Es war nur wenige Wochen vor seiner Verabschiedung. Termin auf dem Konversionsgelände: Während alle sich unterhielten, Scherze machten und guter Stimmung waren, weil die Entwicklung des neuen Stadtviertels "Am Buchberg" so gut voranschreitet, zückte Bernhard Kaiser plötzlich sein Handy und stellte sich mitten auf die Villinger Straße. Der Bürgermeister fotografiert einen Baum, der am Straßenrand steht. Was sonst keinem aufgefallen ist, ist Bernhard Kaiser sofort ins Auge gesprungen – der Baum ist beschädigt worden. "Wissen Sie, was so ein Baum kostet?", fragt er.

Es gehört zu Bernhard Kaisers Wesen, sich auch für so etwas verantwortlich zu fühlen. Geschichten, wie er irgendwo in der Stadt unterwegs ist, einen Missstand entdeckt und sofort handelt, gibt es unzählige. Schließlich war er ja auch mehr als 36 Jahre der zweite Mann im Rathaus: Bernhard Everke, Thorsten Frei, Erik Pauly – die Oberbürgermeister wechselten, doch der Bürgermeister blieb der gleiche.

Doch muss ein Bürgermeister sich eigentlich um kaputte Bäume am Straßenrand kümmern? Für Kaiser keine Frage. "So bin ich einfach erzogen worden", erklärt Kaiser ganz einfach. Und das möchte er auch weitergeben, an seine Kinder und Enkelkinder und auch an seine Kollegen – so eine gewisse Vorbildfunktion hat man als Bürgermeister ja schließlich auch. Und vielleicht auch die Bürger. "Das ist schließlich alles öffentliches Eigentum, das jeder Bürger mit seinen Steuern und Abgaben finanziert hat."

Diese Allzuständigkeit ist es, die Kaiser all die Jahrzehnte an seiner Aufgabe fasziniert hat. "Es kommt alles auf der kommunalen Ebene an und man muss dann Lösungen suchen", erklärt der Bürgermeister. Ist die Kommune überfordert, muss der Kreis ran, dann das Land oder der Bund. "Und das ist sicher das Faszinierende, wenn man für alles verantwortlich ist." Das sei nicht immer angenehm, weil man für alles verantwortlich ist und auch gemacht wird. Aber unter dem Strich: "Das ist das Tolle an dieser Aufgabe."

Über allem steht: die Suche nach der besten Lösung für die Stadt. "Wir arbeiten ja nicht in einem Labor, sondern alles, was wir tun, machen wir für die Menschen, die in unserer Stadt leben." Am Anfang steht die Idee, der Impuls. Egal woher er nun kommt, ob aus der Verwaltung, dem Gemeinderat oder aus aktuellen Entwicklungen. Und dann gilt es, darauf zu reagieren. "Dann geht es erst richtig los", erklärt Kaiser. Die Verwaltung wird in Gang gesetzt und leitet alles in die Wege, um die Ideen umsetzen zu können. Von der Finanzierung über die Planung bis hin zur Beauftragung. Der einfache Vergleich: Wenn jemand entscheidet, ein Haus zu bauen, dann steht das Haus noch lange nicht. Termine mit der Bank, der Kauf eines Grundstückes, die Gespräche mit dem Architekten und vieles mehr stehen noch an. Bloß dass es bei dem, das auf Kaisers Schreibtisch liegt, nicht um ein Haus, sondern gleich um eine ganze Stadt geht.

Und es war vieles, das in den vergangenen 36 Jahren über seinen Schreibtisch ging. Die Stadt hat sich in dieser Zeit maßgeblich gewandelt. "Wir haben uns nicht nur sehr stark qualitativ entwickelt, wir haben uns auch quantitativ entwickelt", sagt Kaiser. Die Stadt ist gewachsen, Wohngebiete kamen hinzu, Industrie siedelte sich an. Man müsste es auch ein bisschen kritisch hinterfragen, aber eine "ganze Zahl von Hektar" sei in dieser Zeit überbaut worden. Die Qualität der Infrastruktur sei gestiegen: Bildung und Betreuung hätten sich gewandelt und wären besser geworden. Bei der technischen Infrastruktur habe sich viel getan und auch die soziale Infrastruktur, in der sich viele Kultur- und Sportveranstaltungen etabliert hätten. Zum Vergleich müsse man nur einmal einige 100 Kilometer die Donau hinunter fahren und Donaueschingen mit den Kommunen dort vergleichen.

