Mujtaba Naqshband hat es geschafft. Auch wenn er das selbst nicht so pathetisch formulieren würde. Er sagt: „Jetzt wird alles gut.“ Denn: Jetzt, nach fünf Jahren in Deutschland, ist er nicht nur körperlich, sondern auch beruflich in Villingen angekommen. Kürzlich hat er seine Abschlussprüfung zum Landschaftsgärtner mit einer „2“ – der Note „gut“ – bestanden. Doch bis dahin war es ein steiniger, und zuweilen gefährlicher, Weg.

Naqshband Geschichte beginnt im Norden Afghanistans. In einem Dorf, rund 300 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt. Eingebettet in ein dürres Land aus Sand und Steinen, aus Feldern und Obstplantagen, wuchs der heute 21-Jährige auf. „Solange ich denken kann, hat es Krieg gegeben“, sagt er.

Einen Krieg und ein Dutzend Aufstände, in die stets die Taliban verwickelt waren. Wann er das erste Mal mit ihnen zusammenstieß, daran kann sich Naqshband nicht mehr erinnern. Er weiß noch nur, dass er noch sehr klein war und sein Vater, damals Kommandant einer Polizeieinheit, den Taliban immer ein Dorn im Auge gewesen sei. „Sie haben uns bewacht.“

Der Tod seines Vaters

Und dann – Naqshband muss etwa drei oder vier Jahre alt gewesen sein – das Unvorstellbare: Sein Vater wird vergiftet. Er war zu einer Hochzeit nach Kabul gefahren. Und da, zwischen all den Feierlichkeiten, habe ihm jemand Gift ins Essen gemischt. Und eigentlich weiß er auch, wer jemand ist, „die Taliban“, sagt er.

Als sein Vater ins Krankenhaus kam und die Ärzte die Vergiftung feststellten, sei es ihnen sofort klar gewesen. „Erst recht nach den Drohanrufen“, sagt Naqshband. Weil die Familie nach dem Tod seines Vaters Nachforschungen angestellte, seien sie deswegen von den Taliban verstärkt bedroht worden. Erst als sie die Sache ruhen ließen, hätten die Drohanrufe nachgelassen.

„Es gibt viele Anschläge, vielen Bomben, die gezündet werden“, sagt Naqshband. Das Bild zeigt die afghanische Stadt Ghazni ...
„Es gibt viele Anschläge, vielen Bomben, die gezündet werden“, sagt Naqshband. Das Bild zeigt die afghanische Stadt Ghazni nach einer Attacke der Taliban. | Bild: Symbolbild: Zakeria HASHIMI

So richtig sicher aber sei seine Familie nie nicht gewesen. Auch wenn das Taliban-Regime als gestürzt gilt, bestimme es noch immer die Geschehnisse in Afghanistan. „Es gibt viele Aufstände, viele Anschläge, vielen Bomben, die gezündet werden. Man lebt dort in Angst“, sagt der 21-Jährige. Als sich die Lage 2015 wieder zuspitzte, packte Naqshband sein wichtigstes Hab und Gut und floh mit seinem jüngeren Bruder über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ins Ungewisse.

Pflegeeltern in Villingen

Jetzt sitzt er in Villingen, im Büro des Landschaftsgärtners Hannes Thieringer, bei dem er seine Ausbildung gerade abgeschlossen hat und sagt, zwei Daten hätten sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. Der 23. November 2015, der Tag, an dem er in Deutschland ankam. Und der 1. Januar 2016, der Tag, an dem er und sein Bruder bei Pflegeeltern in Obereschach unterkamen. Und weil diese gut mit Thieringer befreundet sind, konnte Naqshband beim Landschaftsgärtner ein Praktikum machen.

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Thieringer schloss ihn sofort ins Herz und merkte: „wie fleißig und freundlich Mujtaba ist.“ Auch fachlich konnte er überzeugen: „Mujtaba hat eine wirklich schnelle Auffassungsgabe“, sagt Thieringer. Er weiß, wie wichtig es ist, Menschen wie Mujtaba Naqshband eine Chance zu geben. Und er wollte: „ein Signal senden, dass Integration gelingen kann.“ Darum bot er ihm einen Ausbildungsplatz an. Darum hat er ihn nun übernommen.

Und Naqshband wiederum mochte seinen Chef, der ihm auch mal privat, und besonders bei all den botanischen Fachbegriffen half, nicht zu stolpern. Denn: Neben dem Deutschen, das Naqshband er innerhalb kurzer Zeit lernen musste, kamen rund 6000 botanische Fachbegriffe hinzu. Die Abschlussprüfungen schaffte er deshalb auch erst im zweiten Anlauf. „Es war schwierig, die Fragen zu verstehen.“

Die Angst vor der Abschiebung

Doch Naqshband liebt seinen Beruf und hängte sich eben mehr rein. „Ich bin gern in der Natur“, sagt er. Und: „Am liebsten pflege ich Bäume und setzte Natursteine.“ Das sei praktische Arbeit. Eine Tätigkeit, bei der er sehe, was er geschaffen habe. Und vor allem: Dass er etwas geschaffen habe.

Mujtaba Naqshband sagt: „Ich kann mich jetzt selbst ernähren. Und brauche keine finanziellen Hilfen.“ Darauf legt er großen Wert. Noch vor ein paar Monaten, als er nicht wusste, ob er seine Abschlussprüfung im zweiten Anlauf überhaupt besteht, seien viele trübe Gedanken in seinem Kopf gewesen. „Es war, als hätte ich eine Stange im Herzen gehabt. Ich habe mir immer Sorgen gemacht“, sagt Naqshband. Auch wegen seines Aufenthaltsstatus.

Schon vor Beginn seiner Ausbildung hätte er im Asylverfahren einen negativen Bescheid bekommen. Und durch die Ausbildung zwar eine Duldung erhalten, aber nur bis zum Januar dieses Jahres – „das hat den Druck erhöht“. Die Angst vor einer Abschiebung habe ihn innerlich beinahe gelähmt. Umso ruhiger, umso sicherer, fühle er sich heute. Obwohl er seinen genauen Aufenthaltsstatus noch gar nicht kennt. „In der Regel bekommen Geflüchtete wie Mujtaba nach der Ausbildung noch einmal zwei Jahre Bleiberecht“, sagt Thieringer.

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Wenn Naqshband an seine Heimat denkt, denkt er an seine Familie und an die Obstbäume in deren Garten. Die Angst um seine Familie, die er und sein Bruder zurückließen, begleitet ihn täglich. Denn: „Es werden noch immer viele Bomben in Afghanistan gezündet.“ Und die Obstbäume? Sie erinnern ihn an seine Kindheit und daran, dass er das, was er jetzt tut – das Gärtnern – schon immer liebte. „Ich habe mich als Kind oft um unsere Äpfel und Trauben gekümmert“, sagt er. Seinen Bruder zog es in die Industrie. Er arbeitet als Maschinenführer in St. Georgen. Angekommen seien beide, sagt Mujtaba.