Noch kann sich Florian Zimmermann nicht erklären, warum am Vormittag des 16. Mai plötzlich zwei Männer seine Kanzlei in Singen stürmten und einen Reizstoff versprühten. Weder vorher noch nachher sei seine Kanzlei je bedroht worden, sagt der Rechtsanwalt.

Es ist jetzt drei Monate her, als sich die Stadt einen Tag lang im Ausnahmezustand wegen des möglichen Austritts eines Kampfstoffs befand. Die Ermittlungen der Polizei dauern nach wie vor an.

Erst Alarm in Kanzlei, dann in Tiefgarage

Es war ein Großeinsatz, wie ihn der Südwesten seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hat. Um 10.40 Uhr am Donnerstag vor dem Pfingstwochenende versprühten Unbekannte in der Anwaltskanzlei Zimmermann und Zwibel in der Hegaustraße/Alpenstraße einen Reizstoff, schnell stellte die Feuerwehr fest: Nur lüften reicht hier nicht.

Ein Messgerät der Feuerwehr deutete auf einen Kampfstoff hin. Etwas mehr als zwei Stunden später wurde in einer nahen Tiefgarage in der Ekkehardstraße Gasgeruch gemeldet. „Der Hinweis auf einen Kampfstoff war besorgniserregend‘, sagte der Revierleiter der Polizei Singen, Alexander Stachel, dazu vor dem Gemeinderat Ende Juni.

Man habe alles mobilisiert, was man konnte. Auch Kommandant der Singener Feuerwehr, Mario Dutzi, sagte hierzu beim selben Termin: „Es ging von Anfang an nicht um Pfefferspray.“

Spezialeinheit eingeflogen

Einsatzkräfte mit Atemschutzgerät und Dekontaminierungszelte sind in der Innenstadt von Singen zu sehen gewesen.
Einsatzkräfte mit Atemschutzgerät und Dekontaminierungszelte sind in der Innenstadt von Singen zu sehen gewesen. | Bild: Freißmann, Stephan

Feuerwehren, Polizei und Rettungsdienste aus dem gesamten Landkreis und darüber hinaus wurden mobilisiert. Ein Teil der Innenstadt wurde evakuiert, der Verkehr wurde großräumig umgeleitet.

Die Analytische Task Force (ATF) aus Mannheim wurde per Hubschrauber eingeflogen, die am Abend Entwarnung geben konnte. Sie identifizierten den Stoff Butyldiglycol oder Diethylenglykolmonobutylether (abgekürzt: DEGBE) in der Tiefgarage. Dieser ist im Internet frei verkäuflich und wird häufig als Verdünnungs- und Lösungsmittel verwendet.

Was wurde in der Kanzlei versprüht?

Die Polizei nahm noch an jenem Donnerstag zwei Männer vorübergehend fest, die kurz darauf wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Dabei war auch ein Spezialeinsatzkommando der Polizei im Einsatz.

Ob gegen die Männer oder andere noch ermittelt wird und ob die Vorfälle in Kanzlei und Tiefgarage in einem direkten Zusammenhang stehen, ist nach wie vor unklar. Die Polizei verweist auch Mitte August dazu auf laufende Ermittlungen.

Weil lange nicht klar, wie gefährlich die Lage ist, wurde die Singener Innenstadt teilweise abgesperrt.
Weil lange nicht klar, wie gefährlich die Lage ist, wurde die Singener Innenstadt teilweise abgesperrt. | Bild: Freißmann, Stephan

Im Gemeinderat Ende Juni stellte Revierleiter Stachel dazu nur klar: In der Tiefgarage sei nicht derselbe Stoff gefunden worden. Wie man das in der Kanzlei entdeckte Gemisch herstellen kann, sei allerdings noch unklar, fügte Stachel im Gemeinderat hinzu. Weitere Details wollte die Polizei aber aus ermittlungstaktischen Gründen nicht nennen.

Brennen im Hals bleibt

Florian Zimmermann hätte auch gerne Antworten, er habe aber weiterhin Vertrauen in die Staatsgewalt, dass die Sache bald aufgeklärt ist. In seinem Fall gehe es auch „nur um Hausfriedensbruch und Körperverletzung“, sagt er.

Dass es aber kein gewöhnliches Pfefferspray gewesen ist, dass im Mai in seinen Räumen versprüht wurde, hat auch Anwalt Zimmermann später immer wieder festgestellt. Denn der Reizstoff hat Spuren in der Kanzlei hinterlassen – unter anderem an Dokumenten.

Zimmermann sind kleine, rötliche Partikel, die an Chilipulver erinnern, aufgefallen. Wenn er die berührt habe, habe es hinterher noch im Hals gebrannt.