Und wie groß ist der Anteil, den Bernhard Kaiser daran hatte? Mit der Frage, ob er stolz ist, braucht man ihm überhaupt nicht kommen. Zufriedenheit darf nicht in Selbstzufriedenheit gipfeln. Doch einen positiven Rückblick wagt er: "Das Städtchen hat sich doch ganz toll entwickelt und ich habe dazu einen kleinen Beitrag geleistet." Denn Kaiser sieht sich in einer Reihe: Vor ihm waren welche da, nach ihm werden andere kommen, die es anders machen. Die Entwicklung einer Stadt sei ein kontinuierlicher Prozess, die Kaiser-Ära nur ein kleines Fenster. Wichtig aber: zu wissen, was vorher war. Was war früher? Wie hat sich was entwickelt? Wie ist es wozu gekommen? Im Donaueschinger Rathaus war Bernhard Kaiser irgendwann der, der all diese Fragen beantworten konnte und oft die politische Diskussion mit seinem Fach- und Sachwissen bereichert hat.

Bis zum letzten Tag hat Bernhard Kaiser 100 Prozent und mehr gegeben, doch selbst bei ihm gibt es mal lästige Pflichten. Natürlich gibt es Dinge, auf die er auch gern verzichten könnte. Nicht in jede Sitzung oder Besprechung geht er gerne. Wenn eine Institution ihn mal "fürchterlich geärgert" hat und man trotzdem weiter miteinander arbeiten muss. "Aber da muss man durch und man muss versuchen, zu einem anständigen Ergebnis zu kommen." Doch die richtig schlimmen Dinge sind für ihn, wenn's um Schicksale geht. Mitarbeiter, die krank werden. Menschen, die sterben. "Je mehr Leute man kennt und mit je mehr Leuten man zusammenarbeitet, desto häufiger wird man auch mit solchen Sachen konfrontiert."

Vieles hat Kaiser in den Jahren gelernt und hinbekommen, doch das mit der guten Miene zum bösen Spiel liegt ihm nicht. Man kann es ihm im Gesicht ablesen. Der ehemalige Ordnungsamtsleiter Hubert Zimmermann verglich Kaiser einst mit einem HB-Männchen. Das eine oder andere Mal ist der Bürgermeister explodiert, immer fand er deutliche Worte, doch nie war er nachtragend. Wobei: Im Laufe der Jahre ist er auch etwas ruhiger geworden, hat ein bisschen Gelassenheit entwickelt. "Man weiß einfach, es geht nachher weiter." In der Anfangszeit sah Kaiser sein Ziel und wollte hin – auf dem direkten Wege – und stürmte los. Der direkte Weg zum Gipfel. Heute weiß er, dass man auch andere Wege gehen kann, um das Ziel zu erreichen und dass es manchmal Zeit braucht. Ein Beispiel? Beim Grunderwerb gibt es Fälle, die hat er schon übertragen bekommen und nun mit der dritten Generation zu Ende geführt. "So etwas hätte ich mir vor 36 Jahren nicht vorstellen können", blickt Kaiser zurück. Man wird ruhiger und weiß auch, dass es Dinge gibt, die man nicht lösen kann. Im Laufe der Zeit lernt man die Diplomatie und "mit 30 ist man anders unterwegs wie mit 67 Jahren".

