Stephan Freißmann und Kerstin Steinert

133,6: Diese Zahl sitzt. Zumindest wenn es um das Coronavirus geht. Mit 133,6 gibt Michael Horber vom Konstanzer Landratsamt, Referat Brand- und Katastrophenschutz, bei der wöchentlichen Corona-Konferenz die Zahl der Corona-Infektionen pro 100.000 Einwohner in Stockach in den zurückliegenden sieben Tagen an. Mit diesem Wert bei der sogenannten Sieben-Tage-Inzidenz hält Stockach in dieser Zeit einsam die Position des Corona-Hotspots im Landkreis.

Hochzeit als Superspreader-Event

Die Zahl errechnet sich aus 24 Fällen, die in Stockach, das etwa 17.000 Einwohner hat, in den vergangenen sieben Tagen dazugekommen sind. Im ganzen Landkreis gibt es nun 79 akute Fälle (Stand: 13. Oktober), 38 davon sind laut den Angaben des Amtes auf eine Hochzeitsfeier im Landkreis Tuttlingen zurückzuführen. „Man kann das wirklich als Superspreader-Event bezeichnen“, sagt Philipp Gärtner, Erster Landesbeamter und stellvertretender Landrat, bei der Corona-Konferenz.

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Zum Vergleich: Ab einem Wert von 50 bei der Sieben-Tage-Inzidenz gelten Einschränkungen für die Einwohner, beispielsweise bei Urlaubsreisen und bei der Beherbergung. Allerdings ist der kreisweite Wert entscheidend, und der liegt laut Gärtner bei 27,2 (Stand: 13. Oktober). Gärtner unterstrich daher gleich zu Beginn des Pressetermins: „Es ist kein Geheimnis: Die Situation entspannt sich nicht, sondern verschärft sich eher.“

50.000 Testungen im Landkreis Konstanz

Um die Seuche, wie es Hannes Winterer (stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts) nennt, einzudämmen, teste man in Stockach gerade besonders viel. Am vergangenen Samstag habe man dazu ein mobiles Testzentrum in dem Ort aufgebaut. Alle ermittelten Kontaktpersonen wurden aufgefordert, sich testen zu lassen. Unter den Getesteten filterten die Ärzte drei weitere positive Coronafälle heraus. Seit Beginn der Pandemie im März sind bis zum 4. Oktober über 50.000 Corona-Tests von Einwohnern aus dem Kreis in den Laboren Brunner, Blessing und MVZ Labor Ravensburg durchgeführt worden.

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In Stockach habe man es mit einer spezifischeren Situation zu tun, die wesentlich mit dem Ereignis – der Hochzeit – im benachbarten Landkreis zu tun habe, sagt Winterer. Die Infektionskette ist in Teilen recht gut nachzuvollziehen. Trotzdem hat das Gesundheitsamt jetzt viel Kleinarbeit zu leisten: vollständige Infektionsketten nachzuvollziehen, Kontaktpersonen zu ermitteln und festzustellen, wann eine positiv getestete Person infektiös war. Wenn man sich sicher sei, dass ein Infektionsrisiko bestanden hat, bleibt die Quarantäne für die ganze Gruppe aufrechterhalten, so Winterer.

Über 50.000 Tests sind mittlerweile an den Einwohnern im Kreis Konstanz durchgeführt worden.
Über 50.000 Tests sind mittlerweile an den Einwohnern im Kreis Konstanz durchgeführt worden. | Bild: Frankenberg

Lockdown ist nicht verhältnismäßig

Ein kompletter Lockdown wäre jedenfalls in seinen Augen unverhältnismäßig hart – zumindest vorerst. Und Philipp Gärtner ergänzt: „Es ist immer eine schwierige Abwägung.“ Denn es seien unterschiedliche Interessen betroffen. Hannes Winterer führt die Betreuung von kleinen Kindern als Beispiel an. Denkbar wären aber andere Maßnahmen, wenn die Inzidenz weiter steigt. Philipp Gärtner nennt als Beispiel eine Ausweitung der Pflicht, Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Darüber könnte man dann auch in Oberstufenklassen nachdenken. Auch die Größe von Gruppen in Schulen und Kindergärten könnte man dann hinterfragen: „Das Ziel ist, möglichst viel offen zu lassen, aber die Pandemie soll sich nicht weiter verbreiten.“

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Genügen die Instrumente, die das Gesundheitsamt für seine Arbeit in der Hand hat? Grundsätzlich orientiere man sich an den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, erklärt Winterer. Diese seien klar und nachvollziehbar. Betroffene Gruppen würden in Quarantäne geschickt, und „Wir sind nicht im Lockdown“. Ein Stück weit sei die Arbeit des Gesundheitsamts immer Reaktion auf Ereignisse, gibt Philipp Gärtner zu. Für diese große Herausforderung werde auch sehr viel Personal eingesetzt.

