46.436 Kilometer haben Sina Bohsung aus Rheinfelden und Niels Angne aus Lörrach bereits hinter sich gebracht. Am 1. Oktober 2017 ist das Paar aufgebrochen. Die beiden reisen mit erhobenem Daumen um die Welt, trampen immer Richtung Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Etwa zehn Euro pro Tag sind ihr Budget. In den zwei Jahren ihrer Reise, die längst ihr Leben geworden ist, haben sie festgestellt, dass menschliche Begegnungen die wertvollsten Erfahrungen sind – und gleichzeitig unbezahlbar.
Sina Bohsung und Niels Angne sind beide 28 Jahre alt. Mit 26 Jahren haben sie sich auf den Weg gemacht. Los ging es in Lörrach, von wo aus Freunde sie bis zum Bodensee gefahren haben. Österreich, Ungarn, Rumänien oder die Türkei gehörten zu ihrer Route. Sie besuchten den Iran und verbrachten Zeit in Pakistan, an das sich Sina wegen der außerordentlichen Gastfreundschaft der Menschen besonders gerne erinnert.
Weihnachten in der Heimat
Indien, Nepal, Myanmar, Thailand und Vietnam haben sie schon gesehen. 2017 feierten sie Weihnachten in Griechenland, im letzten Jahr waren sie am 24. Dezember in Indien. Dieses Jahr ist alles ein bisschen anders: Von Malaysia aus sind sie nach Deutschland geflogen, um Weihnachten wieder einmal mit Familie und Freunden zu feiern. Denn die Reise scheint länger zu werden, als sie ursprünglich gedacht hatten.
„Es geht uns nicht darum, schnell voranzukommen“, erklärt Niels Angne. Sie verspüren keinen Druck, bleiben, wo es ihnen gefällt. „Unser Augenmerk sind die Begegnungen“, ergänzt Sina. Und die bleiben auf der Strecke, wenn man ein Land einfach nur im Auto durchquert. Zwischen sechs Wochen und drei Monaten dauern ihre Aufenthalte. „Sightseeing machen wir wenig. Wir begleiten lieber Menschen durch den Tag“, sagt Sina Bohsung.
Vor der Reise haben sie alles verkauft, was sie besaßen. „Als Reisekapital haben wir 20.000 Euro zusammenbekommen“, berichtet Sina, die in Deutschland als Immobilienkauffrau gearbeitet hat. Niels ist studierter Theologe. Bisher haben sie erst 7500 Euro ausgegeben. Gleichzeitig verdienen sie durch das Reisen mittlerweile auch Geld: Werbekunden haben den Youtube-Kanal der „Travelowls“, der Reiseeulen, entdeckt. „Das Reisen ist unser Lebensstil geworden“, sagt Sina.
Mit Neugier, nicht mit Angst
Reisen bedeutet offen zu sein für neue Eindrücke und Erlebnisse. Diese Offenheit wollen sie teilen und andere Menschen motivieren, sich nicht von Angst, sondern von Neugier leiten zu lassen. Sina: „Es gab so viele Warnungen vor Ländern wie Pakistan. Aber gerade in den muslimischen Ländern wurden wir bisher am besten und vorurteilsfrei aufgenommen.“ Zwei Monate blieben sie schließlich in dem Land.
Beide haben festgestellt, dass ihre Reise sehr viel mit Vertrauen zu tun hat. Neben dem Vertrauen in sich selbst, ist das Vertrauen wichtig, das man anderen Menschen entgegenbringt. „Dann gibt es offene Arme auf der ganzen Welt“, sagt Sina. Niels ergänzt: „Es geht um die Botschaft der Nächstenliebe. Und darum, Vorurteile beiseitezulegen. Eine Lichtbotschaft in dunkler Zeit.“
Verständigung ist nicht immer einfach
Fühlen sie sich in fremden Ländern immer sicher? Beide antworten ganz deutlich: „Wir wären nie gestartet, wenn wir uns von Angst hätten leiten lassen.“ Sina hat sich zu Beginn noch Sorgen gemacht, wo sie schlafen werden. Doch schon nach kurzer Zeit habe sich gezeigt, dass sich immer ein Weg findet. Oft machen sie Couch-Surfing. Die Verständigung ist hingegen nicht immer einfach, auch wenn Niels vor der Einreise in ein neues Land die wichtigsten Worte und Sätze lernt.
Im Notfall kommunizieren sie mit Händen und Füßen. Oder mit Musik, denn eine Gitarre begleitet sie auf ihrer Reise. Auch das Trampen klappt sehr gut. „Die längste Wartezeit betrug anderthalb Stunden“, erzählt Niels. Sehr oft würde sie nicht länger als zehn Minuten für einen „Lift“, eine Mitnahme, benötigen. In den zwei Jahren sind sie bei 472 Menschen eingestiegen. Nur drei Mal haben sie abgewunken, weil entweder wirklich zu wenig Platz war oder sie ein „komisches Bauchgefühl“ überkam.
Keine negativen Erfahrungen
Gab es denn bisher negative Erfahrungen? Beide schütteln mit dem Kopf. „Wir glauben, dass es keine negativen Erfahrungen gibt“, sagt Sina. „Wir ziehen immer Positives aus dem Erlebten“, sagt auch Niels. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein, aber in den Videos der Travelowls kann man sich davon ein Bild machen, wie offen und freundlich sie den Menschen und die ihnen begegnen. Bisher wurde ihr Vertrauen nur ein einziges Mal auf die Probe gestellt: Im Iran wurde ihnen Bargeld und die Pässe gestohlen, die sie für die Einreise nach Pakistan benötigten. Sie erstellten eine Instagram-Story, in der sie betrübt von dem Diebstahl erzählten.
Einen Tag später staunten sie nicht schlecht, als sie von Fremden auf der Straße angesprochen wurden. „Die Menschen im Iran sind sehr stolz auf ihr Land“, sagt Niels. Das Posting war so oft geteilt worden, dass bald jeder Bescheid wusste. Man lud sie ein, half ihnen aus und nach drei Tagen wurden sogar die Pässe vom Dieb zurückgegeben.
Lieder beschreiben die Reise
Geschichten haben sie unendlich viele zu erzählen: Vom Steckenbleiben auf dem Karakorum-Highway, von spontanen Einladungen oder geschenkten Motorrädern. Einige der Geschichten finden in die Songs, die Niels unterwegs schreibt. In Vietnam haben sie auch schon Studioaufnahmen gemacht. „Unser Traum wäre, ein Album herauszubringen mit unseren Liedern über die Reise“, sagt Niels.
Gerade haben sie Urlaub vom Reisen gemacht und Familie und Freunde in Deutschland besucht. Ab dem 1. Januar wollten die beiden wieder zurück nach Kuala Lumpur, von wo aus sie weiter trampen wollen. Wie lange? Das ist ungewiss. „Vielleicht reisen wir noch sieben, vielleicht noch zehn Jahre“, meint Sina.