Der Seeblickhof in Wahlwies liegt idyllisch zwischen grünen Wiesen und Obstplantagen mit Blick zum Überlinger See. Wenige Meter weiter westlich, hinter einer kleinen Anhöhe, rauschen Autos und Lastwagen auf der vierspurigen Autobahn 98 vorbei. Dahinter schließt sich das Industriegebiet Hardt samt Kiesabbaugebiet an. Ein Bild, das sinnbildlich dafür steht, wie der Spagat zwischen Kulturlandschaft und der immer weiter voranschreitenden Flächenversiegelung aussieht.

Der Bedarf ist groß

In den vergangenen Jahren war in vielen Städten und Gemeinden nämlich der Ruf nach neuen Baugebieten und weiteren Flächen für Industrie und Gewerbe groß. Fleißig wurden entsprechend neue Flächen ausgewiesen und Planierraupen, Bagger und Betonmischer waren gefragt, um den Bau-Boom zu bewältigen. Jetzt schlägt eine Initiative aus insgesamt 17 Verbänden, Vereinen und Interessengruppen Alarm. Auch im Raum Stockach.

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Jeden Tag verschwinden 60.000 Quadratmeter Kulturlandschaft

Denn der Bau-Boom der vergangenen Jahre sorge dafür, dass in Baden-Württemberg aktuell pro Tag sechs Hektar Land versiegelt werden, erklärt Hans Steisslinger von der BUND-Gruppe Bodman-Ludwigshafen-Stockach bei einem Pressegespräch auf dem Seeblickhof. Das entspricht einer Fläche von 60.000 Quadratmetern oder mehr als 60 Fußballfeldern.

Im Rahmen der Erschließung von Neubaugebieten wie hier beim Neubaugebiet Kapellenäcker in Stockach, wird viel Fläche Versiegelt ...
Im Rahmen der Erschließung von Neubaugebieten wie hier beim Neubaugebiet Kapellenäcker in Stockach, wird viel Fläche Versiegelt (Archivbild). | Bild: Gerhard Plessing

Andreas Deyer, Kreisvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) Stockach, konkretisiert: „Wenn wir in diesem Tempo weitermachen würden, dann wäre der Landkreis Konstanz bis zum Jahr 2100 komplett zugebaut“.

Volksantrag soll Abhilfe schaffen

Deyer und Steisslinger unterstützen deshalb einen landesweiten Volksantrag, der sich zum Ziel gestellt hat, den Flächenfraß zu stoppen. Zunächst soll dabei der tägliche Flächenverbrauch von sechs auf zweieinhalb Hektar pro Tag reduziert werden. Bis zum Jahr 2035 soll der Flächenverbrauch bei Netto Null ankommen.

„Das würde bedeuten, dass für jede Fläche, die neu versiegelt wird, eine andere Fläche entsiegelt werden muss“, so Deyer. Hans Steisslinger betont, dass diese Ziele bereits im Koalitionsvertrag der Landesregierung von 2021 festgeschrieben – aber noch nicht umgesetzt seien.

„Flächen wachsen nicht nach“

„Im Rahmen des Volksantrags müssen wir mindestens 40.000 Unterschriften sammeln, dann ist der Landtag verpflichtet, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, erklärt Steisslinger weiter. Das Thema ist aus seiner Sicht drängend, denn „Flächen wachsen nicht nach“.

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Für Stefan Leichenauer, Kreisverbandsvorsitzender des BLHV Konstanz, ist das Thema ein Spagat. „Früher gab es im Zusammenhang mit Biokraftstoff Diskussionen über die Frage, ob Landwirte für den Tank oder den Teller Produzieren, heute muss man die Frage stellen, ob wir die Flächen für Wohnraum oder für Lebensmittelproduktion nutzen“, so Leichenauer.

Gewerbesteuer oder Natur?

Auch Alexander Buhl, der den Seeblickhof betreibt und zugleich als Ortschaftsrat in Wahlwies aktiv ist, sieht den Spagat. „Industrie und Gewerbe schaffen Arbeitsplätze und bringen Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinden. Zudem sind wir auch auf eine gewisse Infrastruktur angewiesen“, sagt er. Trotzdem müsse man auf eine gewisse Ausgewogenheit achten.

Das unterstreicht auch Leichenauer. „Heute wird im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung immer über Regionalität gesprochen, aber wenn hier irgendwann die Flächen fehlen, um Lebensmittel zu produzieren, dann müssen die Lebensmittel von woanders herkommen“, erklärt er.

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Flächenversiegelung bedeutet auch Artensterben

Doch es sind nicht nur Produktionsflächen für Lebensmittel und die schön gepflegte Kulturlandschaft im Hegau und um den Bodensee, die in Gefahr sind, betont Hans Steisslinger und erklärt: „Der Flächenfraß ist auch eine Bedrohung für die Artenvielfalt. Und wenn die erstmal weg ist, dann kommt sie nicht einfach wieder.“

Deshalb sei es wichtig, sich jetzt mit dem Thema auseinanderzusetzen. Für ihn geht damit auch eine Systemkritik einher. „Unser Wirtschaftssystem funktioniert ohne Wachstum nicht. Das ist aber mit der Natur nicht vereinbar“, betont er.

Auch Verkehrsflächen wie die hier Autobahn 98 bei Stockach-West und die B313 verbrauchen viel Fläche (Archivbild).
Auch Verkehrsflächen wie die hier Autobahn 98 bei Stockach-West und die B313 verbrauchen viel Fläche (Archivbild). | Bild: Gerhard Plessing

Die einfachen Häuslebauer, die sich ihren Traum vom Eigenheim verwirklichen möchten, wollen Steisslinger und die Landwirte indes nicht verteufeln. Ein Problem in Bezug auf den benötigten Wohnraum sei, dass es viele alte Menschen gebe, die noch allein in einem großen Haus leben.

Ortskerne sterben, Neubaugebiete florieren

Zudem lasse sich in vielen Orten beobachten, dass die Ortskerne eher aussterben, während die Neubaugebiete am Ortsrand wachsen, so Steisslinger. Hier brauche es gute Konzepte für eine innerörtliche Nachverdichtung und eine Belebung der Ortskerne.

Andreas Deyer betont in diesem Zusammenhang, dass er kein Freund davon ist, mit einer Verbotspolitik zu arbeiten. Vielmehr müsse man sich genau anschauen, wo die Probleme herkommen und dann passende Lösungsansätze finden. Das sieht auch Alexander Buhl so.

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Der Anfang muss vor der eigenen Haustüre gemacht werden

„Mir ist es dabei auch wichtig, dass wir nicht großspurig ärmeren Ländern vorschreiben, dass sie auf Wachstum verzichten müssen. Vielmehr müssen wir mit positivem Beispiel vorangehen. Es hilft schon sehr, wenn jeder vor der eigenen Haustür anfängt“, erklärt Buhl.

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Mit einem Gemeinsamen Infostand in Stockach wollen BLHV und BUND demnächst auf das Thema aufmerksam machen und für Unterstützung beim Volksantrag werben. Ein genaues Datum steht dafür jedoch noch nicht fest.