Ist ein heute 57-Jähriger schuld am Tod seiner Freundin vor drei Jahren? Vor dieser Frage stand jüngst das Bezirksgericht Brugg, wobei die Verhandlung in einem Saal der Mobilen Einsatzpolizei in Schafisheim stattfand. Die Frau war im September 2020 im Alter von 52 Jahren an einer Hirnblutung verstorben. Der Mann hatte sie eines Morgens in ihrer Wohnung tot im Bett gefunden. Er hatte den Abend und die Nacht mit ihr in ihrer Wohnung verbracht und neben ihr geschlafen, als sie starb.

Vor dem Bezirksgericht Brugg war er in der Hauptsache der vorsätzlichen Tötung angeklagt. Dazu kamen drei Raubüberfälle im Bezirk Baden im Januar 2022, darunter auf den Spar in Dättwil und den Volg in Oberrohrdorf. Die Staatsanwältin forderte zwölf Jahre Freiheitsstrafe, aufzuschieben zugunsten einer stationären Maßnahme. Der Verteidiger forderte einen Freispruch von der vorsätzlichen Tötung sowie vier Jahre für die Raubüberfälle und weitere kleinere Delikte.

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Gericht hat zu viele Zweifel

Das Gericht unter Vorsitz von Sandro Rossi sprach den Beschuldigten vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung in dubio pro reo frei. Es hatte schlicht zu viele Zweifel an seiner Schuld. Für die Raubüberfälle verurteilte es ihn zu 4,5 Jahren Freiheitsstrafe. Die stationäre Maßnahme zur Suchtbehandlung war unbestritten. Diese dauert in der Regel höchstens drei Jahre und kann um ein weiteres Jahr verlängert werden.

Die Staatsanwältin hatte ihre Vorwürfe auf mehrere Indizien gestützt. Der damals 54-Jährige habe an jenem Sonntagabend seine Freundin auf die Wange geschlagen. Davon zeuge ein Bluterguss an der linken Wange. Sie sei deshalb gestürzt und mit dem Kopf auf den Parkettboden aufgeschlagen. In der Folge habe sie die Hirnblutung erlitten.

Die Staatsanwältin warf ihm vor, dass er mit dem Schlag den Tod seiner Freundin in Kauf genommen habe, weil ihm klar war, dass sie stürzen würde. Sie war vor jenem Abend nachweislich mehrmals unter Alkohol- und Medikamenteneinfluss gestürzt und hatte Gleichgewichtsstörungen. An jedem Abend hatten beide viel Alkohol getrunken. Bei der Verstorbenen wurden am nächsten Morgen 2,43 Promille nachgewiesen.

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Der Mann geriet wegen anderer Indizien in Verdacht. Zur Polizei und vor Gericht sagte er aus, dass es an diesem Abend keinen Streit gegeben habe. Die Staatsanwaltschaft interpretierte stattdessen ein SMS eines Freundes an eine Dritte in diese Richtung.

Außerdem: Eine Nachbarin hatte an jenem Nachmittag Lärm aus der Wohnung gehört. Und der Beschuldigte hatte am nächsten Morgen erst rund eine Stunde, nachdem er ihren Tod festgestellt hatte, die Ambulanz alarmiert. Zudem war ein Anruf an einen Freund an diesem Morgen aus der Anrufliste seines Handys gelöscht.

Herkunft des Blutergusses unklar

Die angebliche Indizienkette der Staatsanwaltschaft bestehe nur aus Spekulationen, sagte dagegen der Verteidiger. Von Spekulationen sprach Rossi in der Urteilseröffnung nicht. Aber auch er verwies auf die Aussagen der rechtsmedizinischen Gutachterin. Laut dieser ist die Herkunft des Blutergusses an der Wange unklar. Zudem könnte die Verletzung, die zur Hirnblutung führte, auch einige Stunden vor dem Besuch des Beschuldigten entstanden sein. Bei den Raubüberfällen war der Mann geständig.

Rossi führte weiter aus, dass der Beschuldigte bereits bei der Hafteröffnung sämtliche Umstände des Sturzes geschildert habe, wie sie später die Rechtsmedizin bestätigte. Und seine DNA unter den Fingernägeln der Verstorbenen müssten nicht von einem Streit herrühren. Das Paar hatte in jener Nacht Sex.

Der Angeklagte war auch bei den Raubüberfällen schwerst drogen- und medikamentenabhängig. Ein forensischer Gutachter attestierte ihm eine mittelgradige Schuldfähigkeit. Seit März 2022 ist der 57-Jährige im vorzeitigen Maßnahmenvollzug, das sind rund 660 Tage. Zudem saß er 97 Tage in Untersuchungshaft. Er hat eine Entgiftung hinter sich.

Das Bezirksgericht wies außerdem die Zivilforderungen der drei Söhne der Verstorbenen ab. Ihr Anwalt hatte Genugtuung und Schadenersatz in einem mittleren fünfstelligen Betrag gefordert.

Der Autor ist Redakteur bei der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag auch zuerst erschienen.

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