Das Gras auf der Wiese steht hoch. Ein Storchenpaar überfliegt die menschenleere Straße. Die meisten Häuser im schweizerischen Bottmingen sind von hohen Hecken umgeben. Manche der modernen Bungalows erscheinen von außen wie Bunker. Nichts erinnert daran, dass hier in der finanzkräftigsten Gemeinde des Kantons Basel-Land an diesem Abend eine Opernvorstellung stattfindet, wären da nicht die Klavierklänge, die sich gelegentlich in das Vogelzwitschern mischen.

Kurz vor der Sommerpause hat das Theater Basel mit Giacomo Puccinis Einakter „Gianni Schicchi“ noch eine neue Musiktheaterproduktion des Opernstudios OperAvenir lanciert, die aus mehreren Gründen ungewöhnlich ist. Die insgesamt sechs Vorstellungen spielen in privaten Wohnzimmern, jede bei einem anderen Gastgeber.

Erst eineinhalb Stunden vor der Aufführung kam das achtköpfige Ensemble mit dem musikalischen Leiter Hélio Vida nach Bottmingen, um den Spielort kennenzulernen. 16 Gäste haben sich im Hof eingefunden. Jeder wird vor dem Haus einzeln von einem Ensemblemitglied begrüßt, mit Desinfektionsgel versorgt, ins Wohnzimmer geleitet und zum Krankenbett des reichen Buoso Donati geführt. Es gehe ihm sehr schlecht. Man drückt sein Bedauern aus, wünscht gute Besserung und darf sich einen Platz aussuchen. Moderne Gemälde hängen an der Wand, ein Steinlöwe sitzt vor dem Sofa, die Tür zum Garten ist geöffnet (Bühne: Marion Menzinger, Kostüme: Julia Stöcklin). Der Übergang zwischen Bühnenbild und privater Inneneinrichtung ist fließend.

Ein Fall für den Arzt? Nicht wirklich: Buoso Donati, hier im Krankenbett, ist nicht der echte Hausherr, sondern nur Hauptfigur in ...
Ein Fall für den Arzt? Nicht wirklich: Buoso Donati, hier im Krankenbett, ist nicht der echte Hausherr, sondern nur Hauptfigur in Puccinis Einakter. | Bild: LLH PRODUCTIONS

Sofort spürt man die atmosphärischen Störungen in dieser Familie. Und wird Zeuge, wie der alte Mann erwürgt wird, was zwar so nicht im Libretto steht, aber die Spannungskurve nach oben schnellen lässt. Dann setzt Hélio Vida am Konzertflügel ein, und die turbulente Komödie um einen Erbschaftsstreit kann beginnen.

Regisseurin Caterina Cianfarini hat aus den entfernten Verwandten vier Geschwister gemacht, die ständig neue Allianzen bilden, sich Absprachen einflüstern und Giftpfeile hin- und herschießen. Der Mörder ist Rinuccio (mit hellem, beweglichen Tenor: Alex Banfield), der die nicht standesgemäße Lauretta (mit ein wenig flackerndem Sopran: Kali Hardwick), Tochter des durchtriebenen Gianni Schicchi (Andrew Murphy), heiraten möchte. Er findet das Testament in einem Aktenordner im CD-Regal und stellt mit Schrecken fest, dass der Verstorbene sein gesamtes Vermögen einem Kloster vermacht hat.

Die Familie hyperventiliert. Da hat Gianni Schicchi gerade noch gefehlt, der ins Wohnzimmer platzt und erst einmal alles angrabscht, was ihm unter die Finger kommt. Eigentlich hat er keine Lust auf diese geldgeile, zerstrittene Familie, lässt sich aber von der Arie seiner Tochter „O mio babbino caro“ versöhnlich stimmen, zumal Ena Pongrac als Zita ihn mit langem Haar und ihrem über eine satte Tiefe verfügenden Mezzo bezirzt.

Lachen unter Schutzmasken

Gleich mit dem ersten Auftritt ist Andrew Murphy Mittelpunkt des Geschehens. Mit seinem Jack-Nicholson-Grinsen verleiht er Gianni Schicchi diabolische Doppelbödigkeit. Mit seinem kernigen Bassbariton ist nicht zu spaßen. Sein Plan, als falscher Buoso Donati das Testament zu ändern, geht auf – der echte liegt eingerollt am Wohnzimmerboden. Und wenn das langjährige Ensembemitglied des Theaters Basel seine Stimme brüchig macht, um den Doktor und den Notar (Vivian Zatta) zu täuschen, dann müssen die Besucher unter ihren Schutzmasken herzlich lachen.

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Von Murphys selbstverständlicher Präsenz kann das junge Ensemble noch etwas lernen. Gestik und Mimik sind manchmal zu übertrieben. Aber Cianfarinis gut getimte Inszenierung hält die Spannung hoch. Mkhanyiseli Mlombi (Simone) kämpft mit seinem kräftigen Bariton um seinen Einfluss als Erstgeborener, die Sopranistin Stefanie Knorr zieht als Nella im Hintergrund geschickt die Strippen. Bariton Kyo Choi (Marco) bleibt ebenfalls geschmeidig. Am Ende stehen sie alle mit leeren Händen da, weil Gianni Schicchi sich selbst das Erbe überschreibt. Glücklich wird er aber nicht. Im schicken Wohnzimmer mit der offenen Küche bleibt er alleine zurück.

Großer Applaus und Blumen der Gastgeber für die Solisten und den Pianisten. In dem intimen Rahmen kommt diese Oper der großen Gefühle und schnellen Stimmungswechsel an diesem Sommerabend noch näher als im normalen Theater. Danach geht es zum Glas Wein und mediterranen Häppchen in den Garten. Nur die Familie Donati ist leider nicht mehr dabei. So viel Nähe zum Publikum ist vom Theater Basel dann offensichtlich doch nicht gewünscht.

Weitere Informationen im Internet unter www.theater-basel.ch