Graffiti-Kunst bedeutet für Jonas Fehlinger Grenzen sprengen. Denn sich selbst Grenzen setzen, das will der 28-jährige Freigeist nicht. Er ist überzeugt davon: nur dann kann man Dinge schaffen, die unmöglich erscheinen. Wie etwa die Graffiti-Kunst auf legale Weise nach Villingen zu bringen.
Jonas Fehlinger ist einer der beiden Künstler, die hinter dem Fasnachts-Graffiti am „Gerber Eck“ stecken. Gemeinsam mit dem Künstler Steffen Schulz hat er knapp zwei Wochen Sprühzeit und rund 30 Dosen Farbe in das etwa 15 Meter lange Graffiti investiert. Herausgekommen ist ein wahres Kunstwerk, staunende Passanten und der Beginn einer Freundschaft zwischen zwei Künstlern, die sich zuvor nicht kannten.

Drei Jahre lang sucht er das Gespräch mit der Stadt
Doch von vorn. Wer ist Jonas Fehlinger? In erster Linie ist der Kunststudent „ein bisschen verrückt“, sagt der Brigachtaler über sich selbst, lacht und streicht sich eine blondgefärbte Haarsträhne aus dem Gesicht. Überhaupt lacht er viel, wenn er spricht, scherzt und ist aufgeschlossen. Außerdem bezeichnet er sich als einen Träumer. Deshalb habe er auch kein Handy: „Ich möchte nicht ständig aus meinen Gedanken herausgerissen werden.“
Er trägt ein kariertes Hemd, darüber eine blaue Jacke. Vollbart und eine schwarze Brille. Jonas Fehlinger steckt voller Ideen und Tatendrang, setzt sich ein, „versucht, was möglich ist“. Auch wenn das bedeutet, der Stadt Villingen drei Jahre lang mit dem Wunsch, ein Graffiti zu sprühen, in den Ohren zu liegen. „Hier ist die einzige Region, wo nicht legal gesprüht werden kann“, sagt Fehlinger. Sein Ziel: „Man braucht legale Flächen hier.“
Die Anfänge in Villingen
Das ständige Wieder-Anklopfen bei der Stadt bleibt nicht unbemerkt. So kommt es, dass der Künstler vor ein paar Monaten im Büro des Bürgermeisters sitzt und ihn schließlich mit den Worten überzeugt: „Wir haben ein Graffiti-Problem.“ Denn, sagt Fehlinger, es gebe viel „sinnlosen Mist“, der gesprüht werde, Schmierereien oder etwa Schimpfwörter. Dem könnte man mit legalen Flächen Abhilfe schaffen. Das Gespräch wirkt. Bald schon meldet sich SPD-Stadtrat Nicola Schurr bei ihm, hinzu kommen Erhan Cuker von der Kneipe „Gerber Eck“ und der Künstler Steffen Schulz.

Die perfekte Gelegenheit, um endlich zu beweisen, dass Graffiti Kunst ist: „Wir können mehr als Schand-Graffiti.“ Um die Villinger zu überzeugen sei klar gewesen: Es muss etwas mit Fasnacht zu tun haben, schmunzelt Fehlinger. Das hieße nicht, dass er in Zukunft nur Schemen malen wolle, aber „wir wollten der Stadt etwas zurückgeben“. Und auch sie bekommen wiederum nach getaner Arbeit von der Stadt etwas zurück: nämlich „extrem viele Rückmeldungen“, berichtet Fehlinger. Durchweg begeisterte Reaktionen, sogar ein Polizist, der das Graffiti lobt.
„Ich will mit der Bevölkerung in Kontakt treten, den Zeitgeist treffen, andere bewegen.“Jonas Fehlinger, Künstler
Mit Graffiti hat sich Fehlinger schon als kleiner Junge beschäftigt. „Die Hip-Hop-Kultur ist für mich eine der schönsten Kulturen“, findet er. Angefangen habe er mit Buchstaben, dann mit Natur-Motiven. Jetzt studiert er Freie Kunst an der Kunstakademie in Karlsruhe. Vorlesungen finden zur Zeit nur online statt. Als freier Künstler seien diese für ihn nicht verpflichtend, erklärt er. Deshalb nutzt er seine Zeit für Projekte. „Ich bin keiner, der seine Kunst in einer Galerie ausstellen will“, sagt er. „Ich will mit der Bevölkerung in Kontakt treten, den Zeitgeist treffen, andere bewegen.“

Dazu gehört es für ihn auch, Workshops zu geben, über Graffiti aufzuklären und vor allen Dingen Jugendliche auf diesem Weg zu erreichen – „Bildung durch Kunst“, wie er es nennt. Graffiti sei ein Weg, über den sich „Jugendliche sinnvoll äußern können“, findet er. „Kunst muss nicht elitär sein“, lautet seine Meinung. „Dadurch wird es einem oft vermiest.“
Wie erlebt er als Künstler die Corona-Zeit?
Wieder zeigt sich: Jonas Fehlinger ist ein Optimist. Und zwar durch und durch. Seine Antwort: „Es ist eine gute Zeit, um zu zeigen, was möglich ist.“ Und: „Man muss Corona nutzen. Die Leute sind bedürftig nach Kultur. Wir müssen jetzt angreifen.“ Die Kunstszene sollte seiner Meinung nach jetzt viel aktiver werden. „Es gibt so viele Möglichkeiten, trotz Corona Kunst zu machen, die viel zu wenig ausgeschöpft werden. Ich finde es schade, dass nicht mehr zu sehen ist“, findet er deutliche Worte.
Großes Projekt steht an
Jonas Fehlinger hat angegriffen. Das Fasnachts-Graffiti war wie ein „Türöffner“ für ihn. Fertig ist er noch lange nicht, ganz im Gegenteil. Er fängt eben erst so richtig an. Ein Großprojekt steht direkt vor der Tür. Eines, das ihm viel bedeutet, das zwei seiner Leidenschaften kombiniert: Jazz und Graffiti. Nämlich das Besprühen des Saba-Geländes. „Ich habe den Investor darauf angesprochen und er war begeistert.“ Der Plan: Das Sabagelände soll vor dem Abriss noch einmal aufblühen – mit ganz viel Farbe, kreativen Köpfen und Freude an der Kunst. Ein Projekt, das nur deshalb zustande kam, weil einer nicht damit aufgehört hat, groß zu träumen.