Es wäre das schärfste Anti-Terror-Gesetz Europas, wenn die Schweizer am 13. Juni bei der Volksabstimmung dem neuen Gesetz zu polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT, zustimmen. Bei Anhaltspunkten, dass jemand einen terroristischen Anschlag verüben könnte, sieht das Gesetz eine Reihe von Maßnahmen vor – bis hin zu Hausarrest. Menschenrechtsorganisationen auch in der Schweiz schlagen Alarm. Das Gesetz wurde bereits im vergangenen Herbst verabschiedet. Mithilfe des demokratischen Mittels einer Bürgerinitiative wurde jedoch ein Referendum darüber erzwungen.
Hat die Schweiz Grund zur Sorge?
Doch die schweizer Regierung, der Bundesrat, verteidigt das Gesetz nach wie vor: „Seit den Anschlägen in Paris gab es in Europa mehrere dutzend dschihadistisch motivierte Angriffe. Auch in unserem Land ist die terroristische Gefahr erhöht“, sagt Justizministerin Karin Keller-Sutter.

Worum es bei dem Gesetz geht
Mit dem Gesetz will der Bundesrat potenzielle Gefährder früher erkennen und Straftaten verhindern.
- Gefährder können zu regelmäßigen Gesprächen verpflichtet werden, in denen ihre Gefährlichkeit erörtert werden soll. Oder dazu, sich in festen Abständen bei der Polizei zu melden.
- Möglich sind auch Kontaktverbote zu bestimmten Menschen oder Verbote, bestimmte Orte aufzusuchen oder zu verlassen.
- Ein Ausreiseverbot kann ebenfalls verhängt werden.
- Terroristische Gefährder mit ausländischer Staatsbürgerschaft können in Abschiebehaft gebracht und abgeschoben werden.
- Die Regelungen gelten nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder ab 12 Jahren.
- Die schärfste Maßnahme sieht Hausarrest vor, diese darf aber erst gegen Jugendliche ab 15 Jahren verhängt werden.
Voraussetzung für diese Maßnahmen ist aber, dass andere zuvor ergriffene Schritte nicht ausreichten. Dazu gehören etwa Beschäftigungsprogramme oder psychologische Betreuung. Greifen diese Maßnahmen nicht, kann das Bundesamt für Polizei (Fedpol) zu den neuen Anti-Terror-Maßnahmen greifen.
Dazu müssen „konkrete und aktuelle Anhaltspunkte“ vorliegen, dass von dem Verdächtigen „eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ für andere ausgeht, die „nicht anders abgewendet“ werden kann. Zudem sind die Maßnahmen zeitlich befristet, jede einzelne kann vom Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden.
Der Hausarrest ist dabei auf drei Monate begrenzt, kann aber zwei Mal um jeweils drei Monate verlängert werden. Im schlimmsten Fall kann ein Mensch, der keine Straftat begangen hat, also für neun Monate zu Hause festgehalten werden.
Überwachungsmöglichkeiten
Zur Überprüfung der Einhaltung der Maßnahmen sollen elektronische Fußfesseln oder andere elektronische Überwachungsmöglichkeiten erlaubt sein. Auch das Abfischen der Mobilfunkdaten ist dann erlaubt, um festzustellen, ob gegen die Auflagen verstoßen wurde.
Allerdings gibt es schon heute Möglichkeiten, gegen potenzielle Gefährder vorzugehen, monieren Kritiker. Entsprechende Straftatbestände gibt es bereits, etwa das Verbreiten terroristischer Inhalte auf sozialen Medien.
Warum ist das Gesetz umstritten?
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren das Gesetz scharf. „Die Bundespolizei wird mit diesem Gesetz ermächtigt, Zwangsmaßnahmen gegen unschuldige Personen und selbst Kinder einzusetzen, die sie potenziell für gefährlich hält“, sagt Patrick Walder, Kampagnenleiter bei Amnesty International Schweiz: „Das Gesetz fördert nicht Sicherheit, sondern Willkür und Ausgrenzung“, ergänzt er.
Der Europarat sowie fünf Sonderberichterstatter der UNO bestätigten ebenfalls, dass die Definition von „terroristisch“ nicht der des Völkerrechts und der Europäischen Menschenrechtskonvention entspreche.
Nach dem geplanten Gesetz gelten „Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken“ als terroristisch. Nach der völkerrechtlichen Definition geht es aber ausdrücklich immer um Gewalttaten. Die Schweizer Version umfasst auch schwere Straftaten: Diese können viel mehr umfassen.
In einem offenen Brief an den Bundesrat wiesen 60 schweizer Rechtsexperten auf rechtliche Probleme mit dem neuen Gesetz hin. Sie monieren vor allem den nicht klar definierten Begriff eines „terroristischen Gefährders“, der Raum für Willkür offen lasse.
