Die Kunst, der Markt und Ich. Kann das ein Thema für andere sein? Mein Redakteur findet ja, nachdem ich ihm davon erzählt habe, dass ich zur Art Karlsruhe fahren würde, laut dem Kunstmagazin „monopol“ eine von 24 wichtigen Kunstmessen zur Gegenwartskunst weltweit und der einzigen in Baden-Württemberg.
Wochenlanges Studium
Ich buche eine Führung – meine erste seit langem. Und freue mich diebisch darauf, einmal nicht die Lieferantin von Wissen, Hintergründen, Seh- und Sichtweisen auf ein Kunstwerk sein zu müssen. Denn als begeisterte, ihre Freizeit füllende Kunstvermittlerin in der Kunsthalle Mannheim weiß ich, was die Kollegen da leisten: ein wochenlanges Studium diverser Aufsätze und Besuche von Informationsveranstaltungen im Vorfeld, um dann einer Menge meist sympathischer und meist erwartungsvoll schauender Menschen mehrfach am Tag immer dasselbe Wissenswerte über Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Rebecca Horn & Co oder gleich die Franzosen näher zu bringen, die vor über hundert Jahren sowieso als erste unsere Avantgarde erfunden haben.
Wie wird Mann oder Frau an die Sache ran gehen, frage ich mich, ich kenne ja nur meine eigenen Führungen. Da habe ich festgestellt, dass meine Gäste zum Schluss oft aus ihren Gesichtern „leuchten“.
Es mag daran liegen, dass ich als Germanistin, Politik- und Tanzwissenschaftlerin mit großem Faible für die Bildende Kunst weniger ins Detail gehen kann. Vielmehr spreche ich über die Entstehung der Bedeutung eines Kunstwerks und über das, was ich als Zugriff auf Seele und Welt des Künstlers spüre und herausfinden kann. Dazu packe ich noch ein paar Fakten, um auch konkrete Informationen zu liefern. Das lieben Ausstellungsbesucher, neben Episoden aus dem Künstlerleben, und der Möglichkeit, selbst mitreden zu können.
Jede Führung ist auch eine Dialogveranstaltung, in der es menschelt. Das ist auch hier so, wie ich feststellen darf, und nur wenn wir in Frankreich wären, wäre das anders. Denn Franzosen flanieren und parlieren von Anfang an durch eine Ausstellung. Da hilft kein Anschieben und Ziehen, um voranzukommen. Die wollen sofort ihre Gedanken teilen.
Lehrer führt man eher ungern
Die eher aus Deutschland stammenden Besucher folgen und gehorchen. Das haben wir uns auch schon einmal im Kunstvermittler-Team einander zugeraunt. Ebenso die Tatsache, dass Lehrergruppen am wenigsten gern geführt werden. Die schwätzen zu viel im Hintergrund. Und die kunstbeflissenen Russen, auch das schon mal erlebt, füllen nur ihre Wissenslücken aus, nach dem Motto: „Können Sie mir in fünf Minuten an einem Bild erklären, warum Henri Matisse so wichtig war?“ Logisch. Ich liebe solche Herausforderungen.
Unsere Kunstführerin nun heißt Roswitha Zytowski. Sie ist im Gegensatz zu mir eine Kunsthistorikerin vom Fach. Die Art Karlsruhe kennt sie seit 16 Jahren. Unser Gruppe ist ihre dritte heute, das reiche dann auch, sagt sie. Ich kann das verstehen. Bei mehr als zwei Führungen am Tag weiß man nicht mehr wie man den Satz beenden soll, den man angefangen hat zu sprechen.

Zum Glück umfasst unsere Gruppe nur sechs Leute, das entspannt, und während der anderthalb Stunden geht sogar einer der Herren verloren. Die Gattin möchte ihn prompt ausrufen lassen, weil ihr extra roter Pulli, den sie trägt, nicht dazu beigetragen habe, sie wiederzufinden. Kein Wunder. Die Messe wirkt mit ihren vier Hallen und 210 ausstellenden Galerien aus 15 Ländern wie ein Labyrinth. Frau Zytowski marschiert stramm und im Zickzack, um all das loszuwerden, auf das wir alle viel langsamer kommen würden. Sie fabuliert weniger generaliter, sondern auf den Punkt und liefert ihr Wissen portionsweise ab, nach dem Motto „weniger ist mehr“.
Intellektueller Autopilot
Ich selbst höre während der folgenden neunzig Minuten auf zu fühlen, realisiere ich. Ich schalte meinen intellektuellen Autopiloten ein, der darauf geeicht ist, gesellschaftlich relevante Tendenzen aufzuspüren. Hierzu gehört, dass die Art Karlsruhe, wie Frau Zytowski kurz erwähnt, zum Beispiel durchaus politisch Stellung nehmende Kunst präsentiere, die in diesem Jahr aber feiner auftreten würde.

Etwa die chinesische Konzeptkünstlerin Jiny Lan, die sich an Georg Baselitz‘ offensichtlich unschöner Äußerung, Frauen könnten nicht malen, abarbeitet. Ihr Gemälde dreht sich, den Meister zitierend, permanent auf den Kopf und wieder zurück. Es zeigt Baselitz mit nacktem Oberkörper wie ein Michelangelo, aus dessen Schoss die Künstlerin mit grellgelben Stiefeln geboren wird.
Dass Kunstmachen anstrengend ist, lässt sie uns von Thomas Putze zeigen, auch er seines Zeichen ein anwesender Künstler und Performer noch dazu. „Das haben wir hier nicht so oft“, erklärt Frau Zytowski. Thomas Putze baut derweil an seinen Fitnessgeräten herum, die er mit Pinseln und Stiften beklebt habt. Dann darf sich einer für ein Porträt melden.
100 Euro für Filzstiftzeichnung
Putze klemmt sich unter eine Stange mit zwei mal zehn Kilo-Gewichten, in deren Mitte ein Filzstift befestigt ist, und zeichnet den Mann, der gleich dafür 100 Euro zahlen wird. Für einen kurzen Moment wird die Art Karlsruhe zum Zirkus, in dem der Künstler die Selbstausbeutung und Kraftanstrengung vorführt, die er aufbringt, um seine Kunst an Mann und Frau zu bringen. „Das war jetzt was Neues“, sagt der andere, nicht verloren gegangene Mann aus unserer Gruppe. Alle nicken, weil Frau Zytowski kurz vorher noch pikanterweise die allseits bekannte These verlautbarte, in der Kunst gebe es ja eh nichts mehr Neues mehr, alles sei schon einmal gemacht worden.

Nach 75 Minuten schiele ich auf die Uhr. Eine Führung sollte nicht mehr als neunzig Minuten gehen, denke ich. Zum Glück führt uns Frau Zytowski nun zu Werken von Malern die man kennt. Marc Chagall, Otto Dix oder Gerhard Richter. Das kleine, vielleicht 30 mal 30 Zentimenter große Gemälde von letzterem kostet über 200 000 Euro, sagt der Galerist. Er grinst.
Wacker führt uns Roswitha Zytowski noch in die Sonderausstellung des ehemaligen Siebdruckers Hans-Peter Haas. Ein Muss aus ihrer Sicht. Ein Kraftakt für mich. Schluss.
Wie üblich, reden meine Mitgeführten noch ein wenig mit Frau Zytowski. Ich falle geruhsam und erleichtert ins Schlendern, um auf eigene Faust die Kunst zu genießen. Hier gibt es die neue Kaiserstraße in Karlsruhe im Modell.