Es ist ein ungleiches Duell, das nun in die Schlussphase geht – und eines, bei dem dem Nichtwähler eine entscheidende Rolle zukommt (siehe Text unten). Am kommenden Sonntag, 11. Juli, können die Singener wählen, wer in den nächsten acht Jahren als Oberbürgermeister das Stadtoberhaupt sein soll. In den Ring gestiegen sind Bernd Häusler, der vor acht Jahren das Amt eroberte und eine zweite Amtszeit anstrebt, und Herausforderer Helmut Happe aus dem Engener Ortsteil Welschingen. Was hinter der Stadt liegt und was zu erwarten ist:

Der Amtsinhaber

Bernd Häusler ist seit acht Jahren Stadtoberhaupt von Singen. Vorausgegangen war ein spannender Wahlkampf zwischen ihm und seinem damaligen Chef Oliver Ehret, der gerne Oberbürgermeister geblieben wäre. Seitdem ist viel passiert: Die Insolvenz der städtischen Immobiliengesellschaft GVV wurde abgewickelt, zahlreiche Bauprojekte sind Wirklichkeit geworden, das Singener Stadtzentrum hat sich durch das Einkaufszentrum Cano und die Sanierung eines Teils der Fußgängerzone stark verändert. Auch in den Ortsteilen hat sich viel getan. So haben beispielsweise die Beurener mit dem Curana eine moderne Halle für das öffentliche Leben bekommen. Und die Kriminalitätszahlen sind gesunken. Häusler hat in den vergangenen acht Jahren vieles angestoßen, die Entwicklung nötigt im ganzen Landkreis Respekt ab.

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Und nun? Auch als Häusler noch einziger Bewerber war, ist er in den Wahlkampf eingestiegen, hat eine Website vorgestellt und Termine angeboten. Dabei präsentierte sich CDU-Mitglied Häusler als pragmatischer Problemlöser, der als Motto ausgibt: „Nicht schwätzen, sondern machen.“ Mitten in die Wahlkampfzeit fiel ein neues massives Auftreten der Szene von Auto-Tunern, -Posern und -Liebhabern in Singen. Mit ihrem lauten und mitunter gefährlichen Hobby, das sie noch dazu bevorzugt spätabends und nachts ausüben, gingen sie vielen Menschen vor allem in der Südstadt auf die Nerven. Häusler erließ eine Allgemeinverfügung, die die Tuner-Treffen auf einen sehr kleinen Kreis beschränkt und bewies damit Handlungsfähigkeit. Seitdem herrscht weitgehend Ruhe an den Wochenenden, auch wenn sich Häusler nicht nur Freunde gemacht hat.

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In die Diskussion geraten ist zuletzt das Thema Wohnraum. Denn zahlreichen Bauprojekten zum Trotz – laut Häusler sind in seiner Amtszeit 1600 Wohnungen genehmigt worden – gibt es auch Berichte, dass es in allen Einkommensklassen schwierig ist, Wohnraum zu finden. Der Amtsinhaber führt als Beleg für günstigen Wohnraum regelmäßig die, verglichen mit Konstanz, hohe Zahl von Hartz-IV-Empfängern an, die in Singen leben. Eine Gefahr zeichnet sich trotzdem ab: Finden sich noch alle in der Stadt wieder?

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Bei allen Bemühungen, bezahlbaren und geförderten Wohnraum zu schaffen, stehen nun einige Bauprojekte an, bei denen günstiger Wohnraum durch weniger günstige ersetzt wird. Im Durchschnitt steigen die Singener Mieten. Und da die Stadt kaum eigene Wohnungen und keine eigene Wohnbaugesellschaft hat, ist sie bei Wohnungsfragen auf Partner wie Baugenossenschaften angewiesen. Häusler argumentiert mit hohen Kosten und dem spektakulären Misserfolg der früheren städtischen Wohnbaugesellschaft GVV gegen eine neue städtische Baugesellschaft.

