Frau Vogel, wie wird man Dekanin und was ist Ihre Aufgabe?
Man wird vom Landesbischof vorgeschlagen und von der Bezirkssynode gewählt und ist Dienstvorgesetzte für alle hauptamtlich Mitarbeitenden im Kirchenbezirk. Als Dekanin führe ich mit anderen zusammen Visitationen durch, begleite und unterstützte die Gemeinden, verabschiede Mitarbeitende, führe neue ein und leite zusammen mit dem Bezirkskirchenrat den Bezirk. Als „zweites Standbein“ bin ich mit 50 Prozent Gemeindepfarrerin der Gemeinde Waldshut.
Die Corona-Schutzmaßnahmen prägen derzeit auch das kirchliche Leben – halten Sie die Beschränkungen für richtig?
Mitte März war der letzte „normale“ Gottesdienst in der Waldshuter Versöhnungskirche. Dass danach ein Verbot ausgesprochen wurde, halte ich für absolut richtig, weil der Schutz und die Rücksicht auf andere der in dieser Zeit gebotene Ausdruck von Nächstenliebe ist.
Was hat sich in den vergangenen Wochen für Sie geändert?
Uns alle hat diese Situation unvorbereitet getroffen, wir mussten sorgfältig überlegen, wie wir damit umgehen. Dazu bedurfte es vieler Gespräche im Kollegen- und Kolleginnenkreis. Danach hatte ich zunächst weniger zu tun. Feste Termine fanden nicht statt, so zum Beispiel auch die geplante Bezirksvisitation, bei der uns der Landesbischof mit einer Kommission besuchen wollte, aber auch viele andere Aktivitäten mussten gestrichen werden: Es gab keinen Konfirmandenunterricht und keine Konfirmation (die wird im September nachgeholt), geplante Gottesdienste, Bibelwochen, Ältestentage, die Bezirkssynode, Vorhaben im Bereich der Kirchenmusik, Studienreisen, Freizeiten und vieles mehr konnten und können erst einmal nicht stattfinden.
Sie sagten, Sie hatten zunächst weniger zu tun – dann kamen neue Aufgaben?
Ja, wir haben Alternativen gesucht und gefunden, speziell für die Gottesdienste. Da haben viele Kollegen und Kolleginnen sich sehr kreativ per YouTube und online auf den Weg gemacht. Andere haben Andachten in schriftlicher Form oder auf CD verteilt, Sitzungen wurden per Skype durchgeführt. Wir haben in dieser Zeit auch oft telefoniert und Gemeindeglieder angerufen, die viel allein waren. Diese „Ersatzangebote“ wurden sehr gut angenommen, aber wir sind uns einig, dass das reale Zusammenkommen nicht ersetzt werden kann. Kirche lebt von Gottes Wort und Sakrament. Das ist das Wichtigste. Aber die Gemeinschaft und die Kommunikation sind auch wichtig.
Wie war es für Sie, als am 9./10. Mai wieder erste Gottesdienste unter Auflagen gefeiert werden durften? Wie haben sie die Kirchgänger erlebt?
Wieder einen Gottesdienst mit den Gläubigen feiern zu können, war bei mir mit einem großen Gefühl der Freude und der Dankbarkeit verbunden. Die Resonanz auf den ersten Gottesdienst in der Versöhnungskirche war sehr gut und viele waren berührt. Was uns natürlich allen fehlt, ist das Singen. Aber unser Kantor Herr Flierl bemüht sich immer, zusammen mit verschiedenen Musikern die Gottesdienste auch musikalisch festlich zu gestalten. Als die von Herrn Flierl engagierte Sängerin, Eva-Maria Hofheinz, anstelle der Gemeinde das Lob Gottes gesungen hat, hatte manch einer Tränen in den Augen. Gefehlt hat uns natürlich auch die Feier des Abendmahls. Deshalb freuen wir uns umso mehr, wenn es wieder möglich sein wird.
Kurz waren die Gottesdienste auch.
Ja, es ist gewöhnungsbedürftig, dass sie derzeit nur eine halbe Stunde dauern sollen. Was manche vielleicht sogar gerade wohltuend finden, ist für uns, die wir Gottes Wort auslegen, doch eine Herausforderung. Weil wir hier gerade beim Kaffee sind: Manchmal habe ich das Gefühl, dass bei der Kürze der Gottesdienste Gottes Wort wie Kaffeepulver mit dem Teelöffel gegessen wird. Der richtige „Aufguss“ fehlt, der Gottes Wort ins Leben und in den Alltag holt. Aber andererseits tut uns so eine Disziplin auch gerade mal gut. Wir Pfarrer reden oft sowieso zu viel.
