„Bei der unsinnigen Verunsicherung der Menschen durch unsere Bundespolitik ist es kein Wunder, dass viele Menschen jetzt Angst vor Astrazeneca haben.“ Der ärztliche Leiter des Kreisimpfzentrums in Tiengen, Dr. Olaf Boettcher, findet angesichts der Folgen des Hickhacks um den umstrittenen Astrazeneca-Impfstoff deutliche Worte der Kritik. Nach der temporären Aussetzung der Verabreichung, wird Astrazeneca seit Montag auch im KIZ wieder regulär verimpft. Doch offenbar wollen viele Impfberechtigte das Mittel nicht mehr haben. Überhaupt sei der Schaden, den die vorübergehende Aussetzung für den Ruf des Impfstoffs mit sich gebracht hat, noch kaum zu ermessen.
Über 400 Impfberechtigte haben nach Impfstoffaussetzung Vorbehalte
Konkret sieht die Sache so aus: Der temporären Aussetzung des Impfstoffs sind vergangene Woche im KIZ Tiengen 1250 Termine zum Opfer gefallen. Diese sollen laut Landratsamt-Sprecher Tobias Herrmann Anfang April nachgeholt werden. Doch offenkundig hat ein eklatanter Teil der Betroffenen gar kein Interesse an einem neuen Termin zur Verabreichung von Astrazeneca. Er beziffert die Zahl auf etwa ein Drittel – also über 400 Menschen, die nun deutliche Vorbehalte gegen eine Impfung mit Astrazeneca haben, so Herrmann weiter.
Zur Erinnerung: Die Impfungen waren kurzfristig ausgesetzt worden, nachdem der Verdacht aufgetaucht war, sieben Geimpfte könnten im Zusammenhang mit der Verabreichung von Astrazeneca eine Thrombose-Erkrankung erlitten haben. Erst Ende vergangener Woche hatte die Europäische Arzneimittelbeörde EMA die Verimpfung von Astrazeneca wieder empfohlen. Die kurzfristig abgesagten Impftermine von vergangener Woche sollen Anfang April nachgeholt werden.
Olaf Boettcher betont: „Jede Impfung ist mit gewissen Nebenwirkungen verbunden.“ Die Gefahren von Astrazeneca wertet er in dieser Hinsicht nicht als schwerwiegender als Folgeerscheinungen jeder anderen Impfung. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das Mittel bereits millionenfach verimpft worden sei, und in diesem Zusammenhang gerade einmal sieben Verdachtsfälle vorgekommen seien. Im Kreis Waldshut sei keine einzige Thrombose aufgetreten: „Wir haben im Nachgang zu den Impfungen sogar eigene Patientenuntersuchungen vorgenommen – ohne Befund.“
Olaf Boettcher: „Vollkommen kontraproduktives Vorgehen“
Das Vorgehen des Gesundheitsministeriums sei in diesem Fall „vollkommen kontraproduktiv“ gewesen, kritisiert Boettcher. „Ich kann nur hoffen, dass die Verunsicherten sich von einem Arzt oder Apotheker beraten lassen und Ängste abgebaut werden können. Wir haben nämlich schlicht keine Zeit, auf die Freigabe eines alternativen Impfstoffs wie Sputnik V zu warten.“ Immerhin wertet er es schon einmal als „positives Signal“, dass auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich mit Astrazeneca hat impfen lassen: „Solche Beispiele sind einfach wichtig.“

Abgesehen davon hat der Landkreis keine Möglichkeit einen eigenen Weg einzuschlagen, und zwar weder hinsichtlich der Liefermenge, des Impfstoffs noch der Verimpfung, wie Tobias Herrmann erklärt: „Wir sind an die Vorgaben des Landes gebunden.“ Eine komplette Abkehr von Astrazeneca und beispielsweise ein ausschließlicher Fokus auf Biontech sei damit auch ausgeschlossen.
Im KIZ herrscht seit Montag wieder Normalbetrieb
Unterdessen laufen die Impfungen im KIZ in Tiengen inzwischen wieder reibungslos und unter Ausschöpfung sämtlicher Kapazitäten weiter, wie Tobias Herrmann berichtet: „Rund 600 Menschen werden pro Tag geimpft.“ Die meisten davon mit Astrazeneca. Aber auch der Biontech-Impfstoff komme verlässlich.
Bis einschließlich Dienstag haben 11.087 Menschen im Landkreis Waldshut ihre Erstimpfung im KIZ erhalten, davon wurden bereits 3507 auch schon zweitgeimpft. Weitere 2824 Menschen wurden von mobilen Impfteams mit Moderna geimpft.
Laut Landratsamt liegt die Zahl der Bürger im Landkreis Waldshut, die einen Anspruch auf eine Impfung haben, bei gut 140.000. 104.000 von ihnen sind zwischen 18 und 65 Jahre alt, 36.000 über 65 Jahre alt.
Reste am Abend gibt es nicht: Impfstoffe werden komplett verabreicht
Übrigens wird strikt darauf geachtet, dass die gelieferten Impfdosen auch komplett verimpft werden, betont Olaf Boettcher: „Bei uns wird nichts vergeudet oder weggeschmissen.“ Die Impfdosen werden kontinuierlich hergestellt, wenn die Patienten im KIZ ankommen.
Bleiben am Ende des Tages dennoch Reste übrig, gebe es sogenannte Springerlisten, wie Tobias Herrmann sagt: „Darauf stehen Personen, die den Priorisierungsgruppen 1 oder 2 angehören und in solchen Fällen abends kontaktiert werden.“ Laut Boettcher zählen dazu neben Über-80-Jährigen beispielsweise auch Mitarbeiter von medizinischen Einrichtungen.