365 Punkte von den Jurys und 226 vom Publikum – der Sieg für Nemos Song ‚The Code‘ beim Eurovision Song Contest (ESC) im schwedischen Malmö war deutlich. Und doch, was sehr schade für Nemo und die Vielfalts-Botschaft von „The Code“ ist, bleibt bei all dem Jubel ein fader Beigeschmack.
Denn die Europäische Rundfunkunion (EBU) hat sich mit ihrem Bestreben, alles Politische aus dem Wettbewerb auszuschließen und jeden Anflug von politischer Unkorrektheit im Keim zu ersticken, unglaubwürdig gemacht.
Der krampfhafte Wunsch nach Harmonie hat in diesem Jahr genau das Gegenteil bewirkt. Aus dem Motto „United By Music“, vereint durch Musik, wurde das Gegenteil: „Divided By Music“, getrennt durch Musik. Dass der deutsche Kandidat Isaak das Wort „Shit“ aus seinem Song streichen musste – im Jahr 2024 an Albernheit kaum zu überbieten, aber Schwamm drüber. Die EBU hat ganz andere Probleme.
Eins davon ist, dass sie keine Diskussion über die Teilnahme Israels zugelassen hat. Natürlich ist der Angriffskrieg in der Ukraine, der 2022 zum Ausschluss Russlands führte, etwas anderes als die Reaktion Israels auf den Angriff der Hamas. Und doch muss es möglich sein, auch über 30.000 tote Palästinenser zu reden.
Stattdessen: Maulkorb für die Künstler, laute Buhrufe in der Halle, Proteste davor. Der ESC will nichts anderes sein als eine große Party – aber der Wunsch geht an der Realität des Jahres 2024 vorbei. Friede, Freude, Eierkuchen, das ist der ESC schon längst nicht mehr.

Ein weiteres Problem der EBU ist die Disqualifikation des niederländischen Teilnehmers Joost Klein kurz vorm Finale. Der Grund: im Großen und Ganzen unklar. Die EBU hüllt sich in Schweigen, von einem „Vorfall“ ist die Rede, während die Darstellung des niederländischen Fernsehens – Klein habe eine Drohgeste in Richtung einer Kamerafrau gemacht, die ihn gegen seinen Willen gefilmt haben soll – die Entscheidung durchaus überzogen wirken lässt. Zumindest, solange nicht bekannt ist, was genau da nach dem zweiten Halbfinale eigentlich passiert ist.
Im Finale am Samstag wurde das Thema, auch das leider bezeichnend für die EBU, komplett ignoriert. Dabei hätte Offenheit der Veranstaltung gut getan – aber oberflächliche Harmonie war offenbar wichtiger.

Politische Diskussionen unterdrücken, aber beim Verdacht auf unangemessenes Verhalten die Null-Toleranz-Politik aus der Schublade holen, bevor die Fakten auf dem Tisch liegen? Die EBU sollte es besser wissen. Durch ihre Entscheidungen ist der Wettbewerb für viele Künstler mit einem Wermutstropfen verbunden, allen voran Nemo.
Denn der 68. ESC wird immer der sein, den zwar Nemo aus der Schweiz gewonnen hat, aber eben auch der, bei dem ein Favorit disqualifiziert wurde und die Diskussion um Israel alles überschattet hat.