Was ist Arbeit am Menschen wert? Die Haltung der Gewerkschaft Verdi zu dieser Frage ist eindeutig: auf jeden Fall mehr, als derzeit dafür bezahlt wird. Diese Haltung vertritt die Gewerkschaft auch in den laufenden Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst. Begleitend dazu lud Verdi am Dienstagnachmittag, dem Weltfrauentag, zur Solidaritätskundgebung an den Haupteingang des Singener Rathauses. Auch in Zeiten des Ukraine-Kriegs sei es die richtige Zeit für eine solche Veranstaltung, sagte Hanna Binder, stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin. Die Gewerkschaft sei solidarisch mit der Ukraine, und auch die Beschäftigten in sozialen Berufen würden nötig sein, wenn Flüchtlinge aus dem Land kommen. Die erste Tarifrunde am Freitag, 25. Februar, war aus Sicht der Gewerkschaft ergebnislos verlaufen, wie Binder sagte.
Daher will die Gewerkschaft den Druck erhöhen und ihre Mitglieder in den betroffenen Berufen mobilisieren. Ganztägige Streiks habe es gestern in Mannheim und Stuttgart gegeben, sagte Binder, 1100 Beschäftigte seien in Mannheim bei der Kundgebung gewesen. Im Gegensatz dazu begann die Aktion in Singen erst am späten Nachmittag, die Teilnehmerzahl blieb mit etwa 40 Personen überschaubar.

Dabei sehen auch Eltern von Kita-Kindern, dass der Beruf nicht einfacher wird. Die Anforderungen an Erzieherinnen, die die größte Gruppe unter den 330.000 Tarifbeschäftigten der betroffenen Berufe im öffentlichen Dienst der Kommunen bilden, würden auch durch Corona immer weiter wachsen, sagt Kristin Sorg, zweite Sprecherin des Gesamtelternbeirats (GEB) Kita. Gerade bei Kindern mit wenig Unterstützung aus den Familien müssten Erzieherinnen in Pandemie-Zeiten manches ausgleichen. Und die Gruppen würden durchaus wachsen, beobachtet sie. Daher war sie mit anderen vom GEB bei der Kundgebung, um das Anliegen der Arbeitnehmer zu unterstützen: „Sie machen tolle Arbeit, da soll der Beruf attraktiver werden, damit ihn wieder mehr Menschen ergreifen“, sagt Sorg. Die Arbeit hänge auch mit Bildung zusammen, die Kinder würden sehr gut auf die Schule vorbereitet.
Dass bessere Arbeitsbedingungen auch mehr Geld kosten und zu höheren Elternbeiträgen führen dürften, sieht auch Kristin Sorg. Aus ihrer persönlichen Sicht wären höhere Beiträge in Ordnung, doch sie kenne auch Familien, denen jeder Euro weh tue, gibt sie zu bedenken. Der Gewerkschaft geht es unter anderem darum, dass Menschen in sozialen Berufen in höhere Gehaltsklassen eingestuft werden, wie Hanna Binder betonte. Doch auch die in vielen Fällen unbezahlte Ausbildung kritisierte sie, ebenso wie Zeitmangel: „Portfolios schreiben sich nicht von selbst.“ Mit alldem sollen, so Binder, die sozialen Berufe attraktiver und der Fachkräftemangel gelindert werden. Manuela Hettich, Personalratsvorsitzende der Stadt Radolfzell, wies darauf hin, dass Erzieherinnen dem Coronavirus ausgesetzt seien wie keine andere Berufsgruppe. Den Arbeitgebern rief sie zu, dass sie „super Personal“ hätten: „Das muss man schätzen.“ Und es sei eine „ordentliche Aufwertung beim Gehalt“ wert.

Dass die Aktion am Weltfrauentag stattfand, der seit 1911 am 8. März begangen wird, war kein Zufall. Denn soziale Arbeit ist sehr stark weiblich geprägt, in Kitas würden zu 94 Prozent Erzieherinnen arbeiten, schreibt die Gewerkschaft in ihrer Einladung. Die Verdi-Kreisvorsitzende Ursula Hanser stellte in ihrer Ansprache die Verbindung her: Dass man Verbesserungen so vehement einfordern müsse, hänge auch damit zusammen, dass soziale Berufe sehr weiblich seien, lautete ihre Einschätzung. In einem sozialen Beruf verdiene man trotz gleichwertigem Studienabschluss 300 Euro weniger als im Ingenieurberuf, sagte Binder. Chantal Keller vom Jugendtreff Teestube stellte die Frage: „Warum wird immer noch nicht geschlechtsneutral bezahlt?“ Vielleicht ändert sich daran etwas durch die Tarifrunde.