Durchaus gab es auch in all den Jahren schwierige Situationen und die Fragen "Muss ich mir das geben?" oder "Halte ich das aus?" Doch als junger Familienvater, der ein Haus gekauft hat, war Kaiser auch gebunden, hatte Verpflichtungen und war eingebunden in Notwendigkeiten. "Das hatte vielleicht auch erzieherische Effekte: Das ich gesagt habe, jetzt reiße ich mich mal am Riemen." Und mit der Zeit überzeugte Kaiser auch seine Kritiker mit seiner Arbeit und Donaueschingen wurde ihm zur Heimat. Der Ruf aus der Ferne lockte ihn gerade in der Aufbauphase der ostdeutschen Bundesländer, doch es war eine Abwägung: "Donaueschingen war und ist eine besondere Gemeinde." Und dann war da noch der riesen Respekt vor einer Volkswahl. "Das ist eine andere Dimension." Die Nummer 1 in Donaueschingen wollte er nie werden, immer war ihm klar, dass es in der eigenen Stadt nicht funktionieren werde, sich aus der Position des Bürgermeisters als OB zu bewerben.

Die Kandidatur 1996 für die Position des Landrates wurde für ihn zur Enttäuschung, weniger, weil es nicht geklappt hat, sondern weil manch einer es mit der Ehrlichkeit und Offenheit nicht so ernst genommen hat– eine menschliche Enttäuschung, aber eine Erfahrung fürs Leben. Unehrlichkeit bringt Bernhard Kaiser ebenso auf die Palme, wie wenn jemand hinter seinen Fähigkeiten zurückbleibt. Dafür kann man ihn mit Intelligenz und Fleiß überzeugen.

Zwar wird auch der Bürgermeister gewählt, aber vom Gemeinderat. Sicher war er seiner Sache nie. Ein paar Gegenstimmen hatte er immer. "Ich habe nie auf eine 100-prozentige Zustimmung hingearbeitet. Das hätte schon von meiner Art nicht funktioniert." Aber es wurden nie mehr Gegenstimmen, sonst hätte er sich schon überlegt, ob es nicht für ihn und auch für die Stadt besser sei, zu gehen. Und bei der letzten Wahl war es dann nur noch eine Gegenstimme – wohl auch ein bisschen als Dank der Stadträte, dass er noch einmal angetreten war. Schließlich galt es den damals neuen OB Erik Pauly zu unterstützen und den Konversionsprozess ins Laufen zu bringen. Erst als auch die Nachfolge des langjährigen Stadtbaumeisters Heinz Bunse geklärt war, entschied sich Kaiser, dass es jetzt reicht.

Und genau wie bei Bunse gibt es ein Projekt, das er gerne noch weiter nach vorne getrieben hätte: die Sanierung und Erweiterung des gelben Rathauses, die so lange hinten anstehen musste, obwohl auch hier dringend Handlungsbedarf geboten ist. Doch wie es nun einmal ist, wenn man sich in einer Reihe befindet, hat auch Kaiser einen Nachfolger: Severin Graf. Vieles haben sich die beiden in den vergangenen Wochen gemeinsam angeschaut. Als "visueller Typ" fuhr Kaiser mit ihm auch oft durch die Stadt und die Ortsteile und zeigte ihm Projekte, Baustellen und alles, was wichtig ist. Sicher wird er ihm auch das Interkommunale Gewerbegebiet übergeben – ein Projekt, dessen Realisierung bislang am Roten Milan gescheitert ist.
Morgen hat Bernhard Kaiser seinen letzten richtigen Arbeitstag und wenn am Schmutzigen Dunnschtig das Rathaus gestürmt wird und die Spitze der Stadt abgesetzt wird, ist es nur bei Erik Pauly vorübergehend. Für Bernhard Kaiser ist es der endgültige Abschied aus der Verwaltung – aber nicht der von Donaueschingen. Dann wird er eine neue Aufgabe übernehmen: die des privaten Kaisers.

Zeit für die Familie, ein bisschen in der Region unterwegs sein, den Schwarzwald anschauen, die Nordsee besuchen und dann ist da auch noch das Haus und der Garten. Eben all das, was die Aufgabe des privaten Kaisers ist. Und gewiss wird er sich auch diesen Aufgaben mit mehr als 100 Prozent widmen und vollen Einsatz zeigen. So wie er es doch schon immer gemacht hat