Seit fast einem Jahr ist die Welt im Ausnahmezustand. Abgesehen von wenigen Monaten im Sommer, als fast so etwas wie Normalität eingekehrt war, läuft der Alltag seit Herbst wieder im Corona-Modus. Dieser fühlt sich mittlerweile für viele an wie eine Dauerschleife aus Einschränkungen, Sorgen, Einsamkeit und Zukunftsangst. Und selbst wenn dieser Trott durch gute Nachrichten wie den Impfstart oder die Zulassung weiterer Vakzine unterbrochen wird: Die nächste Hiobsbotschaft – Stichwort: Virusmutation – kommt bestimmt.
Psychologen erarbeiten Umfrage
Wie Menschen die Corona-Pandemie erleben und wie es ihnen damit geht, untersuchen die aus Villingen stammende Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin Verena Müller und ihr Kollege Peter Wilhelm von der Universität Fribourg in der Schweiz seit vergangenem Frühjahr mit einer Online-Befragung. Bislang haben besonders viele junge Menschen daran teilgenommen. Daher können Studienautor Peter Wilhelm – er ist Dozent am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie – und Doktorandin Verena Müller hier auch bereits Aussagen treffen.

- Das sagen Psychologen: Corona bedrohe die Gesundheit und Zukunft jedes Einzelnen, sagt Wilhelm. Genau darin liege der Stressfaktor der Pandemie. Zugleich würden Aktivitäten wegfallen, die ein positives Lebensgefühl wecken. Die Untersuchungsergebnisse würden zeigen, dass Studierende zwischen 18 und 28 Jahren im Lockdown vermehrt an Ängsten, depressiven Verstimmungen und körperlichen Missbefinden berichteten, sagt Verena Müller. „Sie waren reizbarer und verspürten Hoffnungslosigkeit.“
Auch herrsche eine große Verunsicherung, da die Pandemie die Zukunft weniger planbar mache. „Wir erleben einen Kontrollverlust.“ Die gute Nachricht sei jedoch, dass Resilienz, also psychische Widerstandsfähigkeit, gefördert und trainiert werden kann. Trotz aller Einschränkungen sei es wichtig, weiterhin Dinge zu tun, die einem Freude bereiten oder auch etwas Neues auszuprobieren. Die 28-Jährige selbst nimmt sich für ihre Hobbys bewusst mehr Zeit: Yoga, Spaziergänge, Wandern, Lesen und Musik. „Das klingt trivial, hilft aber, den Alltag zu strukturieren.“

- Der Mannschaftssport fehlt: Der elfjährige Hannes Köpplin aus St. Georgen kommt bislang gut durch den zweiten Lockdown. „Mir geht‘s gut“, sagt Hannes, der die sechste Klasse des Thomas-Strittmatter-Gymnasiums besucht. „Aber ich finde es nervig, dass man nirgendwohin gehen kann.“ Am meisten fehle ihm das Handballtraining. Seit er vier Jahre alt ist, spielt er Handball, aktuell ist er in der D-Jugend beim Turnverein St. Georgen. „Als die Zahlen so zurückgingen, hatte ich mal kurz Training und Ende September sogar einige wenige Spiele.“ Das Lernen zu Hause klappe sehr gut. „Beim ersten Lockdown hatten wir sechs Stunden Online-Unterricht am Tag, das war echt anstrengend.“ Inzwischen seien es nur noch zwei Stunden Unterricht mit der Lernplattform Moodle. In Videokonferenzen bespricht die Klasse gemeinsam die Aufgaben, die zu Hause bearbeitet wurden. Wie hält er den Kontakt zu seinen Freunden? „Mit ein paar von ihnen skype ich, telefonieren machen wir eher selten.“ Die Freizeit verbringt Hannes größtenteils mit seinen Brüdern Philipp (6) und Mattis (9). „Wir sind viel draußen, mindestens eine Stunde am Tag. Wir rodeln viel und haben mit Langlauf angefangen. Und sonst bauen wir Schneemänner.“

- Zeit für sich selbst: „Der Alltag ist seit März schon sehr eintönig“, sagt Kim Kaltenbach. Die angehende Erzieherin aus Vöhrenbach ist 20 Jahre alt. „Ich bin viel zu Hause und freue mich, wenn ich hin und wieder einzelne Freunde sehe.“ Sie vermisst in erster Linie Sport und den damit verbundene Ausgleich zum Alltag. „Mit Sport verbinde ich auch das Treffen mit Freundinnen, gemeinsame Ziele und das gegenseitige Motivieren und vor allem Spaß“, sagt sie. Mittlerweile nehme sie auch an Online-Sportkursen teil. „Diese sind allerdings im Moment die einzigen ‚Termine‘ außerhalb des Berufs“, sagt sie. Immerhin bringe das ein Stück Normalität in den Alltag zurück. Ihr fehlen auch das Ausgehen und Feiern mit dem Freundeskreis. „Das gehört für mich zum Leben eines jungen Erwachsenen dazu, wo tolle Erfahrungen gesammelt und unvergessliche Momente erlebt werden.“ Kim Kaltenbach kann der Pandemie jedoch auch Gutes abgewinnen: „Die viele Zeit für mich selbst tat auch gut, um Stress aus dem Alltag zu nehmen oder bisher verschobene Projekte in Angriff zu nehmen.“ Im Vergleich zu vor einem Jahr sei sie sehr viel draußen, egal ob spazieren, Langlaufen oder Joggen. Auch das zähle zu den positiven Dingen während der Corona-Zeit.

- Videochats sind nicht dasselbe: „Die Corona-Zeit ist das am meisten unerwartete Ereignis in meinem bisherigen Leben.“, sagt die 20-jährige Julia Obrowski. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich nicht einmal mehr mit meinen Freunden essen gehen kann.“ Ihr fehle am meisten der Kontakt zu anderen, vor allem zu ihren Freunden. Gerade am Wochenende sei es oft einsam geworden. Videochats seien einfach nicht dasselbe. „Also verbringe ich die meiste Zeit zu Hause mit meinen Eltern, da wir ein Haushalt sind.“ Zwar sei es anfangs auch schön gewesen wieder einmal mehr Zeit mit den Eltern zu verbringen. Hocke man aber ständig mit den gleichen Personen aufeinander, komme es auch viel häufiger zu Streitereien. „Man hat keinen Ausgleich mehr und wünscht sich einfach nur, dass alles so schnell wie möglich vorbeigeht“, fasst Julia zusammen. Das einzige Highlight der Woche sei die Arbeit, sagt die 20-Jährige, die in Bräunlingen gerade ihre Ausbildung zur Erzieherin absolviert. „Es ist eine trostlose Zeit und die negativen Tage überwiegen.“ In ihrer Freizeit ist sie normalerweise aktive Turnerin. „Meine Mannschaft, mit der ich schon über zehn Jahre trainiere, sehe ich nur noch über einen Bildschirm. Wir machen nur noch Krafttraining, weil zu Hause zu wenig Platz ist, um Überschläge und Saltos zu springen.“ Sie habe ein bisschen Angst, dass ihr die besten Jahre in ihrem jungen Leben genommen werden. „Klar kann man irgendwann wieder ausgehen. Aber nachholen kann man da nichts. Die Zeit, die nun vergangen ist, ist weg.“ Trotz allem kann auch Julia der Coronakrise etwas Gutes abgewinnen: „Ich sehe viele Dinge nicht mehr als selbstverständlich an.“