Jeden Monat 255 Euro Kindergeld. Das sind 3060 Euro im Jahr. Pro Kind. Und die familienpolitische Leistung wird fast jährlich erhöht, erst im Januar wieder um fünf Euro.
Europaweit nimmt Deutschland damit einen Spitzenplatz ein und liegt hinter Luxemburg auf Rang zwei – auch wenn direkte Vergleiche aufgrund unterschiedlicher Besteuerungen und weiterer finanzieller Unterstützungen in anderen Ländern schwierig sind. Rein auf die Zahlen geschaut, scheint Deutschland Eltern mit Kindern finanziell also gut unter die Arme zu greifen.
In der Realität aber erleben das viele Familien ganz anders. Kinder kosten richtig viel Geld. Allein der Krippenplatz für unter Dreijährige liegt mit 300 Euro und mehr pro Monat schon über dem Kindergeld. Genauso wie die durchschnittlich 360 Euro, die Eltern für den Schulstart eines Kindes investieren müssen. Und wenn Bus und Mittagessen in der weiterführenden Schule 70 Euro monatlich verschlingen, bleiben dem Kind für Wohnen, Essen, Kleidung und Sonstiges 185 Euro übrig.
765 Euro im Monat für drei Kinder
Das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Rund 763 Euro gaben Paare dem Statistischen Bundesamt zufolge durchschnittlich pro Monat für den Nachwuchs aus – für ein Kind wohlgemerkt. Zum Vergleich: Das Kindergeld für drei Kinder liegt bei 765 Euro monatlich. Hinzu kommt, dass die Zahlen aus dem Jahr 2018 stammen, neuere liegen nicht vor. Da die letzten Jahre jedoch sehr vieles teurer geworden ist, dürfte dort für 2025 eine deutlich höhere Summe stehen.
Das ist auch der Grund, warum Eltern im Vergleich zu 2018 rund 60 Euro mehr Kindergeld pro Monat bekommen: Es liegt rein an der gestiegenen Inflation, nicht etwa daran, dass Familien stärker unterstützt werden.
„Eigentlich ist der Betrag, der Eltern bleibt, seit 2010 nicht mehr signifikant gestiegen, wenn man die Inflation berücksichtigt“, sagt Maximilian Blömer, Leiter Ex-Ante Politikevaluation am ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen.
Für das vierte Kind liege das Kindergeld heute real betrachtet sogar unter dem Wert von 2010. Er sagt auch: „Monetär betrachtet lohnt es sich für viele Familien nicht, Kinder zu kriegen, man zahlt also drauf.“
Viele Familien können das nicht stemmen. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen, weil Kinder finanziell stark von ihren Eltern abhängig sind. Damit liegt die Bundesrepublik im EU-Vergleich im oberen Drittel – trotz des vergleichsweise hohen Kindergeldes.
Die Idee hinter dem Kindergeld
Wozu also ist das Kindergeld da? Um finanzielle Belastungen zumindest ein wenig abzufedern? Um Leute dazu zu verführen, überhaupt noch Kinder zu bekommen, obwohl es eine so teure Angelegenheit ist? Weil Deutschland sonst irgendwann die Arbeitskräfte und Rentenbeitragszahler ausgehen würden? Und wie kommt man auf die Höhe von 255 Euro monatlich?
Die einige Familien gar nicht bräuchten, weil die Eltern sehr gut verdienen. Die für andere aber viel zu wenig sind und mit anderen finanziellen Mitteln wie Kinderzuschlag, Wohngeld oder dem Bildungs- und Teilhabepaket ergänzt werden müssen.

Verstehen kann das Kindergeld nur, wer die historische Entwicklung betrachtet. Die erste Art von regelmäßigem Kindergeld wurde im Jahr 1936 unter dem Namen „Kinderbeihilfe“ eingeführt. Gezahlt wurde sie ab dem fünften, später ab dem dritten Kind. Was den sozialpolitischen Gedanken dahinter zeigt: Stark belastete Familien sollten unterstützt werden.
Da zur damaligen Zeit jedoch nur arische Familien diese Kinderbeihilfe erhielten, ging es auch um die bevölkerungspolitischen Gedanken des Nationalsozialismus, nämlich Kinderreichtum gezielt zu steigern. „Auch deshalb äußern sich Politiker bis heute sehr zögerlich, das Kindergeld und andere familienpolitischen Leistungen als eine Maßnahme zu sehen, staatlich die Geburtenrate zu fördern“, sagt Holger Stichnoth, Leiter der Forschungsgruppe „Ungleichheit und Verteilungspolitik“ beim Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW in Mannheim.
