Der Schwarzwald ringt um seine Zukunft. Wissenschaftler und Förster sind auf der Suche nach einem Baum, der aktuellen und künftigen Klimaentwicklungen standhalten könnte. Der Blick schweift automatisch in wärmere und trockenere Regionen. Erste Versuche laufen jetzt bei Villingen.
Sein Kampf um den Wald begann auf der Baar
Beteiligt daran ist Tobias Kühn. Er ist von jeher ein Schwarzwald-Junge. In Hubertshofen bei Donaueschingen wuchs er auf, heute leitet er eines des großen kommunalen Forstämter im Land. Er ist der Chef des städtischen Waldes von Villingen-Schwenningen mit all seinen stattlichen Ausdehnungen.

Sein heutiges Engagement hat sich schon früh abgezeichnet, in den Achtzigern. Fast hätten Günther Oettinger und Tobias Kühn den Schwarzwald damals vor dem Überlebenskampf bewahrt. Es war Mitte der Achtziger, als sich eine besondere Aktion anbahnte. Tobias Kühn sitzt heute in seinem Dienstzimmer an der Villinger Waldstraße und erinnert sich: „Ich habe als Kind eine Fernsehsendung über Kalkdüngung des Waldes gesehen. Ein Wissenschaftler aus dem Bayerischen, der in dem Beitrag sein Wissen zum Besten gab, „hat mich nachhaltig beeindruckt und ich habe ihn spontan angeschrieben“.
Mit dem Papa auf Einkaufstour
Papa Kühn unterstützte den kleinen Tobias, als der die Sache mit dem Kalken der Tannen und Fichten selbst ausprobieren wollte. „Ich weiß noch, wie wir zu zweit zur ZG nach Donaueschingen gefahren sind und 100 Kilo Kalk, gemischt mit Magnesium und Kalzium, eingekauft haben“. Der Bub aus Hubertshofen hatte in seinem geliebten Wald Bäume entdeckt, die „kränklich gelb aussahen, dort haben wir das Gemisch ausgebracht – von Hand“, schmunzelt Kühn. Der Erfolg sei zu sehen gewesen. „Ein Jahr später waren die Bäume wieder grün“, sagt er heute und lächelt stolz.

Das war es aber noch nicht. Mit dem Wissenschaftler aus dem Bayerischen entwickelte sich nach Hubertshofen ein reger schriftlicher Austausch, während sich Tobias Kühn langsam politisch engagierte. Er trat in die Junge Union (JU) ein, die er später in Donaueschingen auch leitete.
Die junge Union und ihr Projekt
„Wir haben dann als JU eine Versuchsfläche in Hubertshofen definiert, unterstützt von Förster Fesenmeyer“. Polit-Marketing betrieb Kühn schon früh. Er verteilte in den örtlichen Zeitungsredaktionen notorisch selbst getippte Manuskripte und Fotos.
Eines Tages schrieb er einen Brief an einen gewissen Günther Oettinger. „Der war damals Landesvorsitzender der Jungen Union und Landtagsabgeordneter“, schmunzelt Kühn und berichtet, wie der spätere Ministerpräsident Oettinger in Hubertshofen angereist kam und sich vom Parteinachwuchs den Versuch zur Rettung des Waldes zeigen ließ.

Er war die Zeit, als der Begriff vom Waldsterben bekannt wurde. Das Lametta-Syndrom war dabei eine Formulierung, welche auch die Wissenschaft verwendete. Nach unten hängende Nadeläste galten als Ausweis eines kranken Baums, weiße Flecken auf den Nadeln kamen hinzu, der saure Regen spülte die Luftschadstoffe in die Wälder.
Begriffe von einst auf dem Prüfstand
Das Lametta-Syndrom hält Kühn heute für widerlegt. Nicht aber das Problem mit den Schadstoffen im Regen. Private Kohleheizungen ohne Filter seien damals in den Siedlungen verbreitet gewesen, aus den Schornsteinen der Fabriken sei über Jahrzehnte zu viel Gift in die Luft geblasen worden. Helmut Kohl habe 1986 die Entschwefelung der Kohlekraftwerke eingeleitet. Ein weiterer Meilenstein aus der Sicht Kühns: „Es kam in den Achtzigern ja auch der Katalysator für Autos.“ Seither, so erinnert er, „stank es nicht mehr so“.

Schon 1976 ist Tobias Kühns Familie von Marbach bei Villingen nach Hubertshofen gezogen. „In dem Jahr gab es in dem kleinen Ort ein Gießverbot“, erinnert sich Kühn an sein erstes Hubertshofener Sommerjahr. Er beschreibt, wie schwer es ihm als Neunjähriger gefallen sei, den Garten nicht zu wässern.
Heute, im Sommer 2021, ist vieles anders – und doch so ähnlich. Kühn muss ob der Parallelen auch lächeln. Den Wald kalken lässt Kühn noch heute. Er schickt 2021 „wohl zum letzten Mal“ den Hubschrauber über die VS-Wälder los. Satellitengesteuert per GPS fliegt der Heli dann detailgenaue Routen über die Bestände, setzt kurz den Behälter auf den Boden, den ein Radlader rasch auffüllt. Akkordarbeit eigentlich, hochtechnisiert.

