Im Bundesinnenministerium brodelt es. Denn dem mächtigen Ministerium gelingt es offenkundig nicht, die ihr untergeordnete Bundespolizei im Zaum zu halten. Jetzt reicht der Streit um die Ausnahmen beim Einreiseverbot in die Bundesrepublik bis ins Kanzleramt: Am morgigen Donnerstag soll es zu Beratungen zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten kommen.

Verlängerung der Grenzkontrollen droht

Die Grenzkontrollen gelten aktuell bis zum 4. Mai. Doch schon kündigt sich die nächste Verlängerung der Kontrollen an. Das bestätigt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem SÜDKURIER: „Der Bundesinnenminister hat die Absicht, diese vorübergehenden Grenzkontrollen zunächst bis zum 15. Mai zu verlängern.“ Ein entsprechender Vorschlag werde er morgen im sogenannten Corona-Kabinett vorstellen. Im Anschluss sollen die Ministerpräsidenten der von den Kontrollen betroffenen Bundesländer abstimmen.

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Der Sprecher des Staatsministeriums Baden-Württembergs, Arne Braun, will dazu zunächst nichts sagen. Erst müsse der Vorschlag auf dem Tisch liegen, sagt er weiter.

Abgeordnete fordern Grenzöffnung

Die beiden CDU-Abgeordneten Andreas Jung und Felix Schreiner wollen verlängerte Grenzkontrollen verhindern. „Die Grenze zur Schweiz muss wieder geöffnet werden, die Zäune müssen weg“, fordern die beiden Abgeordneten aus Konstanz und Waldshut. Die Einschränkungen müssten vom Tisch, verlangen die beiden CDU-Abgeordneten: „Nur mit Ausnahmen kommen wir hier nicht mehr weiter. Wir leben hier gemeinsam und unsere Region ist so verflochten, dass die Ausnahme die Regel ist“, machen sie deutlich.

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„Ob jemand aus Kreuzlingen kommt oder aus Kaltbrunn, aus Waldshut oder Zurzach, das Virus macht keinen Unterschied. Deshalb sollten wir das auch nicht machen“, sagen Jung und Schreiner und verweisen auf die rückläufigen Infektionszahlen der Schweiz. Auch die Infektionsschutzmaßnahmen seien auf beiden Seiten ähnlich. So sieht es auch der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt: „Ein Zaun zwischen Kreuzlingen und Konstanz ist jetzt nicht mehr sinnvoller als ein Zaun zwischen Petershausen und Wollmatingen. Die Mauer muss weg“, sagt er dem SÜDKURIER. Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler fordert ebenfalls eine rasche Öffnung der Grenze zur Schweiz.

Landräte aus Konstanz und Waldshut schließen sich an

Ihrem Appell schließt sich auch Konstanzer Landrat Zeno Danner an, wie er dem SÜDKURIER am Telefon sagt. Die derzeitige Regelung „zerschneidet willkürlich die Lebenswirklichkeit“ der Menschen in der Region, so der 42-Jährige. Danner geht noch weiter: „Leider geht die Akzeptanz der Corona-Regeln allgemein zurück, wenn die Regeln hinsichtlich ihrer infektionsschützenden Wirkung nicht unmittelbar einsichtig sind.“ Den Antrag von Seehofer hält er für falsch, sagt er ohne Umschweife. „Ich halte es auch für falsch, dass wir vor Ort nicht gefragt werden.“

Ähnlich sieht es der Waldshuter Landrat Martin Kistler: „Die Grenzschließung hat dazu geführt, dass familiäre oder partnerschaftliche Kontakte abgeschnitten wurden und Grenzgängern der tägliche Arbeitsweg erschwert wurde.“ Die Ausnahmeregelungen hätten nur teilweise Erleichterungen gebracht. Auch Kistler fordert, die Infektionsschutzmaßnahmen „in enger Abstimmung mit der Schweiz„ zu treffen.

