Wie fühlt es sich an, die Strecke der Deutschen Radmeisterschaft als Amateur zu fahren? Um genau zu sein: als einigermaßen unsportlicher Rad-Pendler. Ich will es wissen.
Als ich mich morgens verabschiede, gibt mir meine achtjährige Tochter noch einen mit: „Ich hoffe, du überlebst das.“ Sie hat nicht ganz unrecht. Meine letzte längere Radtour liegt ein Jahrzehnt zurück, die Pollen stehen auf Anschlag, der UV-Indes auf Stufe 7 und es ist drückend schwül. Die Bedingungen sind denkbar schlecht.
Egal. Ich lade den Streckenverlauf in die Navigations-App, arrangiere mir eine Podcast-Playlist für vier Stunden (reichlich pessimistisch) und schwinge mich aufs Rad.

Erst deutlich später merke ich, dass ich etwas wichtiges vergessen habe.
Noch geht es leicht
Start ist am Rathaus Donaueschingen. Bei der Fahrt über die Karlstraße wirkt es fast so als erwache die Stadt.
Mir fällt eine Zeile aus einem alten Lied von Yello ein: „The streets are naked in the morning sun.“ Die Stimmung passt perfekt.

Durch die Stadt fällt es mir bislang leicht. Das bin ich von der täglichen Fahrt in die Arbeit gewohnt. Flott geht es weiter in Richtung Pfohren über gut ausgebaute Kreisstraßen.
Nach dem Abbiegen nach Aasen folgt eine lange Durststrecke von gut drei Kilometern. Ein kaum sicht- aber dafür spürbarer Anstieg, leichter Gegenwind und zunehmende Schwüle sorgen für die erste Herausforderung.

Aber das ist alles noch Pillepalle. Ich sehe schon den Anstieg bei Aasen vor mir und bekomme langsam ein mulmiges Gefühl.

Im Ort spenden Bäume an der Straße Schatten, ein Schild warnt vor einer Radarkontrolle. Sagen wir mal so: Mein Führerschein ist sicher. Es gibt aber ganz subversive Angriffe aufs geistige Wohlbefinden. In dem Podcast, der gerade im Kopfhörer läuft, geht es um die Grenzen des menschlichen Körpers. Noch kann ich über diesen ironischen Kommentar aus dem Off lachen.
Die Strecke biegt ab und führt am Restaurant „Die Burg“ vorbei. „Einen Stopp wert“, urteilt der Gastroführer Michelin. Nicht für mich. Ich bin damit beschäftigt, vor der steilsten Stelle der Anfahrt zum Rundkurs zu kapitulieren. Wer sein Rad liebt, der schiebt.
Bittere Erkenntnis
Die Sonne ist so gnadenlos wie die Steigung. Als ich endlich auf der Höhe angelangt bin, greife ich zur Wasserflasche. Da fällt mir auf, dass ich meine Getränke daheim vergessen habe. Ich muss an den Spruch meiner Tochter denken und mache mir jetzt doch Sorgen.

Nach Heidenhofen und Biesingen geht es jedoch erst mal nur bergab. Zeit durchzuschnaufen. Der Wechsel auf den Rundkurs erfolgt am Kreisverkehr zwischen Biesingen und Sundhausen. von der Kreisstraße nach Oberbaldingen lotst mich die die Navi-Stimme im Ohr über eine Nebenstraße nach Öfingen.
Auf einem gemähten Feld suchen Storche nach Nahrung. Die Idylle lenkt ein bisschen vom Blick auf das hoch gelegene Öfingen ab. Mir wird klar: Die entspannende Abfahrt muss ich jetzt büßen.

Der Anstieg erweist sich als unglaublich zäh. Der Steigung ist zunächst gar nicht anzusehen, wie fies sie wirklich ist. Und am ramponierten Asphalt scheinen die Reifen festzukleben.

Dann merke ich, dass die Plackerei völlig umsonst war. Nach dem ersten Hügel geht es in einer S-Kurve kurz bergab, dann in den zweiten supersteilen Abschnitt der gesamten Tour.