Kühn wurde in seinen jungen Jahren in Donaueschingen hart angegangen. Immer wieder kam es zu politischen Debatten mit Vertretern der Grünen, die seine Kalk-Aktion blockieren wollten. Schließlich setzte sich aber der politisch Stärkere durch, dank vielseitiger Unterstützung der Politprominenz. Und über das Waldkalken echauffiert sich heute keiner mehr.
Wo Kühn das Problem sieht
Kühn sagt im Juli 2021, das Problem des sauren Regens sei vor allem das gewesen: die Bodenschäden. Das mit dem Regen übersäuerte Erdreich „habe nur noch wenig Pufferkapazität“ gehabt. Die im Erdreich gespeicherten Nährstoffe seien nach unten in andere Schichten geschwemmt worden. Deshalb habe „die tiefer wurzelnde Tanne auch zuletzt einen Vorteil gegenüber der flach wurzelnden Fichte gehabt“, erklärt der Förster. Fichten kippten bis zuletzt bei Stürmen mitsamt ihrem meist tellerförmigen Wurzelwerk einfach um – der Boden hielt den Baum nicht mehr. Zu trocken. Tannen blieben eher stehen – oder brachen weiter oben einfach ab, oft unter der Last von Schnee und Eis.

Seit 1986 würden die Wälder immer gezielter gekalkt. Bei Villingen allerdings nicht überall. Ausgenommen sind alte Moorgebiete, die ausgetrocknet sind, aber revitalisiert neu aufgebaut werden. „Kalk wäre da kontraproduktiv“, sagt Kühn und nennt das Pfaffenmoos zwischen Tannheim, Überauchen und Pfaffenweiler. Diese so genannten Missen-Standorte sind mannigfaltig etwa im Neuhäuslewald zu finden, zu erkennen sind die entwässerten Hochmoore an der plötzlich andersartigen Vegetation. Die Wiedervernässung sei ein Langzeitprojekt. „Fürs nächste Jahrhundert haben wir damit angefangen“, so Kühn.
Der Forstamtsleiter hat sowohl seine Diplom- wie auch seine Doktorarbeit zum Thema Ökologie und Wald verfasst. Promoviert hat er mit einer Arbeit über „Beschaffungsentscheidungen der Holzindustrie am Beispiel zertifizierten Holzes“.
Für Kühn hat sich die Bedrohung der Wälder beschleunigt, auch Laubhölzer seien alles andere als sicher. Schon 1983 habe es einen drastisch trockenen Sommer gegeben, zuletzt gehäuft wie 2018, 2019 und 2020. „Es geht dann ganz schnell“, schildert Kühn. „Die Hitze lässt Feuchtigkeit und Wasser verdunsten. Die Bäume trocknen binnen Wochen aus. Dann werfen sie die Blätter ab, Käfer und Schmetterlingsraupen befallen die Bestände, dann ist das Gehölz meist sehr rasch tot“, schildert er den Ablauf.
Kühn hadert im Jahr 2021 über deutsche Alleingänge beim Umweltschutz. „Wir sind zu klein“, begründet er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Aufgabe müsse es sein, „die USA, China und Russland mitzuziehen“.
Trotzdem versucht der Forstbetrieb heute alles, um den Wald mit anderen Baumarten für den Klimawandel zu wappnen. Bei Villingen gibt es jetzt ein neues Versuchsfeld: „Hier haben wir Douglasie, Atlas-Zedern und türkische Tanne aus Anatolien“, erklärt er. VS sei hier durchaus führend, erst kürzlich sei vom Landesministerium die Weisung ergangen, jede Kommune müsse für den Wald etwas ausprobieren. Kühn und sein Amt schauen bereits, wie es wächst.
„Vor allem die türkische Tanne entwickelt sich sehr gut“, schildert er. Der Baum aus Anatolien sei auf einem Drittel der Villinger Versuchsfläche bestens angewachsen. 3500 Pflanzen werden hier hochgezogen. Sorgsam eingezäunt und beobachtet von Experten des VS-Amts.
Wird der Schwarzwald also bald von einem türkischen Baum geprägt? Kühn winkt mit der ganzen Erfahrung seiner Berufs-Jahrzehnte ab und lächelt leise. „Das ist jetzt erst einmal ein Ausprobieren. Was in zehn Jahren ist, weiß keiner“, sagt er und verweist auf das Beispiel Obereschach.
Dort gab es nach Jahrzehnten bei Villingen mit einem neuen Baum plötzlich Probleme. Hier sei die Küstentanne in den Achtzigern angesiedelt worden, der Baum habe sich prächtig entwickelt. Und zuletzt dann das Fatale: „Alle Bäume sind trotz einem halben Meter dicker Stämme heute futsch.“ Zu heiß, zu trocken, der Käfer. Forstarbeit ticke in Jahrzehnten und über Jahrhunderte, erklärt Tobias Kühn. Mit seinen Kollegen will er es schaffen, den Schwarzwald zu retten. Die Tanne aus Anatolien kann der Schlüssel sein.