Mirjam Moll und Uli Fricker

Alfredo Niosi versteht die Welt nicht mehr. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat er in seine Pizzeria in Allensbach (Landkreis Konstanz) investiert. Er hat die Tische auseinander gezogen und seine Kapazität von 50 auf 36 Plätze reduziert. Das hilft alles nichts. Ihn und seine neun Mitarbeiter trifft der zweite Lockdown ab Montag mit Wucht.

Dabei hat er erst vor einigen Tagen noch Trennscheiben aus Plexiglas bestellt, um sie zwischen die Tische zu stellen. Er wird sie in den kommenden Wochen nicht benötigen, denn kein Mensch wird sich in das Lokal mit den feuerfarbenen Wänden setzen dürfen.

Grundsätzliche Akzeptanz, im Detail jedoch nicht

Niosi ist ein alter Hase im Geschäft. Seit mehr als 40 Jahren ist der gebürtige Sizilianer in der Gastronomie am Bodensee unterwegs. Das Kochen lernte er auf der Insel Mainau. Im Grundsatz akzeptiert er die Maßnahmen der Regierung. Doch treffe der verordnete Stillstand für Gaststätten die Falschen.

Die Mannschaft der Allensbacher Pizzeria
Die Mannschaft der Allensbacher Pizzeria | Bild: Fricker, Ulrich

„In der Gastronomie haben wir doch alles richtig gemacht“, sagt der Wirt des „Restaurant Gnadensee“ im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Wer in eine Pizza essen gehe, betrinke sich nicht sinnlos, sondern halte sich an die Regeln von Anstand und Abstand. Er hofft, dass er seine Türen in vier Wochen wieder öffnen darf. Sonst würde es für seinen Betrieb knapp. „Wir halten das höchstens zwei Monate durch“, sagt er.

Ein Trostpflaster ist freilich der Verkauf außer Haus. 70 bis 80 Pizzen werden bei ihm pro Tag abgeholt, so dass sein Umsatz nicht ganz gegen Null rutscht. Zum Vergleich: Etwa 150 Pizzen lässt er backen, wenn das Ristorante geöffnet ist.

Von den Betriebsferien in den Lockdown

Anderer Ort, gleiche Probleme: Der Gasthof Rebstock in Stühlingen hat Betriebsferien bis 1. November. Für Jochen Sarnow und seine Familie war es die Möglichkeit, einmal durchzuatmen nach einem betriebsamen Sommer, der wegen fehlender Saisonarbeiter an die Substanz ging. Die anderthalb Wochen Betriebsferien werden nun allerdings unfreiwillig um einen Monat verlängert.

Jochen Sarnow mit seiner Familie: Gemeinsam betreiben sie den Rebstock in dritter Generation
Jochen Sarnow mit seiner Familie: Gemeinsam betreiben sie den Rebstock in dritter Generation | Bild: Rebstock

Sarnow hofft nun auf die Unterstützung für Unternehmen der Gastronomie, die bis zu 75 Prozent der Umsätze des Vorjahres als Finanzspritze erhalten sollen. „Wenn das stimmt, dann glaube ich, dass das ziemlich fair ist“, sagt der 56-Jährige dem SÜDKURIER.

Er kritisiert die Maßnahme auch deshalb nicht, weil er fürchtet, dass die Gäste mit steigenden Zahlen ohnehin ausblieben: „Die Alternative wäre, bei steigenden Zahlen offen zu haben und ehrlich gesagt glaube ich, dass sich das irgendwann nicht mehr lohnen würde. Wahrscheinlich würden wir dann auch von selbst zumachen“, ergänzt der Gastwirt.

Trotzdem blickt der Rebstock-Inhaber mit Sorge auf das, was nun bevorsteht: „Was mich umtreibt, ist, dass es ab dem 1. Dezember wohl kaum wieder so sein wird wie vorher in unserer Branche.“

Der Rebstock in Stühlingen ist im Sommer ein beliebtes Ziel für Wanderer, Touristen und Radler.
Der Rebstock in Stühlingen ist im Sommer ein beliebtes Ziel für Wanderer, Touristen und Radler. | Bild: Rebstock

Denn niemand könne wissen, ob der zunächst auf vier Wochen begrenzte Lockdown auch wirklich nur vier Wochen dauere. Sollten die Infektionszahlen nicht deutlich sinken, könnte sich die Zwangsschließung verlängern, fürchtet Sarnow.

Noch kann die Familie von den Einnahmen vom Sommer zehren. „Aber ich habe die Befürchtung, dass die Branche bis im Frühjahr am Boden liegen wird.“ Sarnow wird es wohl irgendwie schaffen, glaubt er. Der Betrieb wird in dritter Generation geführt. Aber es werde Überbrückungshilfen brauchen, betont er.

Wirtschaftliches Fiasko

Maximilian Haller muss zusehen, wie er die Waldburg nun durch den Winter bringt.
Maximilian Haller muss zusehen, wie er die Waldburg nun durch den Winter bringt. | Bild: Waldburg

Maximilian Haller vom Schloss Waldburg bei Ravensburg sieht das anders: „Das ist ein absolutes Fiasko“, sagt er dem SÜDKURIER: Schon durch den ersten Lockdown im Frühjahr habe er viele Absagen von Hochzeiten bekommen. Schon jetzt belaufe sich sein Umsatzloch auf 200.000 bis 250.000 Euro. „Wir haben massive Probleme, die Fixkosten zu halten“, macht er klar.