Wie gewonnen, so zerronnen.
Nach einem Schlenker durch den Ort verkündet ein Schild: „Auf Wiedersehen in Öfingen – heilklimatischer Kurort.“

Heilende Wirkung verspreche ich mir von der nun folgenden Abfahrt. Eine schöne Allee.

Der Wind aus dem Tal pfeift in den Ohren. Auf den flachen Passagen muss ich mich tief über den Lenker beugen und sogar ein bisschen zusätzlich strampeln, damit ich richtig Fahrt mache.
Die Oase auf der Durststrecke
In Oberbaldingen finde ich in einer Bäckerei endlich Wasser (klingt wie auf der Wüstenexpedition). Ein Plunderstückchen lächelt mich an, das ist aber definitiv erst für später.
Vor der Bäckerei fegt ein Mann den Gehweg. Wir kommen ins Gespräch. Thema: Es ist schwül. Dass ich die Radstrecke im Selbstversuch teste, findet er gut. Dann könnte man die Leistungen der Profis besser einschätzen. Gestärkt durch Flüssigkeitsaufnahme und menschlichen Kontakt schwinge ich mich wieder aufs Rad.
Ein Schild an der Ortsausfahrt begrüßt alle Radsportler zur Rad-DM in Oberbaldingen. „Radsport war unser Leben“, heißt es von den abgebildeten Hans und Rosie. Das ist lieb gemeint, aber der direkt dahinter befindliche Friedhof wirkt auf mich nicht sonderlich motivierend.
Zwischen Biesingen und Heidenhofen, stehen diesmal in der umgekehrten Richtung statt rasanter Abfahrt ein quälender Anstieg an. Unterwegs gibt es wieder jede Menge Landschaft zu bewundern. Für meinen Geschmack etwas zu viel davon. Von mir aus könnte der Kurs endlich auf Bad Dürrheim gesetzt werden.
Steil, steiler, Aasen
Vorher führt die Strecke aber in einer Doppelschleife erneut durch Aasen. In Sachen Steigung werden dort wieder alle Register gezogen – mehrmals wird es richtig knackig. Die schlimmsten Stellen muss ich schieben.

Immer wieder geht es den steilen Hang im Ort hoch und runter. „Wollt ihr mich verarschen?“, schreie ich stumm in meinem Kopf.

Es kommt kein Laut über meine Lippen, der Mund ist komplett ausgedörrt. Aasen ist der Endgegner.

Dann endlich die Erlösung: Auf der Höhe wo sich Aasen und Heidenhofen fast berühren, geht es ein letztes Mal zurück ins Tal.

Ich passieren das Vereinsheim des örtlichen Schützenvereins. Mir kommt in diesem Moment die Geschwindigkeit von Geschossen absurd vor. Aasen lässt mich natürlich nicht ziehen, ohne mir einen letzten Hügel in den Weg zu setzen. Dann ist aber tatsächlich eine Schussfahrt angesagt.
An der Bundestraße liegt ein Feld mit einer Photovoltaik-Anlage an der Strecke. Die Paneele freuen sich im Gegensatz zu mir sicherlich über die sengende Sonne. Immerhin empfinde ich die lange Gerade über die alte Bundesstraße bis nach Bad Dürrheim jetzt als entspannten Endspurt. Allerdings merke ich kurz vor dem Ziel, dass die menschliche Anatomie nicht für Fahrradsattel gemacht ist.
Im Ziel fehlt der Applaus
Am Busbahnhof in Bad Dürrheim noch ein kurzer Check, ob ich wirklich am Ende der Route angelangt bin. Ja, bin ich.

Es fühlt sich falsch an: Vier Tage vor dem ersten Rennen verrät nichts, dass hier das Ende der Strecke ist.
Keine Markierung auf dem Boden, kein jubelndes Publikum und nicht mal das Navi verkündet, dass ich mein Ziel erreicht habe.
Mein Körper glüht. Aus Trotz fahre ich noch ein Stück weiter und hole mir ein Eis.
Für die Profis wird es viel härter. Sie fahren von Bad Dürrheim aus zurück nach Öfingen und drehen erneut ihre Runde über die Ostbaar. Die Frauen viermal, die Männer siebenmal. Und immer durch Aasen – den Endgegner. Ich habe überlebt.