Berlin mauert weiter

Doch im Bundesinnenministerium sieht man das anders: „Eine Verlängerung der bestehenden Grenzkontrollen ist angesichts der weiterhin bestehenden fragilen Lage erforderlich.“ Es bleibe dabei, dass Reisen nach Deutschland weiterhin „nur bei Vorlegen eines dringlichen Grundes möglich sind“.

„Das Bestehen einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft gilt als triftiger Grund für die Einreise“, sagt der Sprecher: „Diese Weisung wird vor Ort umgesetzt.“ Welche „grenzüberschreitende Privatreise als dringend anzusehen ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Beamten vor Ort“, heißt es mit Blick auf nicht eingetragene Partnerschaften.

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Der Hintergrund: Mehr als eine Woche dauerte es, bis die Weisung vom 17. April nur teilweise umgesetzt wurde. Zuvor hatte die Bundespolizei entgegen Artikel 6 des Grundgesetzes zum Schutz von Ehe und Familie selbst Verheiratete und Eltern von getrennt lebenden Kindern nicht einreisen lassen. Das Bundesinnenministerium reagierte erst auf massiven Druck von mehreren Abgeordneten aus der Region.

Eine Woche später folgt eine weitere Weisung, doch unverheiratete Paare an der Grenze berichten weiter von Zurückweisungen. Dabei heißt es darin, dass bei Lebenspartnerschaften ohne Trauschein zwar nicht grundsätzlich ein triftiger Grund zur Einreise vorliege, aber „im Einzelfall jedoch auch hier nach den jeweiligen Umständen nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden“ sei. Am Ende entscheidet der Beamte vor Ort. Grundsätzlich zurückweisen dürfen die Beamten Lebenspartner demnach aber nicht.

Praxis widerspricht den Weisungen

Doch die Praxis sieht anders aus. Eines von vielen Beispielen: Eine im Ausland lebende Frau wollte ihren Lebensgefährtin in Deutschland besuchen. Die Bundespolizei schreibt ihr an diesem Mittwoch: „Die Ausnahmen sind abschließend definiert. Der Besuch von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern ist eine solche Ausnahme. Alle anderen Besuche sind für die Dauer der Corona-Lage nicht möglich.“

Die Leserin schreibt: „Gibt es etwa Studien, in denen belegt wird, dass das Virus Ehegatten und Paare in eingetragener Lebenspartnerschaft nicht trifft? Was ist das für eine Begründung?“ Das Unverständnis in der Bevölkerung wächst. Und Fälle wie dieser bleiben an der Tagesordnung.

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Auch die Landtagsabgeordnete Nese Erikli (Grüne) weist in einem offenen Brief an Landesinnenminister Thomas Strobl darauf hin, dass das Bundesinnenministerium klargestellt habe, „der grenzüberschreitende Besuch für Mitglieder der Kernfamilie“ sei „uneingeschränkt möglich“. Dennoch werden selbst Ehe- und Lebenspartner nach wie vor abgewiesen, beklagt die Abgeordnete.

Die Absurdität des Regel-Wirrwarrs wird auch in einer Stellungnahme des Bundesinnenministeriums an den SÜDKURIER deutlich. Demnach gelten als sogenannte Kernfamilie „Familienmitglieder, die üblicherweise in einer Lebensgemeinschaft zusammen in einem Hausstand wohnen“. Demnach würden selbst verheiratete Paare, die in getrennten Haushalten leben, nicht als Familie zählen.

Weiter Schweigen in Potsdam

Die Bundespolizei schweigt und lässt Fragen des SÜDKURIER unbeantwortet. Wir hatten gefragt, welche Weisungen aus dem Bundesinnenministerium von der Bundespolizei umgesetzt werden und um eine Erklärung gebeten, wie diese innerhalb der Bundespolizei weitergegeben werden. Auf erneute Nachfrage kommt der „Hinweis, dass wir uns zu rein dienstinternen Abläufen grundsätzlich nicht öffentlich äußern“.