Frau Müller, welches Auto fährt die Chefin des Automobilverbandes eigentlich?

Ich nutze privat und dienstlich ein Hybrid-Modell. Für mich ist der Hybrid mit seinem Elektro- und Verbrennungsmotor das Beste aus beiden Welten. Kurze Strecken fahre ich elektrisch, längere Distanzen lege ich mit einem effizienten, sauberen Verbrenner zurück ­– die ideale Mischung. Ein reines Elektroauto wäre angesichts des aktuellen Ladesäulennetzes und den oft langen Wegen, die ich zurücklegen muss, schwierig.

Früher Energiewirtschafts-Lobbyistin, heute für die Automobilwirtschaft tätig: Hildegard Müller.
Früher Energiewirtschafts-Lobbyistin, heute für die Automobilwirtschaft tätig: Hildegard Müller. | Bild: Rolf Vennenbernd, dpa

Wie schätzen Sie die aktuelle Krise ein?

Mir scheint, dass noch nicht alle das Ausmaß dieser Krise sehen. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung setzt sinnvolle Impulse, keine Frage. Der Ausbau der Ladenetze wird stärker gefördert, die Kaufprämie für Elektroautos aufgestockt, und es gibt direkte Unterstützung für Investitionen in Innovationen, von denen wie wir hoffen, dass davon insbesondere Zulieferer profitieren können. Das alles stützt die Branche in ihrer Transformation – die sie im Übrigen ja engagiert vorantreibt:

Daimler-Produktion in Sindelfingen. Durch die Corona-Krise standen auch hier die Bänder still.
Daimler-Produktion in Sindelfingen. Durch die Corona-Krise standen auch hier die Bänder still. | Bild: Marijan Murat, dpa

Bis 2023 werden unsere Unternehmen ihr E-Angebot von heute etwa 60 auf über 150 Modelle in etwa verdreifachen. Bis 2024 investieren sie 50 Milliarden Euro in neue Antriebe und 25 Milliarden Euro sollen zusätzlich in die Digitalisierung gehen. Von den hierzulande zehn meistverkauften Elektroautos kamen im ersten Quartal sieben von deutschen Herstellern. Die Branche redet nicht, sie handelt.

Werden denn diese Investitionspläne überhaupt zu halten sein? Die Aussichten der Unternehmen sind düster.

Genau deshalb ist es so wichtig, dass die Konjunktur so schnell wie möglich wieder anspringt. Wer keinen Gewinn macht, kann keine Steuern zahlen. Und er kann nicht investieren. Die Automobilindustrie hat in der Zeit des Shutdown alles getan, um die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf hohem Niveau zu halten, und sie tut das weiterhin. Schließlich haben wir herausfordernde Ziele im Klimaschutz zu erfüllen. Das Erreichen der Flottengrenzwerte beim Ausstoß von CO2 bleibt unser Ziel, auch wenn sich eine Pandemie über den Globus ausbreitet. Eine langanhaltende Rezession macht aber natürlich nicht vor den Entwicklungsetats halt. Ich sehe das mit Sorge, vor allem mit Blick auf die mittelständischen Zulieferer. Die müssen massiv in neue Technologien investieren, fallen aber aus vielen der derzeit aufgelegten Programme raus. Mal weil sie zu klein, mal zu groß dafür sind. Das muss die Politik in Berlin und Brüssel stärker in den Fokus nehmen. Die Länderministerpräsidenten waren da näher am Puls.

Hätte eine Abwrackprämie die Autokonjunktur anschieben können?

Es gilt der Primat der Politik. Dennoch bin ich sicher, dass eine Prämie für saubere Verbrenner die Konjunktur umfassender anschieben würde. Es ist richtig, dass Elektro- und Hybridfahrzeuge gefördert werden und engagiert in die Ladesäuleninfrastruktur investiert wird. Aber derzeit haben Elektrofahrzeuge einen Marktanteil von etwa zehn Prozent. Wenn man eine breite Wirkung zur Konjunkturerholung erzielen will, müsste man auch den großen Rest der modernen, sauberen Diesel und Benziner fördern. Damit würde man auch schnell mehr für den Klimaschutz erreichen.

