Ela, Ihr Vater war Ukrainer, Ihre Mutter ist Polin. Sie haben die ersten Lebensjahre in Smila, einer drei Autostunden von Kiew entfernten Kleinstadt, verbracht. Was empfinden Sie, wenn Sie die Bilder aus Ihrer Heimat sehen?

Ich empfinde tiefen Schmerz. Schlafen kann ich gerade nur wenig. Mein Herz weint die ganze Zeit. Auch meine Mutter hat die ersten Tage nur geweint. Es ist erschreckend zu sehen, was in der Ukraine passiert. Und meine Stimmung wechselt ständig: Mal bin ich traurig, mal extrem wütend.

Ganz viele Gefühle prasseln praktisch gleichzeitig auf mich ein. Mit am Schlimmsten ist es zu sehen, wie Familien zerrissen werden. Wie Frauen und Kinder fliehen, während ihre Männer und Väter zurückbleiben, um ihr Land zu verteidigen.

Haben Sie Freunde und Familienangehörige in der Ukraine? Wie geht es denen?

Viele unserer Freunde haben tatsächlich schon vor Kriegsbeginn das Land verlassen. Andere sind aus Kiew in eher ländliche Gegenden gezogen, denen geht es den Umständen entsprechend gut.

Haben sie geahnt, was passieren würde?

Der Konflikt begann ja schon 2014 mit der russischen Annexion der Krim. Ich hatte das Glück, in einem sehr weltoffenen Umfeld aufzuwachsen. Meine Eltern waren Musiker, und auch unsere Freunde sind immer sehr neugierig und weltoffen gewesen. Und viele von ihnen haben eben recht früh erkannt, welche Entwicklung das nehmen würde, und das Land verlassen.

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In Deutschland schien man bis unmittelbar zu Beginn von Putins Überfall zu glauben, es würde schon nichts passieren. Waren wir naiv?

Obwohl überall auf der Welt Kriege toben, begreift der Mensch offensichtlich erst, was Krieg bedeutet, wenn er richtig nah ist und ein Teil der Lebenswirklichkeit wird. Für mich ist die ganze Situation vollkommen absurd. Wir leben im Jahr 2022, noch dazu in diesem Teil der Welt in relativem Wohlstand. Ich verstehe nicht, was so schwer daran ist, aufeinander zuzugehen und friedlich miteinander auszukommen. Eigentlich ist Frieden doch gar nicht so schwer.

Wann waren Sie zuletzt in der Ukraine?

Tatsächlich seit meiner Kindheit nicht mehr. Nach dem Tod meines Vaters, dessen Grab in der Ukraine liegt, bin ich mit meiner Mutter, die Polin ist, in ihr Heimatland gegangen. Dieser doppelte Abschied war und ist bis heute sehr schmerzvoll. In Polen lernte sie meinen Stiefvater kennen, und wir sind ins Saarland gezogen. Die beiden leben dort bis heute.

Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie das weitergehen soll?

Nein, ich habe keine Ahnung. Ganz ehrlich nicht. Ich glaube, was wir hier machen können, ist zusammenzuhalten. Zu spenden ist wichtig, und ich finde es toll, wie Europa sich gerade gemeinsam einsetzt. Auch dass Leute für Frieden auf die Straße gehen und ein Zeichen setzen, macht mir Mut.

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Hilft Musik, auf andere Gedanken zu kommen?

Jein. In den ersten Tagen war ich komplett paralysiert und habe fast die ganze Zeit versucht, mir durch die Nachrichten ein Bild zu verschaffen. Auch jetzt kann und will ich den Krieg nicht zur Seite schieben, das ist wirklich ein Ausnahmezustand für die gesamte Welt. Aber natürlich möchte ich die Menschen mit meiner Musik ein bisschen ablenken.

Allerdings bietet auch Ihre neue Single „Wenn ich nein sag, dann mein ich nein“ eher das Gegenteil von Eskapismus. Der Song klagt – von fehlender Akzeptanz am Arbeitsplatz bis zu häuslicher Gewalt – all die Missstände an, denen Frauen nach wie vor ausgesetzt sind.

Ich bin eine Freundin von klaren Ansagen. „Wenn ich nein sag, dann mein ich nein“ ist ein Satz, den sehr viele Frauen nachvollziehen können. Für mich bringt es diese Aussage auf ganz vielen Ebenen auf den Punkt. Ich habe mit 16 angefangen, Musik zu schreiben und im Studio zu arbeiten. Ich hatte immer nur Männer um mich herum und musste mich denen gegenüber früh beweisen. Ich hatte das Gefühl, immer viel stärker sein zu müssen als die Jungs. Das ganze Lied ist im Grunde eine Kampfansage an den alten weißen Mann.

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Die Ungerechtigkeiten sind aber nicht auf die Musikindustrie beschränkt, oder?

Nein, ganz sicher nicht. In meiner Branche gibt es zwar tatsächlich erschreckend wenig Produzentinnen, Songwriterinnen oder gar Geschäftsführerinnen. Aber eine Freundin von mir ist Ärztin, eine andere Kriminologin, die haben auch zu kämpfen. Man muss sich ja nur mal einige Fakten anschauen, wie zum Beispiel: Frauen leisten am Tag 87 Minuten mehr Sorgearbeit, also etwa Kindererziehung, Haushalt, Pflege, als Männer. Wir haben viel erreicht, aber bis zur absoluten Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist es noch ein langer Weg.