Weil die Verfügungsmacht beim Bundesamt für Polizei, der Fedpol, liege, fehle eine ausreichende richterliche Kontrolle. Zwar sind diese Verfügungen vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechtbar. Doch die Kritiker fürchten, dass Maßnahmen aufgrund eines „abstrakten Risikos einer potenziellen Straftat“ schwierig anzufechten sein werden.
Umstrittener Hausarrest
Vor allem der Hausarrest sei mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar, schreiben die Rechtsexperten weiter. Artikel 5 der Konvention legt das Recht auf Freiheit und Sicherheit dar, die nur in bestimmten Fällen eingeschränkt werden darf. Dazu gehören etwa das Urteil eines Gerichts, Untersuchungshaft, Quarantäne oder Abschiebehaft.
Der bekannte Schweizer Strafrechtler, Andreas Donatsch, kam in seinem Rechtsgutachten im Auftrag der Kantone zu einem ähnlichen Schluss: „Sofern ein terroristischer Gefährder inhaftiert werden soll, weil von ihm eine allgemeine Gefahr ausgeht, ist eine Inhaftierung mit dem Konventionsrecht nicht vereinbar.“ Anders verhielte es sich nur, wenn „Eingrenzung durch erhebliche Vollzugslockerungen so ausgestaltet ist, dass diese nicht als Freiheitsentzug, sondern lediglich als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren“ sei, ergänzt er.

Einer der bekanntesten Kritiker ist Markus Mohler. Der frühere Dozent für Sicherheits- und Polizeirecht an den Universitäten Basel und St. Gallen, sieht das Gesetz als unvereinbar mit Schweizer Recht. So werde bei den Maßnahmen die Unschuldsvermutung nicht beachtet. Die Verpflichtung zu Gesprächen widerspreche dem Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen, moniert er weiter. Zudem überschreite der Bund mit der Gesetzgebung zu „rein sicherheitspolizeirechtlichen Maßnahmen der Prävention“ seine Kompetenzen. Dies sei eigentlich Sache der Kantone.
Der frühere Kommandant der Basler Kantonspolizei kritisiert zudem die praktische Umsetzung: So hätten die Kantone gar nicht die Kapazitäten, die Gefährder zu überwachen und zu prüfen, ob diese sich an die Auflagen halten. Denn die elektronische Überwachung sei nicht durchgehend erlaubt, Mobilfunkdaten erst im Nachhinein abrufbar. „Das Gesetz taugt nicht, um ein Attentat zu verhindern“, sagt er deshalb. Zudem seien Hassverbrechen von dem neuen Gesetz nicht erfasst, weil sich Terroranschläge qua Definition nicht gegen die staatliche Ordnung richten, Hassverbrechen jedoch nicht.
So gehen andere Länder präventiv gegen Gefährder vor
Seit den Terroranschlägen in Paris 2015 haben mehrere europäische Länder ihre Antiterrorgesetze ausgebaut und verschärft. Bereits 2017 verabschiedete das EU-Parlament eine Anti-Terror-Richtlinie, die 2018 in Kraft trat.
Hausarrest gibt es auch in Frankreich, allerdings nur für Menschen, die aus dem Ausland einreisen und bereits als Gefährder eingestuft sind. Die Maßnahme zielte vor allem auf IS-Rückkehrer aus Syrien ab, sie darf aber für maximal drei Monate angewendet werden. Dagegen gibt es für den Hausarrest keine Altersgrenze. Er kann also auch für Minderjährige verhängt werden.
In Österreich gibt es bislang keine präventive Haft oder einen präventiven Hausarrest. Nach den Anschlägen in Wien feilt die Regierung zwar an schärferen Gesetzen zur Anti-Terror-Prävention. Dabei geht es aber eher um weitreichendere Überwachungsmöglichkeiten.
In Deutschland fällt die Terrorprävention unter die Zuständigkeit der Länder. In Baden-Württemberg und Bayern etwa ist es möglich, Gefährder auf ihren Wohnort oder ein bestimmtes Gebiet zu beschränken. Auch ein Kontaktverbot zu bestimmten Personen liegt in der Kompetenz der Polizei, allerdings muss ein Gericht die Maßnahme anordnen. Auch elektronische Fußfesseln sind erlaubt. Selbst Gewahrsam ist möglich als letztes Mittel.
Wie die Schweizer zu dem Gesetz stehen
Zwar hat es in den vergangenen Wochen immer wieder größere Protestaktionen gegen das Gesetz gegeben. Doch Umfragen von Anfang Mai zufolge ist eine Mehrheit der Eidgenossen für das Gesetz. 67 Prozent würden demnach dafür stimmen. Eine Annahme am 13. Juni gilt deshalb als wahrscheinlich.