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Ansonsten hat sich der Amtsinhaber für den Fall eines Wahlerfolgs viel vorgenommen. Das wahrscheinlich umfangreichste Vorhaben: Die Stadt Singen soll bis 2035 klimaneutral werden. Einer der Vorschläge für den Weg dorthin ist die Einrichtung eines lokalen Klimafonds, mit dem CO2-Ausstoß mittels Projekten vor Ort kompensiert werden soll. Weitere Stichworte lauten: attraktivere Innenstadt, beispielsweise durch weitere Grünflächen und das Quartier Scheffelareal; die Einhaltung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz; eine soziale Stadt, unter anderem durch den Ausbau der Quartiersarbeit und von Bürgergemeinschaften; Bürgerbeteiligung unter anderem durch eine App, mit der Bürger diskutieren und Vorschläge machen können. Viele weitere Punkte stehen auf der Liste.

Der Herausforderer

Helmut Happe ist erst spät ins Rennen um den städtischen Spitzenjob eingestiegen. Etwas mehr als eine Woche vor dem Ende der Bewerbungsfrist hat er seine Unterlagen im Rathaus abgegeben, Wahlplakate von ihm hängen seit etwa zwei Wochen. Happe selbst begründet das damit, dass er zuerst aus der Partei WiR 2020 austreten wollte, um unabhängig anzutreten – und das habe gedauert. Für WiR 2020 wollte er im Frühjahr auch in den Landtag. Die Partei gilt laut Deutschlandfunk als politisches Instrument von Corona-Maßnahmen-Kritikern.

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Abgesehen von Auftritten bei der SÜDKURIER-Podiumsdiskussion und der städtischen Kandidatenvorstellung hat Happe wenig öffentlichen Wahlkampf betrieben. Sein Profil auf Facebook ging am 30. Juni online. Dort und auf seinen Plakaten wirbt er nun offensiv für einen „anderen Weg“ für Singen und für eine massive Ausweitung der Bürgerbeteiligung. Auf den ersten Blick wirkt dieser Ansatz attraktiv – er läuft bei vielen Fragen aber auf dieselbe Antwort hinaus: erst mal mit den Betroffenen reden. Die Frage drängt sich auf, ob er sich mit bestehenden Themen und Wünschen der Singener vertraut gemacht hat. Und: Wer trifft Entscheidungen, wenn es zu viele widersprüchliche Einzelinteressen gibt?

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In einer Frage bezieht Happe allerdings deutlich Position: Für mehr Überwachung dürfe man kein Geld ausgeben, denn die Kriminalität sei gesunken und Geld in Corona-Zeiten knapp. Smarte Überwachung ist ein Punkt in Häuslers Wahlprogramm. Der Amtsinhaber argumentiert mit Fällen, die man durch Überwachungskameras habe lösen können, und mit dem Ziel, die öffentliche Sicherheit weiter zu erhöhen. Eine Entlastung des Singener Mittelstandes kündigt Happe an, ohne Konkreteres zu verraten. Auf seiner Wahlkampfseite findet sich viel Grundsätzliches.

Happe macht außerdem aus seiner Nähe zur Querdenken-Bewegung keinen Hehl – jedenfalls wenn man ihn fragt. Er habe Querdenken 773 mitgegründet, sagt er. Wie viel Querdenker ist Happe heute? Das ist von außen schwer zu beurteilen. Mittlerweile habe er nicht mehr viel Kontakt, sagt er. In einer Gruppe von Querdenken 773 beim Messengerdienst Telegram warb er um Unterstützerunterschriften für die Bewerbung und schrieb, dass ein Gruppenmitglied sein Facebook-Profil erstellt habe. Das alles neben Aufrufen gegen die Corona-Impfung und für Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Menschen, die in der Region als Anmelder von Querdenker- oder ähnlichen Kundgebungen aufgetreten sind, sagen, sie würden Happe nicht kennen oder könnten nichts über sein Verhältnis zur Querdenken-Bewegung sagen.

