Jeder kennt das: Man betritt einen Raum und tritt irgendwie in Beziehung mit der Umgebung. Ist es die Einrichtung? Sind es die Blumen auf dem Tisch, die Bilder an der Wand? Oder ist es die Aura der Personen, die sich darin bewegen. Manchmal weiß man es nicht so genau, warum ein Zimmer, ein Büro behaglich wirkt oder zum Kraftraum wird, welchen Einfluss Farbe und Licht auf die Atmosphäre haben. Spätestens dann, wenn die Gestaltung der eigenen vier Wände ansteht, wird den meisten bewusst, wie schwer es ist, die richtigen Farben für die persönlichen Ansprüche zu finden. Hunderte Farben auf den Paletten der verschiedenen Hersteller können die Verbraucher leicht verwirren. Nicht aber Harald F. Müller.
Der Singener Künstler, Dozent und ehemalige Kunstlehrer am Friedrich-Wöhler-Gymnasiums geht sogar noch weiter, indem er sich seine eigenen Farben passend für die jeweiligen Objekte mischt. Ihm reichen die Farbpaletten der gängigen Produzenten nicht aus. Für seine Kompositionen kauft Müller die Pigmente in Reinform. Seine Sammlung in der großen Atelier-Halle im Singener Industriegebiet sucht ihresgleichen. Müller hat die Farben nach Gruppen sortiert. Organische und anorganische Farben. Extrakte aus Pflanzen oder Pulver aus gemahlener Erde, aber auch synthetisch hergestellte Materialien. „Eine Lieblingsfarbe gibt es bei mir nicht“, sagt Müller. „Aber es kann sein, dass ich vier Wochen nur Gelb studiere. Neon-Gelb steht für Licht. Die strahlenden Pigmente geben mehr Licht ab, als ein Weiß reflektieren kann.“

Für Harald F. Müller sind die Farben ein lebenslanger Lernprozess. Schon als Kind hat er seinen Vater, den Karlsruher Stadtbaumeister, immer auf die Baustellen begleitet. Dabei hat er das Zusammenspiel von Architektur und Farbe kennengelernt. Mit Architekten arbeitet er noch heute eng zusammen. „Meine Spezialität ist es zu erspüren, wie ein Ort tickt.“ Dazu begibt er sich manchmal über Wochen und Monate an die Orte, für die er ein Farbkonzept erarbeiten soll. Zum Beispiel in das Hochleistungs-Rechenzentrum in Stuttgart (HLRS), in dem er seit 2003 jeden Bauabschnitt künstlerisch gestaltet hat, erzählt der Singener. Heraus kamen pinkfarbene Wände, goldene Decken, hellblaues Glas und leuchtgelbe Türme. Es sollte Kunst sein. Das war zunächst nicht sozialverträglich. Anfangs habe es einen Aufschrei unter den Mitarbeitern gegeben. Mittlerweile beschwere sich niemand mehr über die Farben.

Etliche Gebäude in Deutschland, der Schweiz, Frankreich tragen mittlerweile Müllers farbliche Handschrift. Einen Großauftrag bekam er in seiner Geburtsstadt Karlsruhe. Dort gestaltet er zusammen mit einem Signal-Ethiker Gänge, Flure, Räume im städtischen Klinikum. So werde die Orientierung für Patienten und Besucher erleichtert. Helle, leuchtende, strahlende Farben würden mit Grau und Weiß abgesetzt. Dadurch entstehe eine aktive, lebensbejahende Stimmung. Die Klinik profitiere von der positiven Wirkung.
Ähnliches können die Besucher der Abteilung Onko Plus oder der Frühchenstation der Singener Klink erfahren. Hier hat Harald F. Müller zusammen mit dem Architekten Jörg Wuhrer zarte Farben von hoher Strahlkraft mit schlichten Möbeln kombiniert. Wer diesen Raum betritt, taucht in eine andere Welt ein. Ähnlich mag es den Beschäftigten und Besuchern von Wefa im Singener Industriegebiet ergangen sein, seitdem der Eingangs- und Konferenzbereich der Firma in ein Hellblau und Gelb mit maximal hell erstrahlt. Dazu kam eine blaustichige Beleuchtung. Alles zusammen soll Kreativität und Wachheit beflügeln.

„Über die Farbe kann man einen Raum aktiv steuern und die Psyche der Menschen beeinflussen“, weiß Müller aus 40 Jahren Farbstudium. Er sich selbst bezeichnet sich als Sammler. In großen Kartons lagern Farbmuster, Broschüren, Postkarten, Werbezetteln, Tüten, Speisekarten und so weiter. Dabei geht es nicht um die Inhalte, sondern um die farblichen Kombinationen, die er wiederum in Kollagen neu kombiniert. Schon als junger Student hat er Dinge gesammelt: Strukturen, Farben, Formen, Hölzer. Und er hat mit Klebestreifen Farben oder Graffiti von Hausfassaden abgenommen und die Farbspuren in Bücher geklebt. Für die Malklasse musste er Pigmente kaufen. Eine neue Leidenschaft entwickelte sich. Über die Kunstgeschichte habe er sich im Thema Farbe gebildet; über die Architektur und die praktische Anwendung der Farbe entstehen Aufsehen erregende Objekte wie der rote Turm von Löwenbräu in Zürich, der Singen-Schriftzug an der Feuerwache oder der 300 Meter lange, 40 Meter breite und fünf Meter hohe Zugang beim Seehashaltepunkt im Singener Industriegebiet. Den hat er zusammen mit Fabian Winkler gestaltet und renoviert.

Der ehemalige Fri-Wö-Schüler war Mitglied der legendären Kunst-AG. Heute hat der Künstler eine Professur in den USA. „Wir haben die Schule gestaltet“, erinnert sich Müller gerne an die Aufbruchstimmung in den 1980er und 1990er Jahren. Damals war es zunächst darum gegangen, den Graffiti-Wildwuchs zu verhindern. Nachdem die Schüler ihren Lernraum selber gestalten hatten, war das Problem der Farbschmierereien beseitigt.