Es fing an mit 25 Mark
Nach der Ära des Nationalsozialismus wurde der Verpflichtungsgedanke gegenüber kinderreichen Familien wieder aufgegriffen. Die Idee: Der Lohn von oft nur einem arbeitenden Elternteil muss eine Familie irgendwie ernähren können, also gab es ab dem Jahr 1964 einen Betrag von 25 Mark für jedes dritte und weitere Kind – und zwar vom Arbeitgeber. Erst seit der Einführung des Bundeskindergeldgesetzes im Jahr 1964 wird das Kindergeld aus Steuermitteln finanziert. Seit 1975 gibt es die Leistung bereits ab dem ersten Kind.
Einige Jahre später haben Gerichte – abschließend mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1990 – dann entschieden, dass das Existenzminimum von Kindern nicht besteuert werden darf. Denn jeder Bürger braucht eine gewisse Summe, zum Essen, Wohnen, Einkleiden. „Und man darf niemandem mehr Geld aus der Tasche ziehen, als er hat“, sagt Holger Stichnoth. Deshalb ist seitdem bei der Besteuerung von Familien das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder, also auch der Kinder, steuerfrei zu belassen.
Um das zu gewährleisten und auszugleichen – also zu viel vom Staat eingezogenes Geld wieder zurückzuzahlen an Familien – dienen Kindergeld und Kinderfreibeträge. Von den 50 Milliarden Euro jährlich, die Deutschland fürs Kindergeld ausgibt, sind rund zwei Drittel also eigentlich nur eine Rückerstattung von zu viel verlangten Steuern. Das Kindergeld ist damit inzwischen vor allem ein finanzpolitisches Instrument. Seine Höhe wird entsprechend des im Zwei-Jahres-Rhythmus von der Bundesregierung festgelegten Existenzminimums bestimmt. Für den Gedanken der familienpolitischen Förderung bleibt der kleinere Teil von etwa einem Drittel übrig.
Eltern bei Rente doppelt belangt
Hinzu kommen weitere Erleichterungen, etwa geringere Beiträge bei der Pflegeversicherung oder Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rentenversicherung. Wobei Eltern beim Thema Rente dennoch doppelt belangt werden: Sie zahlen die gleichen Beiträge wie kinderlose Ehepaare. Ziehen gleichzeitig aber auch die Rentenbeitragszahler von morgen groß. „Da halte ich die Frage durchaus für berechtigt, ob Familien hier nicht nach wie vor zu stark belastet werden“, sagt Holger Stichnoth. Denn Fakt ist: Das derzeitige Rentensystem funktioniert nur, wenn Menschen weiterhin Kinder in die Welt setzen.
Eine weitere Frage, die auch im Zusammenhang mit der gewachsenen Kinderarmut immer wieder diskutiert wird: Ist es richtig, dass das Kindergeld direkt an die Familien geht? Oder sollte der Staat das Geld nicht vielmehr dafür einsetzen, um eine kostenlose Kinderbetreuung, kostenloses Schulessen oder kostenlose Schulmaterialien zur Verfügung zu stellen – damit die Kinder auch wirklich von dem Geld profitieren und es nicht von den Eltern anderweitig ausgegeben wird?
Die Forschung liefert dazu eine Antwort, sagt Maximilian Blömer: „Es gibt mehrere Untersuchungen, die zeigen, dass Eltern das Geld tatsächlich für ihre Kinder ausgeben und wenn sie mehr erhalten, davon auch unmittelbar die Kinder profitieren.“
Hinter den Direktzahlungen steht noch ein weiterer, freiheitsdemokratischer Gedanke. „Wenn das Geld direkt an die Familien geht, sind sie flexibler darin, wofür sie es ausgeben möchten. Bei Sachleistungen schreibt man das dagegen stark vor“, sagt Maximilian Blömer. Rein im Sinne der Chancengleichheit wäre es für manche Kinder sicher besser, der Staat würde die komplette finanzielle Verantwortung übernehmen. Das aber ginge einher damit, den Eltern abzusprechen, selbst für ihre Kinder sorgen zu können – und zwar so, wie sie es sich vorstellen. „Von daher ist es schon gut, dass man hier eine Balance gefunden hat zwischen Selbstverantwortung und finanzieller Unterstützung“, findet Holger Stichnoth.