Es war ein Tag, den die Einsatzkräfte im Hegau wahrscheinlich nicht so schnell vergessen werden: Am 16. Mai 2024 war gegen Mittag permanent Blaulicht zu sehen und das Martinshorn zu hören, Polizei und Feuerwehr waren in Singen im Großeinsatz. Stichwort: Gasalarm! Der Verkehr war in der Innenstadt über Stunden eingeschränkt. Erst am Abend gab es Entwarnung. Hunderte Einsatzkräfte, eine abgesperrte Innenstadt, 20 kontaminierte Menschen und sechs Verletzte sorgten bis dahin für Aufregung.
Zwei Einsatzkräfte, die beim Gasalarm mitten im Geschehen waren, sind Mario Dutzi und Stefan Schüttler. Sie erinnern sich an den Tag vor exakt einem Jahr. Und sowohl der Kommandant der Singener Feuerwehr als auch Schüttler, der seit 2017 für den Bevölkerungsschutz und das Krisenmanagement in Singen zuständig ist, sind sich einig: Der Einsatz war heftig, aber unvermeidbar in seiner Größe und Intensität.
„Der Einsatz ging nicht anders“
Stefan Schüttler und Mario Dutzi sitzen unmittelbar vor dem Jahrestag des Großeinsatzes im Feuerwehrhaus. „Ist das schon ein Jahr her?“, fragen sie den SÜDKURIER. Auf die Frage, wie sie den Gasalarm erlebt haben, betonen beide, dass der Einsatz der größte während ihrer Zeit bei der Singener Feuerwehr war. Aber sie betonen auch: „Der Einsatz ging nicht anders.“ Im Nachgang des Einsatzes hatte es immer wieder kritische Stimmen ob der Einsatzgröße gegeben. Vor allem in den sozialen Medien wurde diesbezüglich viel diskutiert.

Dies hänge laut Schüttler vor allem mit zwei Dingen zusammen: Der Gasalarm hatte mit der Tiefgarage und der Anwaltskanzlei in der Singener Innenstadt zwei Einsatzorte. Zum anderen sei lange unklar gewesen, um was für einen Reizstoff es sich gehandelt habe – kurze Zeit musste die Polizei auch vom tödlichen Nervengift Tabun ausgehen. „Die Messgeräte hatten mehrfach angeschlagen, wir mussten den Einsatz in der Größe fahren“, schildert Schüttler ein Jahr danach. „Wenn wir nicht reagiert hätten und es sich tatsächlich um Tabun gehandelt hätte, wären viele Singener gestorben“, so Schüttler weiter. Feuerwehrkommandant Mario Dutzi ergänzt: „Es war ein Anschlagsgeschehen.“
Er vergleicht den Einsatz mit dem Reizgasvorfall im Gleis 1 am Singener Bahnhof vor wenigen Tagen. Auch dort sei die Alarmierungsstärke ähnlich gewesen. Allerdings hätten die Messgeräte dort keinen Stoff nachweisen können, weshalb nicht aufgestockt worden sei.
Auch die Pressestelle des Polizeireviers Konstanz bestätigt die Einschätzung der beiden Singener Feuerwehrleute. Denn auch die Polizei bezeichnet die Einsatzstärke ihrer Kräfte als angemessen. „In künftigen Fällen werden wir die Einsatzstärke wieder am jeweiligen Erfordernis und Einsatzanlass ausrichten“, teilt Polizeisprecherin Katrin Rosenthal mit.
Der Gasalarm am 16. Mai
Am Donnerstag, 16. Mai 2024, um 10.40 Uhr gab es einen ersten Einsatz in der Hegaustraße/Alpenstraße in einer Anwaltskanzlei. Zwei Männer waren dort eingedrungen und haben einen unbekannten Stoff versprüht.
Gegen 13 Uhr wurde in einer Tiefgarage an der Ekkehardstraße Gasgeruch gemeldet. Die Feuerwehr stellte den Austritt eines bislang unbekannten Gefahrstoffes fest, daher wurde daraufhin die Innenstadt geräumt sowie abgesperrt.

Laut Polizei erlitten sechs Menschen leichte Beeinträchtigungen durch das Reizgas. Der Verkehr in der Singener Innenstadt war bis 19.30 Uhr stark eingeschränkt. Am Abend gaben Spezialisten Entwarnung. Am Freitagmittag stand fest, um welchen Stoff es sich gehandelt habe: Laut Polizei war es einer, den man auch in handelsüblichem Pfefferspray findet. Mehrere Medien hatten über den möglichen Einsatz des Nervenkampfstoffes Tabun spekuliert. Zwei Tatverdächtige wurden noch am Tag des Gasalarmes festgenommen, kurz danach allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt.
Das ist der Ermittlungsstand
Die Ermittlungen zu dem Gasalarm vor einem Jahr in der Singener Innenstadt dauern indes laut Informationen der Polizei an. Sie stünden laut Polizeisprecherin Katrin Rosenthal allerdings kurz vor dem Abschluss. Im Nachgang würde der Fall dann an die Staatsanwaltschaft übergeben. „Es gab mehrere Hinweise aus der Bevölkerung zu Tatverdächtigen. Diese wurden aufgenommen und in die Ermittlungen mit einbezogen“, so Rosenthal. Wie genau der Ermittlungsstand sei, dazu macht die Polizei keine Angaben – sondern verweist aus taktischen Gründen auf die laufenden Ermittlungen.
Für den Krisenstab in Singen, der nur wenige Monate zuvor ins Leben gerufen worden war, sei der Gasalarm laut Stefan Schüttler quasi ein Kaltstart gewesen. „Einen solchen Einsatz in der Größe kannst du aber auch nicht proben“, sagt er. Zu 95 Prozent habe dabei ein Rädchen ins andere gegriffen. Dennoch gebe es auch Teile des Einsatzes, die nicht ganz optimal verlaufen seien. Feuerwehrchef Dutzi nennt hier etwa die Kommunikation zwischen den am Einsatz beteiligten Blaulicht-Organisationen.
Auch die Polizei schreibt hierzu: „Jeder polizeiliche Einsatz wird nachbereitet. Aus jedem Einsatz werden Lehren für künftige Einsätze gezogen. Aus einsatztaktischen Gründen machen wir hierzu aber keine Angaben. Grundsätzlich verlief der Einsatz aus polizeilicher Sicht erfolgreich.“