Der Bierabsatz in Deutschland sinkt seit Jahrzehnten stetig. Entgegen dieses langfristigen Trends ist die Anzahl an Brauereien in den vergangenen fünf bis sechs Jahren regelrecht sprunghaft angestiegen. Vor allem kleine Brauereien kamen hinzu, die mit Bier-Spezialitäten und neuen Rezepten abseits der Massenbiere immer mehr Anhänger finden. Klasse statt Masse lautet die Devise in der Craft-Bier-Szene, so nennt sich dieser Trend. Viele Menschen brauen heute sogar zuhause ihr ganz eigenes Bier, auch hier in der Region (wir berichteten).
Irgendwo in diesem weiten Feld zwischen Hobby und Beruf fühlt sich auch Lukas Kromer aus VS-Obereschach wohl. Er ist einerseits gelernter Brauer und arbeitet für die kleine Brauerei Sudwerkstatt in Mössingen. Andererseits experimentiert er auch zuhause in seinem privaten Braulabor gerne mit innovativen Rezepten.
Für Aufsehen sorgt er nun mit einem ganz speziellen, privaten Sud-Projekt, welches er mit den Nutzern einer Hobbybrauergruppe im sozialen Netzwerk Facebook teilt. Los ging alles vor ein paar Wochen. „Ich habe heute meine alten Berliner-Weisse-Flaschen rausgeholt, um die Hefe aus dem Tiefschlaf zu wecken“, schreibt Kromer dort.
Danach wird es wissenschaftlich. Neben kleinen Laborgläsern sind auch Isopropanol, Alkoholtupfer und Gasbrenner Teil der Geschichte. Aber von vorne: „Ich habe über Facebook vor einiger Zeit eine 30 Jahre alte, intakte Flasche Berliner Weisse von einem Anbieter aus Stuttgart ergattert“, erzählt Kromer dem SÜDKURIER. Daraus will er nun ganz neues Bier brauen. Drei solcher Flaschen werden bei einer bekannten Auktionsplattform für knapp 18 Euro gehandelt, plus Versand. Die Sorte hat die Schultheiss-Brauerei, von der die Flasche stammt, schon seit Jahren nicht mehr im Programm.

Lebt es noch?
Aber 30 Jahre können Hefezellen in einer verschlossenen Flasche Bier doch gar nicht überleben? Das fragen sich an dieser Stelle sicher viele Menschen. „Stimmt“, sagt Kromer. „Gängige Bierhefen und Bakterien tun das nicht. Brettanomyces-Hefen aber schon. Das sind sogenannte wilde Hefen, die überall in der Natur vorkommen“, weiß der 24-Jährige. Deren Sporen seien sehr resistent und ausdauernd, selbst gegen chemische Reinigungsmittel.

Genau auf diese schlummernden Pilzsporen hat Kromer es abgesehen. Ganz penibel und möglichst unter sterilen Bedingungen – dafür dienten die oben genannten Utensilien und Stoffe – hat er den Hefesatz vor drei Wochen aus der alten Flasche geerntet und mit neuer Nährlösung erst vorsichtig, später dann mit einer kräftigen Mahlzeit, gefüttert.

Steril deshalb, um sich keine anderen Hefen oder Bakterien, die überall in der Luft zugegen sind, einzufangen. Diese hätten im Glas ansonsten schnell die Oberhand gewonnen und den Versuch zunichtegemacht.

So weit kam es aber nicht. Vor gut einer Woche vermeldete Kromer Erfolg und die Facebook-Mitleser waren erneut begeistert. „Wie geil ist das denn bitte?!“, „Stark!“, „Wahnsinn!“, „Respekt!“ und „Super Projekt“ ist in Kommentaren unter dem Beitrag zu lesen.

