„Ich hätte auf jeden Fall gewählt, hätte ich gedurft“, sagt Anna Thomann. Die 17-Jährige ist eine von 400.000 Jugendlichen, die bei der Bundestagswahl am 23. Februar doch nicht abstimmen dürfen. Der Grund? Ihr Geburtstag.

Mit 17 Jahren nicht wählen zu können, ist in Deutschland nicht unüblich. Doch Anna war für die diesjährige Bundestagswahl eigentlich wahlberechtigt – bis der Termin vorgezogen wurde. Allein in Baden-Württemberg betrifft das 55.000 Jugendliche, schätzt das Statistische Landesamt.

Sie verpasst die Wahl um 39 Tage

„Im ersten Moment habe ich gar keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich jetzt doch nicht wählen darf“, erinnert sich Anna Thomann. Sie besucht die 12. Klasse am sozialwissenschaftlichen Gymnasium in Bad Säckingen und steht kurz vor dem Abitur. Ihren 18. Geburtstag feiert sie am 3. April, also knapp sechs Wochen nach der Bundestagswahl.

Anna Thomann, Schülerin aus Bad Säckingen
Anna Thomann, Schülerin aus Bad Säckingen | Bild: Anna Thomann

Sich nicht an der Wahl zu beteiligen, kam für Anna nicht infrage. „In meiner Klasse, in meinem Freundeskreis wären die meisten zur Wahl gegangen“, sagt sie. Als der Termin der vorgezogenen Wahl bekannt wurde, sorgte das für Unruhe im Klassenzimmer. „Der Tenor war klar: Es macht gar keinen Sinn, dass wir unsere Stimme verlieren“, schildert sie die Stimmung.

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„Genervt und frustriert, aber nicht deprimiert“ – so beschreibt Anna ihre Gefühlslage. Sie selbst engagiert sich nicht politisch, interessiert sich aber dafür. Auf Instagram und TikTok schaut sie sich öfter Videos von Straßenumfragen an, in denen Menschen gefragt werden, wen sie wählen. „Bei manchen Aussagen musste ich schon schlucken“, sagt die Schülerin. „Das frustriert umso mehr, nicht mitbestimmen zu dürfen.“

Wäre eine Ausnahme möglich?

Die nächsten Wahlen finden erst in vier Jahren statt – eine „echt lange Zeit“, findet Anna. „Wir Jungen haben das ganze Leben noch vor uns, da sollten wir auch bei der Politik mitentscheiden.“ Sie hätte es sinnvoll gefunden, wenn Jugendliche, die beim ursprünglichen Wahltermin im September wahlberechtigt gewesen wären, auch an der vorgezogenen Wahl teilnehmen dürften. Doch wäre das laut Wahlrecht überhaupt möglich?

„Nein, mit Sicherheit nicht“, sagt Joachim Behnke, Professor für Politikwissenschaft und Sachverständiger der Kommission zur Reform des Wahlrechts im Bundestag. „Der Stichtag, also wer an einer Wahl teilnehmen darf, muss sich an dem Wahltag orientieren“, sagt der Experte. „Alles andere ist rechtlich überhaupt nicht vorstellbar.“

Joachim Behnke, Professor für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen
Joachim Behnke, Professor für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen | Bild: ZU/Ilja Mess

„Es wird niemandem etwas genommen“

Die kommende Bundestagswahl ist nicht die Erste, die verschoben wird. Bei jeder Wahl gibt es Menschen, die einen Tag nach der Wahl 18 werden. Trotzdem ist das System fair, weil alle gleich behandelt werden, sagt Joachim Behnke. Schließlich werde der Wahltag nicht ausgelegt, um Leute bewusst davon auszuschließen. „Es wird niemandem etwas genommen“, erklärt er. „Jemand erhält nur etwas nicht, von dem er ursprünglich ausgegangen ist, es zu bekommen.“

Einen Grund für eine steigende Politikverdrossenheit, also für Desinteresse am politischen Geschehen, sieht Behnke darin nicht. „Man kann sich aus vielen Gründen über die Parteien ärgern und enttäuscht sein, aber das wäre so ziemlich der denkbar schlechteste Grund“, sagt er.

Er darf weder wählen noch helfen

Auch Tim Dippong aus Villingen-Schwenningen gehört zu den Jugendlichen, die erst nach dem 23. Februar volljährig werden. Seinen 18. Geburtstag feiert er am 8. Juni. Der 17-Jährige macht sein Fachabitur an der David-Würth-Schule in Schwenningen und engagiert sich seit knapp drei Jahren im Jugendgemeinderat. Auch er wollte an der Bundestagswahl teilhaben – nicht nur als Wähler, sondern auch als Wahlhelfer. „Jetzt kann ich nichts von beidem tun“, sagt er.

Tim Dippong, Schüler aus Villingen-Schwenningen
Tim Dippong, Schüler aus Villingen-Schwenningen | Bild: privat

Ähnlich wie Anna dachte auch Tim nicht sofort daran, dass er durch die Wahlverschiebung nicht wählen kann. „Als mir das zwei, drei Wochen später bewusst wurde, war ich natürlich erst mal traurig“, erzählt er. Auch Tims Eltern waren überrascht, als ihre Wahlunterlagen per Post kamen und sein Brief fehlte. „Ich glaube, den Wenigsten ist das bewusst.“

„Es ist sehr viel Angst im Raum“

Mittlerweile hat Tim sich mit der Situation abgefunden. „Klar nervt es mich, aber ich kann ja auch nichts daran ändern.“ Für ihn war die Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz die richtige Entscheidung und ein Teil der Demokratie.

Obwohl Tim selbst nicht teilnehmen kann, wird in seinem Umfeld viel über die Bundestagswahl gesprochen. „Es ist sehr viel Angst im Raum“, sagt er. „Angst vor dem Ergebnis und Angst vor dem, was kommt.“ Gleichzeitig haben die jüngsten Ereignisse wie die Migrationsdebatte im Bundestag dazu geführt, dass plötzlich mehr politisches Interesse bei Gleichaltrigen da ist, findet er.

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Für Tim ist die Teilhabe und das Mitgestalten ein wichtiger Punkt. „Die Politik wird zum größten Teil von älteren Menschen geprägt, natürlich vertreten sie nicht unbedingt die Interessen der Jungen“, sagt er. Umso wichtiger sei es, dass gerade jüngere Menschen ihre Stimme nutzen.