Eigentlich wollte eine der wichtigsten deutschen Ärzteorganisationen eine einheitliche Linie in Sachen Corona aufbauen. Im „Positionspapier von Wissenschaft und Ärzteschaft zur Strategieanpassung im Umgang mit der Pandemie“ rückt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) von der Position der Bundesregierung merklich ab. Die Ärzte in der KBV lehnen den weitgehenden Lockdown, der seit Montag gilt, ab.
Wichtiger Autor dieser „Position“ sind die Virologen Hendrik Streeck (Universität Bonn) sowie Jonas Schmidt-Chanasit (Uni Hamburg). Die Punkte des Papiers überzeugen nicht alle Ärzte: Die KV Württemberg scherte bereits aus. Auch eine Gruppe, die der Überlinger Hausarzt Rainer Röver hinter sich schart, hält die Haltung der KBV für falsch.
Das Vorgehen ist richtig, sagt Dr. Röver
Röver steht hinter der derzeitigen Politik von Bund und Land. Er nennt die Maßnahmen seit Montag einen Wellenbrecher-Lockdown: Um ein größeres Infektionsgeschehen zu verhindern, werde das öffentliche Leben vier Wochen lang heruntergefahren. Damit soll die immer höher steigende Welle gebremst werden.
„Man kann darüber im Detail diskutieren, aber im Grundsatz ist das Vorgehen richtig“, sagt Röver im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Über 400 zustimmende Mails hat der 42-jährige Mediziner aus dem Kollegenkreis eigenen Angaben zufolge bereits erhalten – und das, ohne ein große Kampagne zu starten.

Scharfe Kritik äußert der Hausarzt an den Kassenärztlichen Vereinigung und ihrem Berater Streeck. „Das ist seine private Meinung“, sagt Röver gerade heraus. „Seit Monaten schlage Streeck das schon vor.“ Er und die KBV plädieren für weniger Verbote und mehr Gebote. Sie vertrauen vor allem der Vernunft der Mehrheit.
Streeck geht es um die Risikogruppen
Den teilweisen Lockdown seit Montag hält Streeck für nicht angebracht. Wirksamer sei ein Schutz vor allem von Risikogruppen. Das Leben der breiten Bevölkerung solle dagegen so normal wie nur möglich verlaufen.
Gemeint ist das Ampel-Modell, das Streeck bemüht. Dabei werden von Ort zu Ort Regeln mit verschiedener Härte für die Bürger aufgestellt. Je höher die Zahlen, desto schärfer fallen die Maßnahmen aus. Röver kann dieser Methode nicht viel abgewinnen. Er verweist auf einen Pendler, der im ruhigen Hinterland mit niedriger Inzidenz wohnt und dann beispielsweise in die Schweiz pendelt, die wegen hoher Fallzahlen als Risikogebiet gilt. Deshalb sei die Ausweisung von großflächigen Risikogebieten durch die Regierung richtig. „Da stehe ich grundsätzlich dahinter“, sagt der Hausarzt und SPD-Kommunalpolitiker Röver.
Drei Mediziner, drei Meinungen
Dem Laien erscheint es als fragwürdig, wie wissenschaftlich ausgebildete Mediziner im selben Land zu ganz verschiedenen Corona-Strategien gelangen. Für Röver selbst ist das nicht ungewöhnlich. „Fragen Sie drei Mediziner und Sie erhalten drei Meinungen“, sagt er im Gespräch. Das spreche aber nicht gegen sein Fach, sondern es sei Teil einer wissenschaftlich offenen Diskussion.
„Da wird Angst geschürt“
Wie stark die Meinungen innerhalb der Ärzteschaft auseinander gehen, zeigt die Überlinger Medizinerin Karin Kollmann. Sie hält die momentan verhängten Verbote für überzogen und lehnt sie deshalb ab. „Da wird in der Bevölkerung dauernd Angst geschürt“, sagt sie. Auch die Corona-Tests seien nicht aussagekräftig, kritisiert die Hausärztin im Ruhestand, die früher in der Entwicklungshilfe arbeitete.
Nach einer schweren Operation muss sie keine Maske tragen, ein Attest bescheinigt ihr das. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen vor ihr panisch fliehen. In eine Schublade lässt sie sich nicht stecken: Sie bezeichnet sich als „Selbstdenkerin.“