Wie geht‘s nun weiter?
Die Wiederbelebung der alten Hefe ist geglückt. Es blubbert im Glas. Schon bald will Kromer damit einen Sud von 30 Litern „Berliner Weisse“ ansetzen. Zur Vergärung kommt eine Mischkultur aus der reaktivierten Hefe, einem gängigen Hefestamm für Kölsch, sowie aus zwei verschiedenen Milchsäurebakterien zum Einsatz. Letztere verleihen der Weisse den typisch säuerlichen Geschmack.
Brettanomyces-Hefen sowie die Bakterien gelten in Hobbybrauerkreisen gerne auch als „Schädlinge“, die man eigentlich nicht im Gäreimer haben möchte, denn sie können auch unangenehme Aromen verursachen. Nicht so bei Lukas Kromer. Er setzt diese Stämme bewusst und dezent ein, um die Komplexität der Aromen zu verstärken, wie er es erklärt. „Das sind ganz spezielle Noten, animalisch oder fruchtig. Es macht einfach Spaß damit zu arbeiten.“ Ähnlich gebraut werde bis heute die Belgische Bierspezialität Lambic. „Berliner Weisse“-Sorten aus dem Supermarkt hätten dagegen nur noch wenig mit dem historischen Originalrezept zu tun, an welches sich Kromer bei seinem Brau-Experiment aber halten will.
So entsteht neues Bier
Noch in dieser Woche soll der Sud stattfinden. Dafür wird erst Maische aus Wasser, Weizen- und Gerstenmalz angesetzt und langsam erhitzt. Währenddessen wird ein Liter der Maische abgezweigt, mit wenig Hopfen 15 Minuten lang gekocht und wieder zurückgegeben. Danach folgt das Läutern, also das Ausfiltern der festen Stoffe ehe die Würze noch bei 90 Grad sterilisiert wird. Nach Abkühlen und erneutem Filtern kommen schließlich die alten und neuen Hefezellen sowie die Milchsäurebakterien zum Einsatz, die dann über mehrere Tage bis Wochen die im Jungbier enthaltenen Zucker zersetzen und dabei Alkohol und biertypischen Aromen produzieren. Nach der Gärung wird das Bier mit etwas frischer Bierwürze in Flaschen gefüllt, wo die Nachgärung stattfindet und Druck durch Kohlensäure aufgebaut wird.
Bei der Abfüllung ist noch einmal Sauberkeit gefragt, „um sich nicht auf der Zielgeraden noch eine Infektion einzufangen.“ Hat alles funktioniert, ist Kromers „Berliner Weisse“ in rund drei Monaten fertig gereift. Zum Vergleich: Normale Biere brauchen nur rund sechs Wochen. „Das liegt an der Brettanomyces-Hefe, die arbeitet langsamer, überlebt aber viel länger und kann dabei auch die Zucker verwerten, die die andere Hefen und Bakterien nicht schaffen.“
Hobby und Beruf
„Das war nicht meine Idee“, sagt Kromer. Die Inspiration habe er von einer Biotechnologin aus Berlin, die dort traditionelle „Berliner Weisse“ braut und ihre Kulturen unter anderem auch aus alten Falschen zusammenstellt. Auch bei anderen Hefejägern habe er sich umgeschaut, die ebenfalls aus alten Kellern und Flaschen Hefen wiederbeleben. Nichtsdestotrotz ist sein Experiment etwas Besonderes, was selbst ambitionierteste Hobbybrauer an Grenzen bringt. Entsprechend viel Zustimmung und Lob gab und gibt es bei Facebook für Kromers Brau-Dokumentation.
Gelernter Brauer und Hobbybrauer ist der 24-Jährige bereits. „Das Brauen hat mich schon immer fasziniert“, sagt er. Jetzt will er diesen Weg fortsetzen und noch in diesem Jahr die Meisterschule in München besuchen. Seinen Traum, eine eigene kleine Spezialitäten-Brauerei hier in der Region und parallel zu seiner Ausbildung aufzubauen, hat er dabei noch nicht ganz aufgegeben. „Dafür benötige ich einen Raum, der den Vorgaben zur Lebensmittelproduktion entspricht und nicht zu teuer ist“, erklärt er. Bislang wurde er noch nicht fündig. Im Keller des Elternhauses scheiterte ein erster Vorstoß an wenigen Zentimetern Deckenhöhe.