Alle handelnden Personen, heißt es in diesem Buch, seien frei erfunden: „Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.“ Nun ja. Der 15 Jahre alte Chris kickt im Sommer 2006 in der Jugendmannschaft von Bayer Leverkusen. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als Bundesligaprofi zu werden. Keine zehn Jahre später ist er sogar Fußball-Weltmeister, trifft seine Jugendbekanntschaft Celina wieder und wird sie wenig später heiraten.

Das ist schon ein seltsamer Zufall, der diese handelnde Person mit dem lebenden und ganz realen Fußballer Christoph Kramer geradezu deckungsgleich übereinstimmen lässt. Und natürlich hat man bei der Lektüre dieses Romans dessen Urheber stets vor Augen: den jungen Christopher, der während der WM im eigenen Land Poldi und Schweini zujubelt, und abseits der Stadien sein ganz persönliches Sommermärchen erlebt.

Ständig gilt es, jemanden zu beeindrucken

„Das Leben fing im Sommer an“ ist eines jener Bücher, die man im Fachjargon „Coming of Age“-Literatur nennt, ein Bildungsroman modernen Zuschnitts also auf dem Resonanzboden von Salingers „Fänger im Roggen“ oder Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Sich mit dem eigenen prominenten Namen hier einreihen zu wollen, zeugt mindestens von Mut. Es ist, als wollte ein Schriftsteller halt auch mal in einem Bundesliga-Punktspiel die Ecken treten.

Der junge Chris jedenfalls, Einzelkind aus bürgerlichen Verhältnissen, schlägt sich tapfer durch seine Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen, ein Dickicht, das noch jeder pubertierende Junge bewältigen musste. Für die große Liebe glaubt er sich zu wenig attraktiv, für die Fußballkarriere zu schmächtig, und in der Schule läuft es so lala. Aber für Zukunftssorgen ist ohnehin die ganz unmittelbare Gegenwart zu fordernd: Ständig gilt es, jemanden zu beeindrucken, sich gegen andere zu behaupten, Selbstbewusstsein vorzutäuschen.

Der Autor

Wir begleiten den Protagonisten zu Partys, auf denen halbe Kinder mit aufgesetzter Selbstverständlichkeit Wodka-Cola aus Plastikbechern trinken und einander beteuern, so ganz ohne „Stoff“ kämen sie ja sowieso nicht mehr in Stimmung. Man prahlt mit vermeintlichen Heldentaten und Frauengeschichten: In der Praxis scheitert die Verfolgung einer Diebin bereits am bösen Hund am nächsten Gartenzaun, und um mal einen Blick auf weibliche Brüste zu erhaschen, müssen die Jungs schon heimlich aufs Garagendach mit Blick in den Nachbargarten kriechen.

Die Jugend ist nun mal eine Schule des täglichen Scheiterns, aber irgendwann kommt dieser eine Sommer, in dem plötzlich alles gelingt. Und zwar sogar das, was gar nicht danach aussieht. Zum Beispiel die unselige Geschichte mit der schönen Debbie aus dem Lateinkurs.

Christoph Kramer: „Das Leben fing im Sommer an“, Roman, Kiepenheuer & Witsch: Köln 2024; 256 Seiten, 23 Euro.
Christoph Kramer: „Das Leben fing im Sommer an“, Roman, Kiepenheuer & Witsch: Köln 2024; 256 Seiten, 23 Euro. | Bild: KiWi

Sein Herz hatte sie ja schon lange erobert, wegen ihrer geheimnisvoll zwischen Grün und Blau oszillierenden Augen, wegen der Sommersprossen und natürlich auch wegen des Hello-Kitty-Tangas, der manchmal rein zufällig knapp über dem Hosenbund aufblitzte. Aber erst jetzt hat sie ihn tatsächlich angesprochen: „Chris, ich mag dich irgendwie.“ Aus „Irgendwie“ wird bald ein regelmäßiger SMS-Austausch, ein Kinobesuch, ein erster Kuss. Schon sind alle Selbstzweifel wie vom Sommerwind hinweg geweht, die Akne auf dem Rücken wie diese verdammt Schüchternheit. So ist es, wenn man die Frau seines Lebens findet!

Und dann ertappt er sie beim Knutschen mit irgendeinem anderen Typen. Nicht jede irrende Seele hat in diesem Alter gleich das große Ganze im Sinn. Das zu erfahren, kann schmerzhaft sein, aber eben auch wertvoll.

Kitsch oder Sensation?

Neben Liebeskummer, Pickelsorgen und Freibadromantik gehört natürlich auch noch das Autoabenteuer zum klassischen „Coming of Age“-Roman. So mündet Kramers Erzählung in ein kleines Roadmovie auf rheinländischen Autobahnen. Am Steuer des von einem Freund entwendeten Toyota Corolla: der Nachwuchskicker mit schwerem Herzen, aber ohne Führerschein.

Wie liest sich das nun? Banal und kitschbesoffen? Oder gar eine literarische Sensation?

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Verglichen mit einem Fußballspiel haben prominente Debütanten auf dem Buchmarkt leichtes Spiel. Vor Stilblüten oder Logikfehlern rettet hier im Zweifelsfall der Lektor mit beherzter Blutgrätsche das Zu-Null. Im Fall des vorliegenden Romans nervt zwar beim Blick auf die Bundesligakarriere das Gerede vom „großen Traum“, ja „größten Traum“, für den es sich „zu träumen lohnt“, solange der nicht „zerplatzt“ und zwar natürlich „wie eine Seifenblase“. Aber das sind verkraftbare Zugeständnisse an einen Sportlersprech, der ansonsten erfreulich abstinent bleibt.

Für einen neuen „Tschick“ mangelt es Christoph Kramers Buch an Originalität, Witz und Tiefe. Als flott erzählter Nostalgie-Trip in selige Sommermärchenzeiten vermag es jedoch zu unterhalten. Man möchte es dort verorten, wo der Autor schon immer seine größten Stärken ausgespielt hat: im soliden Mittelfeld.