Neuwagen von Porsche stehen auf dem Gelände des Porsche Werks in Leipzig. Die Automobilwirtschaft leidet derzeit unter großen Beständen ...
Neuwagen von Porsche stehen auf dem Gelände des Porsche Werks in Leipzig. Die Automobilwirtschaft leidet derzeit unter großen Beständen von Fahrzeugen, die auf Halde stehen. | Bild: Jan Woitas, dpa

Viele Mittelständler in ganz Deutschland hängen am Verbrenner. Hätten die nicht mehr Rückendeckung seitens der Bundesregierung verdient?

Nehmen sie Bayern: Mit 206.300 Beschäftigten liegen 24 Prozent aller Arbeitsplätze der deutschen Automobilindustrie in diesem Bundesland. In Baden-Württemberg sind es 28 Prozent aller Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Viele der oft mittelständischen Automobilunternehmen sind der wirtschaftliche Kern in den jeweiligen Regionen, sie sind gute, innovative und verantwortliche Arbeitgeber, gute Steuerzahler. Und nun befinden sie sich ein einer schwierigen Situation.

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Wie stellt sich deren Lage genau dar?

Unsere Umfrage hat ergeben, dass 93 Prozent der Mittelständler in der Automobilindustrie derzeit das Instrument der Kurzarbeit nutzen. Insgesamt befindet sich mehr als Hälfte der Mitarbeiter der Zulieferer in Kurzarbeit. Dieses Instrument ist eine wichtige Brücke, aber es hilft nicht aus der Bredouille. Die Bundesregierung hat fraglos Maßnahmen ergriffen, die den Mittelstand stützen sollen. Die Frage ist, ob sie entsprechend wirken. Unserer Industrie ist wie andere unverschuldet in die Krise gekommen und hat die gleiche Unterstützung wie andere betroffene Branchen verdient.

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Müssen die Automobil-Beschäftigen Angst um ihre Arbeitsplätze haben?

Niemand kann heute voraussagen, wie wir durch diese Krise kommen. Durch die Transformation ist die Branche bereits in einer sehr angespannten Lage. Und durch die Corona-Krise werden die Herausforderungen nun wie durch ein Brennglas verstärkt. Erste Ankündigungen zu Arbeitsplatzabbau sind hier auch erste Warnsignale. Die Automobilindustrie hat eine hohe Wertschöpfung in Deutschland. Wenn wir diese Arbeitsplätze verlieren, wird es für viele Regionen in Deutschland schwierig.

Können die Hersteller eigentlich momentan genügend Elektro-Wagen liefern? Bei den Händlern müssen sich Autokäufer monatelang gedulden, ehe die Autos geliefert werden. Dann könnte die temporäre Mehrwertsteuersenkung schon wieder ausgelaufen sein.

Das Segment wächst, die Produktion läuft hoch. Im Mai sind die Neuzulassungen von Elektro-Pkw in Deutschland gegenüber dem Vorjahresmonat um 56 Prozent auf 12.358 Fahrzeuge gestiegen. Aber das Marktsegment beträgt derzeit weniger als 10 Prozent. Die Hersteller können die Produktion nicht beliebig steigern. Fabriken umzubauen, geht nicht auf Knopfdruck.

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Lange verspottet, heute Angstgegner der deutschen Autobauer: US-Konzern Tesla | Bild: Jens Kalaene, dpa

Seit den 1990er-Jahren redet Deutschland immer wieder über die Brennstoffzelle, die Autos mit Wasserstoff antreibt. Die Bundesregierung hat gerade ihre Wasserstoffstrategie beschlossen Es ist ein Nischenthema geblieben, trotz fertig entwickelter Modelle. Bleibt es in der Nische?

Letztlich ist es gelungen, dass im Rahmen der Wasserstoffstrategie auch der Verkehrssektor berücksichtigt wird. Ich bin sicher, dass Wasserstoff nicht nur ein Kraftstoff für Flugzeuge oder Schiffe ist, sondern auch für Fahrzeuge im Straßenverkehr, vor allem für Lkw, aber in Zukunft vielleicht auch für Pkw. Wir sollten technologieoffen arbeiten. Mit Wasserstoff und E-Fuels können wir schnell eine Wirkung für mehr Klimaschutz erzielen, weil damit auch die Umweltbilanz der Bestandsflotte verbessert wird.