Wenn es ums Geld geht, müssen Theater, Opernhäuser und andere Kultureinrichtungen für ihre Sache kämpfen. Nichts leichter als das, sollte man meinen: Wer wenn nicht die kreative Szene sollte auf wirkmächtige Narrative und schlagkräftige Argumente kommen? Doch erstaunlich oft ist das Ergebnis so uninspiriert, dass sich jeder erfahrene Regisseur darüber die Haare raufen müsste.

Aktuell machen wieder offenbar als zeitlos gültig empfundene Politikeransprachen der 80er- und 90er-Jahre die Runde. In einer von Pathos getränkten Zeit, als sich ein Bundeskanzler noch vom „Mantel der Geschichte“ dauerumweht glaubte, erkannte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Kultur eine „Nahrung für die Seele“, wichtig für „unsere innere Überlebensfähigkeit“.

Noch genauer vermochte Amtsnachfolger Johannes Rau den Nährwert zu definieren: Kultur, so das Ergebnis seiner präsidialen lebensmitteltechnischen Analyse, sei „die Hefe im Teig“. Theater und Museen als unser täglich Brot und Vollkornmüsli, irgendwas zwischen Streuselkuchen, Spritzgebäck oder Schwarzwälder Kirschtorte: Man hat nicht den Eindruck, dass solch blumige Vergleiche heute noch ziehen.

Klar verteilte Rollen

Dabei ist die Sache einfach und bedarf gar keiner pathetischen Metaphern. Denn so ein öffentlicher Haushalt funktioniert kaum anders als der private am Küchentisch. Hier wie dort streitet man darum, gemeinsam erwirtschaftete Gelder für alle gewinnbringend einzusetzen. Und in öffentlichen Gremien wie zuhause in der Familie sind dabei die Rollen klar verteilt.

Da gibt es einerseits den nüchternen Kaufmann. Zweck bedeutet ihm alles, Sinn so gut wie nichts, Geld ist da, um es zu vermehren. Urlaube, Restaurantbesuche, Konzertkarten: alles unnützer Kram, wenn‘s der Sohnemann oder die Ehefrau braucht, sollen sie es halt selbst bezahlen. Auf der anderen Seite steht – als Gegenklischee – der Typus weltfremder Künstler. Alles Zweckmäßige ist unter seiner Würde, es zählt allein der höhere Sinn. Geld kommt für ihn vom Himmel gefallen, Mahnbriefe wirft er ungeöffnet in den Papiermüll.

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Zwischen diesen beiden Extremen steht die Mehrheit: Menschen, die den Sinn schätzen ohne dabei das Zweckmäßige zu verkennen. Sie wissen, dass allein Kultur den Unterschied ausmacht zwischen Leben und Überleben. Und dass eine Gesellschaft, die alles Lebenswerte zur Privatangelegenheit erklärt, eben keine Gesellschaft mehr ist.

Sie wissen aber auch: Gemeinsam Geld für sinnhafte Projekte ausgeben, das kann man nur, wenn dieses Geld zuvor erwirtschaftet worden ist. An dieser Mitte, an Menschen also, die Politik als Aufgabe verstehen, das Notwendige mit dem Möglichen zu verbinden, hängt die Zukunft staatlicher Kulturförderung.

Fragwürdige Legenden

Es gibt eine ganze Reihe fragwürdiger Legenden, die helfen sollen, diese Menschen für Kulturausgaben zu gewinnen. Wo Kultur einmal eingespart worden sei, lautet eine davon, bleibe auf ewig eine Wüste, nie mehr komme etwas nach. Oder auch: An öffentlich finanzierten Institutionen hänge nichts weniger als die Demokratie, auf Rotstift folge unweigerlich der Fackelmarsch.

In Wahrheit hat es neben Einsparungen schon immer auch neue Investitionen in die Kultur gegeben. Und unser angeblich so demokratierelevantes Fördersystem entstammt selbst ausgesprochen undemokratischen Zeiten. Ja, man muss nur nach Amerika blicken, um zu sehen, dass eine Demokratie auch ganz ohne staatliche Kulturfinanzierung bestehen kann. Nein, Kultur erfüllt eben keinen Sachzweck, sie rettet weder ein politisches System noch spült sie über Umwege Geld in öffentliche Kassen.

Demonstration mit dem Schauspieler Lars Eidinger gegen Kulturkürzungen in Berlin: Künstler sollten sich vor wackligen Legenden hüten.
Demonstration mit dem Schauspieler Lars Eidinger gegen Kulturkürzungen in Berlin: Künstler sollten sich vor wackligen Legenden hüten. | Bild: Markus Lenhardt

Wacklige Legenden und blumige Metaphern schaden mehr, als sie nutzen, weil sie Vorurteile bedienen, Misstrauen nähren und konstruktive Debatten verhindern. Eine überzeugendere Strategie wäre es, die Folgen einer rein kaufmännischen Weltanschauung aufzuzeigen. Denn wer Kultur zur Privatangelegenheit erklärt, wird es bald auch bei bei der Gesundheitsversorgung tun und irgendwann auch beim Bildungserfolg. Auch dafür lohnt sich ein Blick nach Amerika. Sparen geht immer, überflüssig ist alles – wenn man nur den öffentlichen Haushalt mit einer Sparkasse verwechselt und Zweck wichtiger findet als Sinn.

Einfach die Wirklichkeit beschreiben

Bei sinkenden Steuereinnahmen, steigenden Energiekosten und höheren Sicherheitsausgaben bleiben Kulturbetriebe nicht von Kürzungen verschont. Sie können aber einfordern, dass Politik ihren Sinn definiert. Sie können zeigen, in welche Zukunft ein von Zweckmäßigkeiten dominiertes Politikverständnis führt. Und sie können uns mit der Frage konfrontieren, ob wir eine solche Zukunft wirklich wollen.

Wenn Kulturschaffende statt weihevoller Phrasen einfach nur die Wirklichkeit beschreiben, wird ihnen eine Mehrheit folgen. Weil die allermeisten Menschen eben nicht nebeneinander überleben wollen. Sondern miteinander leben.