Reinhard Valenta

Derzeit liegt die „Villa Berberich“ verlassen im Kurpark. Vor drei Wochen blühte hier noch das Kulturleben. Jetzt blüht nur der Tulpenbaum und die Wochen fühlen sich endlos an. Vor 80 Jahren wurde hier die Zeit vielleicht als ähnlich bleiern empfunden. Damals litt Deutschland auch an einem Virus. Es hatte sich aber in die Köpfe und nicht in die Lungen eingenistet. Und es führte zu vielen Toten: Der Antisemitismus.

Wie kam es, dass ausgerechnet das Erdgeschoss der „Villa Berberich“ ein antisemitismusfreier Bereich war? Dass hier Juden sogar gern gesehen wurden? 1932 musste die Verwaltung der Mechanischen Buntweberei Brennet (MBB) wegen der Wirtschaftskrise von Stuttgart zurück nach Brennet ziehen. Firmenchef Carl Denk suchte für seine Familie eine Bleibe. Ein Haus bauen ging nicht, weil die Firma das Geld brauchte. Also zog er mit seiner Ehefrau Sophie und den Kindern in das Erdgeschoss der „Villa Berberich“ ein.

Die Villa Berberich.
Die Villa Berberich. | Bild: Reinhard Valenta

Die Denks pflegten schon immer gute Beziehungen zu jüdischen Textilhändlern. Durch die Kinder, die das Eberhard-Gymnasium in Stuttgart besuchten, kamen Kontakte zu Familien des Stuttgarter Bürgertums zustande, darunter auch jüdische Unternehmer. Julius Denk besuchte dieselbe Klasse wie der berühmte Schriftsteller Bruno Frank. Und Robert Denk lernte beim Klavierunterricht Brunos Bruder Lothar, den jüngsten Sohn des Bankiers Sigismund Frank, kennen. Auch die Mütter Lina Frank und Sophie Denk wurden dicke Freundinnen. Als sich Robert einer schwierigen Operation unterziehen musste, versorgte ihn Lothar mit Lesematerial – „als es mir besonders schlecht ging“, so schrieb Robert Denk in seinen Memoiren.

Robert Denk nach einer verpfuschten Gesichtsoperation durch einen Arzt im Stuttgarter Karl Olga Krankenhaus. Er litt unsägliche ...
Robert Denk nach einer verpfuschten Gesichtsoperation durch einen Arzt im Stuttgarter Karl Olga Krankenhaus. Er litt unsägliche Schmerzen und wurde von seinem Freund Lothar Frank oft besucht. | Bild: Brennet Archiv

Bald schon kam die Zeit, da der älteste Denk-Sohn seinem Freund zur Seite stehen konnte. Nach dem Tod von Sigismund Frank 1930 stieg Lothar in die Leitung der Privatbank ein. Sie geriet zu Beginn der Nazizeit ins Trudeln. Lothar, der „natürlich unschuldig war, wurde von den Nazis“, so Robert Denk, „der Einfachheit halber“ ins Gefängnis gesteckt. Robert besuchte seinen Freund, „leider ohne ihm mehr als moralisch helfen zu können“. Ob Robert Denk Angst vor der Gestapo hatte, wissen wir nicht. Jedenfalls kam Lothar frei und ging in die USA.

Sophie und Carl Denk am Abend ihrer Goldenen Hochzeit am 9. Januar 1953. Beide hielten auch in der Nazizeit treu zu ihren jüdischen ...
Sophie und Carl Denk am Abend ihrer Goldenen Hochzeit am 9. Januar 1953. Beide hielten auch in der Nazizeit treu zu ihren jüdischen Freunden. | Bild: Brennet Archiv

Schlimm erging es Lina Frank nach 1933. Der Antisemitismus nahm tagtäglich zu. Frühere Freunde verwandelten sich in Feinde. In dieser prekären Lage war ihr die „Villa Berberich“ ein sicherer Hort. Mehrfach fand sie bei ihrer treuen Freundin Sophie Denk Unterschlupf. Ein poetischer Dank kam im September 1935 von Bruno Frank, der bereits im Exil lebte. Er schickte Sophie ein Exemplar seines in Holland gedruckten Romans „Cervantes“ mit folgender Widmung: „In aller Dankbarkeit für alle meiner lieben Mutter erwiesenen Freundschaft“.

Die Widmung Bruno Franks auf der Signierseite seines Romans „Cervantes“ für die Familie Denk.
Die Widmung Bruno Franks auf der Signierseite seines Romans „Cervantes“ für die Familie Denk. | Bild: Reinhard Valenta

Aus einem Brief Carl Denks, den er zwei Monate später am 5. November 1935 verfasste, geht hervor, dass Lina Frank damals wieder in Säckingen weilte. „Sophies Arm bessert sich; sie tut gut daran, sich vollends zu erholen. Möglicherweise geht sie mit Frau Frank, die bei uns ist, zur Kur. Die Rede war schon vom Sanatorium Katz in Stuttgart-Degerloch oder vom Glotterbad.“ Wahrscheinlich lud er Lina Frank zu dieser Kur ein.

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Am 30. August 1945 schrieb der Sozialdemokrat Gustav Friebolin, damals 1. Beigeordneter Säckingens und Angestellter der MBB, dem französischen Kommandanten, dass „Frau Carl Denk besonders mit der Mutter des Herrn Bruno Frank befreundet war“. Lina Frank sei noch „kurz vor dem Krieg mehrere Wochen ihr Gast“ gewesen. Carl Denk hatte Friebolin nach dessen Verhaftung im Sommer 1944 aus der Typhus-Baracke des KZ Dachau-Allach geholt und ihm so das Leben gerettet.

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Auch Lina Franks Leben wurde gerettet. Noch vor Kriegsbeginn gelangte sie über die Schweiz zu ihrem Sohn Helmut nach Turin. Dort überlebten beide den Holocaust. 1954 schickte sie dem „lieben Robert Denk“ Carlo Levis berühmtes Buch „Christus kam nur bis Eboli“ mit der Widmung: „Zur freundlichen Erinnerung an die heimatkranke Lina Frank“. Welch tragisches Schicksal einer überzeugten Stuttgarterin!

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Auch das jüdische Ehepaar Heller und der Textiler Albert Landauer erhielten die Hilfe der Denks. Sophie und ihre Freundin Martha Funke schmuggelten in Carl Denks Wagen Devisen für exilierte jüdische Freunde in die Schweiz. Darauf stand Zuchthaus! Und welch ein Zufall: Auf einer Gedenktafel vor der Tourist-Info in Sanary-sur-Mer, der Partnerstadt Bad Säckingens, findet man auch Bruno Franks Namen. Ein weiterer Grund, sich an die Geschichte der „Villa Berberich“ und ihrer Bewohner zu erinnern.