Menschen werden unvorsichtig

Und Winterer gewährt einen kleinen Einblick ins Seelenleben von Gesundheitsamts-Mitarbeitern in Pandemie-Zeiten: „Was uns die Arbeit schwer macht, sind die vielen kleinen Einzelentscheidungen.“ Die Frage sei dabei immer: Ist das verhältnismäßig oder schießt man über das Ziel hinaus? Ein Problem bei der Arbeit des Gesundheitsamtes sei mitunter auch das Verhalten der Menschen, sagt Marie-Luise Weber vom Gesundheitsamt. Sie mahnt die Menschen zur Vorsicht: „Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch sinnvoll.“

Für sie zeigt der Vorfall mit der Hochzeit im Landkreis Tuttlingen beispielhaft, wie sich das Coronavirus verbreitet: „Wir gehen inzwischen in die zweite Folgegeneration von Ansteckungen.“ Das bedeutet: Jeder Fall hatte mehrere Kontakte, von denen einige wiederum selbst zu Fällen wurden und andere angesteckt haben.

Die Entwicklungen der Corona-Zahlen in der Region

  1. .Wie hoch ist die Zahl der Infizierten? Zurzeit gibt es im Landkreis Konstanz 79 Infizierte (Stand 13. Oktober). Zwei Personen befinden sich in stationärer Behandlung. Eine Großzahl der Covid-19-Erkrankten leben im Raum Stockach. Von den 79 aktuell Infizierten hängen 38 Fälle mit einer Hochzeitsfeier im Landkreis Tuttlingen zusammen. 22 der 38 Fälle waren Hochzeitsgäste. Das Gesundheitsamt hat bisher 484 Kontaktpersonen ermittelt.
  2. .Wie viele Personen haben sich im Kreis Tuttlingen bei der Hochzeit angesteckt? Laut dem Landratsamt Tuttlingen waren insgesamt 85 Personen auf der Feier. Bei 26 Gästen fiel der anschließende Corona-Test positiv aus. Zehn weitere Personen haben sich im Zusammenhang mit der Hochzeit ebenfalls angesteckt. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt im Landkreis Tuttlingen bei 44,5.
  3. .Wie sieht es in den einzelnen Gemeinden aus? In den vergangenen sieben Tage hat sich ein Corona-Hotspot im Raum Stockach gebildet. Dort haben sich 24 Personen in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt. Seit Beginn der Pandemie im März sind es 82. In Konstanz sind in der vergangenen Woche 23 Fälle bekannt, seit März 343 (23/343). In den anderen Gemeinden und Städte sieht es wie folgt aus: Allensbach 0/29, Reichenau 0/12, Gaienhofen 0/8, Öhningen 0/13, Moos 0/7, Radolfzell 8/91, Bodman-Ludwigshafen 0/15, Hohenfels 4/7, Mühlingen 0/11, Eigeltingen 0/8, Orsingen-Nenzingen 1/5, Steißlingen 0/10, Singen 5/137, Rielasingen-Worblingen 5/28, Gailingen 1/3, Gottmadingen 1/21, Büsingen 0/0, Hilzingen 1/25, Mühlhausen-Ehingen 2/11, Volkertshausen 0/5, Aach 1/6, Engen 1/13 und Tengen 0/7.
  4. .Wie viele Schulen sind zurzeit betroffen? Im Landkreis Konstanz sind zurzeit 13 Schulen betroffen. Insgesamt 32 Schulklassen sind in Quarantäne geschickt worden. Auch ein Kindergarten im Kreis ist betroffen.
  5. .Was gibt die Inzidenz-Zahl an? Die Inzidenz zeigt die Anzahl der neu auftretenden Erkrankungen innerhalb einer Personengruppe von bestimmter Größe während eines bestimmten Zeitraums auf. Im Vergleich gibt die Zahl also Auskunft darüber, wie schnell sich ein Virus in einer Personengruppe verbreitet. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner im Landkreis Konstanz ist bei 27,2 (Stand: 13. Oktober) angekommen. Bei einer Inzidenz von 50 pro 100.000 Einwohner drohen Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche. Bricht man die Zahlen auf die Einwohner in Stockach herunter, hat Stockach eine Sieben-Tage-Inzidenz von 133,6, in Hohenfels sogar 246,1. Besser sieht es in Konstanz (28,5), Radolfzell (25,4) und Singen (18,9) aus.
  6. .Wie hoch ist die Reproduktionsrate im Landkreis Konstanz? Die Reproduktionsrate gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Ziel ist es, den Wert unter eins zu halten. Für den Landkreis Konstanz klappt das zurzeit nicht. Die Reproduktionsrate (ein Sieben-Tage-Mittel) liegt bei 1,4; deutschlandweit liegt sie bei 1,43. Ende September lag der Wert im Landkreis Konstanz unter eins.