In vielen Gerichtssälen stehen große Bildschirme. In Zurzach kam dieser jüngst während einer Verhandlung zum Einsatz: Auf einem kurzen Film waren Straßen um die Propstei sichtbar und ein fahrender, schwarzer Mercedes-Benz.
Vor dem Einzelrichter saß derweil neben seiner Verteidigerin ein Mann aus Deutschland. Schwarzes Haar, markante Brauen, gepflegter Bart, schwarze Jeans und faltenfreies hellblaues Hemd. Ein gepflegter, sympathischer 29-Jähriger – beschuldigt der mehrfachen groben Verletzungen von Verkehrsregeln, der Vereitelung von Maßnahmen zur Feststellung der Fahrfähigkeit sowie der Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes.
1999 war seine Familie nach Deutschland gezogen. Dort hatte der heute 26-Jährige die Schulen besucht und ein Studium im Ingenieurwesen mit dem Master abgeschlossen. Dann zog er weg von der großen Familie an die Schweizer Grenze.
„Ich musste mich abnabeln“, sagte er vor Gericht. Hier lebt er seit vier Jahren allein und inzwischen von Sozialhilfe, sogenanntem Bürgergeld und unterstützt von der Familie. Den Mercedes hatte sein Vater finanziert, auf dessen Namen er auch eingelöst ist. Seit Juli 2021 allerdings darf der Beschuldigte seiner Leidenschaft fürs Autofahren nicht mehr frönen, hatte das Landratsamt Waldshut ihm damals doch den Führerschein entzogen.
Grenzbeamten setzten Dashcam ein
Doch am 31. August 2023 war nachmittags just besagter Mercedes auf dem Zurziberg an Grenzbeamten vorbeigefahren, ohne deren Haltezeichen zu beachten. Die Verfolgung durch die Beamten blieb erfolglos. Als dieselben Grenzwächter tags darauf dasselbe Auto unterwegs in Zurzach sichteten, setzten sie die Dashcam ein und filmten die Fahrt. Der kurze Film wurde im Gerichtssaal zum Beweismittel.
Dort versicherte der 29-Jährige ein ums andere Mal, nur als Beifahrer und nicht als Fahrer unterwegs gewesen zu sein. Sein Kumpel und er hätten in einem Restaurant einen Bekannten getroffen. Tatsächlich hatten die Grenzbeamten gefilmt, wie der Mercedes bei dem Lokal geparkt wurde, und zu Protokoll gegeben, dass zwei Männer ausgestiegen waren – beide dunkles Haar, Bart, mittelgroß, eher schlank, eher jung.
Angeklagter schwört den Drogen und dem Alkohol ab
Der Angeklagte bestritt, trotz eingehender Nachfrage durch den Richter, vehement, am Steuer gesessen zu haben. Tatsache ist, dass die Insassen des Mercedes auf keiner Aufnahme zu sehen sind, was die Verteidigerin ins Zentrum ihres Plädoyers rückte und einen Freispruch forderte. Was den Konsum von Marihuana und Kokain betrifft, so habe ihr Mandant diesen zwar zugegeben, doch sei unklar, ob er in Deutschland oder der Schweiz stattgefunden hat, weshalb der Beschuldigte auch dafür hier nicht bestraft werden könne.
Auf die Frage des Gerichtspräsidenten Cyrill Kramer erklärt der Angeklagte, dass der Mercedes inzwischen bei der Familie in Stuttgart sei und von seinem Bruder gefahren werde. Und er betont, dass er schon länger keine illegalen Drogen und auch keinen Alkohol mehr konsumiere. „Ich will doch meinen Führerschein wiederbekommen. Darum gebe ich regelmäßig Urinproben ab und gehe zum Psychologen.“ Mit Führerschein sei es auch viel einfacher, eine Stelle zu finden. Nach einer solchen suche er intensiv, aber bisher leider vergeblich.
Es ist nicht klar, wer am Steuer saß
Cyrill Kramer sprach den 29-Jährigen von den Vorwürfen, gegen das Straßenverkehrsgesetz verstoßen zu haben, vollumfänglich frei: „Die Anklage basiert auf der Behauptung, dass der Beschuldigte am Steuer gesessen habe – aber den Nachweis dafür erbringt die Anklägerin nicht.“ Nach Sichtung des Ergebnisses der Dashcam habe die Staatsanwältin selbst zugegeben, dass darauf nicht ersichtlich ist, wer am Steuer saß.
„Doch anders als bei Beschuldigten sind Ankläger verpflichtet, im Zweifel Anklage zu erheben“, so der Gerichtspräsident. Den Betäubungsmittelkonsum habe der Angeklagte bei der Regionalpolizei Zurzach als anerkannt unterschrieben, was mit einer Buße von 500 Franken belegt wird. Verfahrens- und Anwaltskosten gehen zulasten des Staates.
Die Autorin arbeitet für die „Aargauer Zeitung“. Dort ist dieser Beitrag auch zuerst erschienen.