Gerade erst hatte sich Hallers Betrieb über den Sommer wieder etwas erholt: „Und jetzt kommt der zweite Lockdown, vollkommen unerwartet, weil wir alles getan haben, um die Infektionsketten zu brechen.“ So habe er in ein Lufthaus investiert, Plexiglas, Mitarbeiter top geschult.“

Die Waldburg ist auch im Herbst einen Besuch wert. Doch Inhaber Haller muss sich auf einen zweiten Lockdown einstellen.
Die Waldburg ist auch im Herbst einen Besuch wert. Doch Inhaber Haller muss sich auf einen zweiten Lockdown einstellen. | Bild: Maximilian Haller

Mit dem angedachten Zuschuss von 75 Prozent der Vorjahresumsätze könne er die Fixkosten decken, sagt Haller. „Aber die Frage ist, ob die Hilfe schnell und unbürokratisch kommt oder ob es sich hinzieht“, sagt der Dehoga-Vorsitzende von Ravensburg.

„Wir werden noch nach der Krise existieren“

Ähnliche Sorgen hat auch Florian Miehle, der das Hotel und Restaurant Barbarossa in Konstanz führt, in fünfter Generation. „Begeistert sind wir natürlich nicht“, sagt er dem SÜDKURIER. Auch er betont, Restaurants seien keine Infektionstreiber.

Weil für das Haus das Beherbergungsverbot hinzu kommt, wird es schwierig für den Familienbetrieb. „Wir haben Kurzarbeit beantragt und das ist zum Glück schon genehmigt worden“, sagt Miehle. Der 44-Jährige ist ebenso skeptisch, wie hoch die staatliche Unterstützung ausfallen wird. „Wir werden sicher auch noch nach der Krise existieren“, versichert er aber. Sein Ziel sei es, niemanden entlassen zu müssen.

Mehr Sorgen als im März

Trotzdem habe er jetzt mehr Sorge als beim ersten Mal: „Weil der Winter vor der Tür steht und das nicht förderlich ist für die Infektionszahlen“. Würde auch noch der Dezember wegfallen, „wird es eng“. Und wie viele treibt ihn die Angst um, „ dass Gäste aus Sorge auch dann wegbleiben“, wenn die Restaurants wieder öffnen dürfen. „Die Unsicherheit ist einfach sehr groß“, sagt er offen.

Beim Europa-Park zeigt sich Gründer des Freizeitparks, Roland Mack verärgert über die drohende Maßnahme: „Für uns kommt die Entscheidung auch überraschend, weil wir uns auf die Zusicherung der Politik verlassen haben, es werde keinen erneuten Lockdown geben.“ Finanzielle Hilfen seien unerlässlich, um die Branche zu retten, betont er.

Bundespolitiker kritisieren geplante Maßnahme scharf

Marcel Klinge ist tourismuspolitischer Sprecher in der Bundestagsfraktion der FDP.
Marcel Klinge ist tourismuspolitischer Sprecher in der Bundestagsfraktion der FDP. | Bild: Achim Melde

Auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcel Klinge, tourismuspolitischer Sprecher seiner Fraktion, gibt sich empört: „Bund und Länder schlagen blind und aktionistisch zu und treffen die stark gebeutelten Branchen wie Hotellerie, Gastronomie und den Tourismus mit voller Wucht.“ Er geht noch weiter: „Das Verbot von touristischen Übernachtungen ist das gerichtlich gekippte Beherbergungsverbot mit anderem Namen.“

Durch die Beschlüsse würden „fahrlässig noch mehr Existenzen aufs Spiel gesetzt“. Zudem könnten viele Unternehmen, „die mit dem Rücken zur Wand stehen“, mit den Ausgleichszahlungen von 75 Prozent des Vorjahresumsatzes nicht auskommen.

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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner vertritt mit dem Landkreis Waldshut einen der gastronomiereichsten Kreise des Landes. „Ich bedauere, das es zu erneuten Schließungen kommt“, sagt er dem SÜDKURIER. Die Betriebe in der Region hätten sich kluge Konzepte für den Winter ausgedacht, Abstands- und Hygieneregeln eingehalten und würden nun dennoch hart getroffen.

Felix Schreiner ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Waldshut.
Felix Schreiner ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Waldshut. | Bild: Inga Haar

Er fürchtet: „Die wirtschaftlichen Folgen, gerade für die über 2000 familiengeführten Betrieben im Schwarzwald, werden immens.“ Zudem verweist er auf den Unterschied zwischen Ballungszentren wie Berlin und dem ländlichen Raum. „Nun werden jene getroffen, die sich an die Regeln gehalten werden.“ Für die tourismusgeprägte Region sei das eine harte Entscheidung.

Branchenverband sieht schwarz

Daniel Ohl von der Dehoga Baden-Württemberg sagt dem SÜDKURIER: „Das ist kein Lockdown light, sondern ein harter Lockdown, vor allem für die Gastronomie.“ Ob die staatlichen Hilfen von bis zu 75 Prozent des Umsatzes allen Betrieben zukomme – unabhängig von ihrer Größe, sei noch offen.

Zudem blieben viele Fragen offen, etwa wie neubegründete Betriebe, die 2019 noch keinen oder nur wenig Umsatz vorweisen können, unterstützt werden sollen. „Ob wir eine Klage unterstützen, können wir nicht beantworten“, sagt der Dehoga-Sprecher: „Das hängt davon ab, was die Betriebe für die einschneidende Maßnahme wirklich bekommen.“

Zudem zeigten die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, dass Hotellerie und Gastronomie kein relevantes Infektionsgeschehen aufwiesen, ergänzt Guido Zöllick, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes: „Das Gastgewerbe ist kein Pandemietreiber.“ Jetzt gehe es um das Überleben der Branche. „Einem Drittel der 245.000 Betriebe droht bei einer erneuten Schließung das Aus“, warnt der Branchenvertreter.