um diese allein aus Solarenergie zu erzeugen, bräuchte man wiederum etwa 500 Hektar Solarparks. Und das wiederum sei etwa ein Prozent der landwirtschaftlichen Fläche im Kreis Konstanz, die laut dem Statistischen Landesamt etwa 40.000 Hektar groß ist.

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„Das klingt nach einer lösbaren Aufgabe: Jede Gemeinde weist ein Prozent ihrer landwirtschaftlichen Fläche dafür aus“, so Müller. Doch wo er hinkomme, erlebe er Widerstand gegen solche Projekte, wobei die Windenergie besonders umstritten sei. Und Müller ergänzt: „Wir bauen Solarparks und wissen, wie lang die Genehmigung dauert.“ In der Diskussion müsse man sich ehrlich machen in der Frage, wo die Solarparks hinkommen sollen.

Langfristig scheint am Wasserstoff aber kein Weg vorbei zu führen. Zumindest Constellium-Chef Jochen Chwalisz und Wefa-Chef Joachim Maier bezeichnen den Wasserstoff als interessante Möglichkeit für ihre Unternehmen. „Aber der Weg ist lang“, so Chwalisz.