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Eine gewisse Unversöhnlichkeit zeigt sich indes in Diskussionen auf sozialen Netzwerken, in denen Anhänger Happes Andersdenkende auch schon mal als „Schlafschafe“ bezeichnen – einen in der Szene gebräuchlichen Schmähbegriff für alle, die mit den Corona-Maßnahmen einverstanden sind. Ein Beispiel aus der städtischen Kandidatenvorstellung: Darin warfen Valeria Cirillo und Luca Rea Häusler vor, durch den kommunalen Ordnungsdienst die freie Meinungsäußerung zu blockieren, was dieser zurückwies. Eine Frau namens Valeria Cirillo bezeichnet sich auch für Fotos auf Happes Wahlkampfhomepage als verantwortlich. Der Designer von Häuslers Wahlkampfseite, Boris Hanuschke, stellte über den SÜDKURIER eine Frage nach dem geplanten Nordstadtversorger – ein Thema, das eine Steilvorlage für den Amtsinhaber sein kann, aber auch viele Singener interessieren dürfte. Ob Absprache hinter den Fragen steckt, bleibt offen.

Die Rolle der Wahlbeteiligung und Persönliches zu den Kandidaten

  • Wahlbeteiligung: Die Wahlbeteiligung ist in Singen schon seit längerem niedrig. Bei der Landtagswahl im Frühjahr lag sie über alle Wahlbezirke hinweg bei 48,5 Prozent. Und auch bei der Oberbürgermeisterwahl vor acht Jahren, als sich der damalige Finanzbürgermeister Bernd Häusler und der damalige OB Oliver Ehret, der ebenfalls die Wiederwahl anstrebte, ein spannendes Duell lieferten, gingen nur 47,9 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen. Im Umkehrschluss bedeutet das: 2013 haben etwa ein Viertel der Wahlberechtigten Häusler gewählt. Beim entscheidenden zweiten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl in Konstanz im Herbst 2020 haben am Ende etwa 30 Prozent der Wahlberechtigten für eine zweite Amtszeit von Uli Burchardt gestimmt.
  • Mobilisierung: Der Nichtwähler ist gewissermaßen der eigentliche und der zäheste Gegner von allen, die in Singen für ein öffentliches Amt antreten. Für beide Kandidaten kommt es am Sonntag daher darauf an, ihre Anhänger zu mobilisieren. Für eine solche Mobilisierung spricht, dass zwei Kandidaten auf dem Stimmzettel stehen und der Ausgang der Wahl nicht von vornherein feststeht. Bernd Häusler hat nach eigenen Angaben einiges unternommen, um möglichst viele Wahlberechtigte, auch Nichtwähler, zu erreichen. Happe ist nach eigenen Angaben nicht auf Nichtwähler zugegangen. Eine schwache Wahlbeteiligung dürfte vor allem Außenwirkung haben – etwa was den Stand eines OB im Kreis der Bürgermeisterkollegen angeht. Bei der Wahlbeteiligung geht es aber auch immer um den Grad der Unterstützung, die ein bestimmter Kurs für eine Kommune bekommt.
  • Persönliches: Bernd Häusler, 54, ist seit acht Jahren Oberbürgermeister von Singen. Er stammt aus Singen und ist seit 1994 für die Stadtverwaltung tätig. Seit 1996 ist Häusler mit seiner Ehefrau Claudia verheiratet. Die beiden erwachsenen Söhne des Paares sind 19 und 24 Jahre alt. Sein Herausforderer Helmut Happe, 56, ist ausgebildeter Industriefachwirt und arbeitet bei einem Maschinenbauunternehmen, das Fensterbauer beliefert. Auch er hat zwei erwachsene Söhne. Happe lebt mit seiner Partnerin im Engener Ortsteil Welschingen.