Wie gingen und gehen Kirchgänger mit den Einschränkungen um?
Nach meiner Einschätzung waren die allermeisten sehr vernünftig, haben es eingesehen und halten sich tapfer an die Regeln. Ich habe in diesem Zusammenhang kein Verständnis für das Argument, die Religionsfreiheit würde eingeschränkt. Wer das behauptet, weiß nicht, unter was für Bedingungen Christen in manchen Ländern dieser Erde leben, wie sie für ihren Glauben verfolgt und gequält werden. DAS ist Einschränkung der Religionsfreiheit! Bei uns werden von öffentlicher Seite Fernsehgottesdienste angeboten, die Presse ermöglichte uns in dieser Zeit wöchentlich ein geistliches Wort wer da jammert, tut es auf hohem Niveau! Die treuen Kirchgänger haben dieses Problem viel weniger. Am meisten jammern und protestieren die, die man in „normalen“ Zeiten sowieso eher nicht in den Gottesdiensten sieht.
Sie halten die Auflagen für die Gottesdienste für angemessen?
Ja, denn sie dienen der Sicherheit und dem Wohlbefinden der Schwächeren. Und der Aufwand war nur beim ersten Mal groß. Danach hat es sich gut eingespielt.
Trifft die aktuelle Situation die Kirchen auch finanziell?
Ja, natürlich. Die Kirchensteuermittel werden sinken und wir werden schauen müssen, welche Angebote es auch in Zukunft noch geben kann. Wir sind sehr bemüht, als „Arbeitgeber Kirche“ vor allem die Arbeitsplätze zu sichern. Was sonst auf uns zukommt, lässt sich noch nicht wirklich sagen.
Was, glauben Sie, hat die Corona-Krise bislang mit den Menschen gemacht?
Darüber denke ich oft nach. Zum einen denke ich, wir merken, dass das, was wir für sicher hielten, gar nicht so sicher ist. Und wir merken hoffentlich auch, wie gut es uns in unserem Land noch immer geht: Wasser kommt aus der Leitung, Strom aus der Steckdose, der Müll wird abgeholt. Es gibt bei aller Härte für manche, um die ich natürlich auch weiß und die ich keinesfalls verharmlosen möchte, doch allgemein eine gute Absicherung, wenn man es mit anderen Ländern dieser Erde vergleicht. Und mir fällt auch auf: Menschen brauchen für alles eine Begründung. Und wenn es keinen Grund für etwas gibt, muss man ihn konstruieren. Nur so lassen sich meiner Meinung nach die skurrilen Verschwörungstheorien erklären.
Gibt es in Ihren Augen auch positive Dinge, die wir aus der Krise ziehen können?
Es wäre schön, wenn diese Krise uns dankbarer machen würde. Wir haben in diesen Wochen an das Kriegsende vor 75 Jahren gedacht, an die Befreiung der Menschen aus den KZs, auch an die vielen, die damals dem Krieg zum Opfer fielen und auf der Flucht waren. Der Krieg dauerte sechs Jahre. Sechs JAHRE! Mit welchem Leid, mit welcher Angst und Bedrohung, mit welchem Schmerz, mit wie viel Toten! Und wir jammern über ein paar Wochen dauernde Einschränkungen in Friedenszeiten! Wenn ich höre, jemand sagt, weil er nicht in seinen Schrebergarten darf, das sei jetzt „wie im Krieg“, dann gehört er vermutlich wie ich auch zu denen, die Gott sei Dank keinen Krieg erleben mussten. Dankbarkeit, auch ein Stück Bescheidenheit, nicht nur immer eine Maximierung von allem, das wäre eine sehr schöne Folge. Wobei ich viele Menschen treffe, die durchaus sehr dankbar sind.
In welchen evangelischen Kirchen im Dekanat Hochrhein werden an Pfingsten Gottesdienste gefeiert?
Die Kirchengemeinderäte der einzelnen Gemeinden entscheiden das selbstständig. Unsere evangelischen Kirchen hier am Hochrhein sind oft klein, so dass nur ganz wenige Plätze zur Verfügung stünden, wenn man die Abstandsregel einhalten will. Deswegen haben sich manche dafür entschieden, beim Online-Angebot zu bleiben. Eine Übersicht über alle Angebote im Bezirk gibt es auf der Homepage (www.evangelisch-am-hochrhein.de).
Wann, glauben Sie, werden wieder Gottesdienste ohne jede Auflage gefeiert?
Gott hat mir manche Gabe gegeben. Die der Prophetie ist nicht darunter.