Knapp 50 Menschen treffen sich bei Regen am späten Nachmittag an der Ecke Schotten-/Wallgutstraße. Sie sind der Einladung der CDU-Fraktion gefolgt, denn das Thema brennt ihnen unter den Nägeln. Sie haben Zukunftsängste, seit sie von der Online-Bürgerbefragung zum Handlungsprogramm Fußverkehr gehört haben.
260 Straßen, respektive Straßenabschnitte, wurden dort angegeben, wo die Gehwege verbreitert werden sollten. Vor den Konsequenzen, die allerdings nicht aufgezeigt wurden, haben sie Angst; Angst vor dem Wegfall von Anwohnerparkplätzen.
„Der Gemeinderat hat das Handlungsprogramm Fußverkehr beschlossen“, erläutert der CDU-Fraktionsvorsitzende Roger Tscheulin. „Der SÜDKURIER hat rechtzeitig den Finger in die Wunde gelegt. Bevor etwas umgesetzt wird, wird es dem Rat vorgelegt.“
Ganz bewusst hatte die CDU den Treffpunkt gewählt, denn die Verwaltung hat auf ihrer Online-Karte fast die komplette Schottenstraße markiert. Vorgesehen: „Die Gehwege von 1,40 auf 2,70 Meter zu verbreitern.“ Christian von Mulert, der in der Brauneggerstraße wohnt, hat ein Maßband dabei und kommt auf die Konsequenz zu sprechen: Wenn die Maßnahme umgesetzt werde, dann „fehlen 80 Parkplätze“.

Doch Parkplätze sind in diesem Stadtteil ein rares Gut
„Die Parkplätze im Paradies sind ein rares Gut. Das wissen wir“, meint Tscheulin. „Der Gemeinderat hat den Grundsatzbeschluss gefasst: Es fallen keine Parkplätze weg. Sie werden allenfalls verlegt.“ „Verschiebebahnhof!“, ruft eine Bürgerin. Die wenigsten schenken diesem Grundsatzbeschluss Glauben. Zumal immer wieder von einer autofreien Innenstadt die Rede sei. „Es ist utopisch, dass es ohne Auto geht“, sagt David Segbergs, zumal sich die Antriebsarten änderten. Er regte an, Anwohnern die Möglichkeit zu einem Parkplatz vor dem Haus zu gegeben; dann könne jeder selbst in E-Infrastruktur investieren.
Silvia Jungmann aus Egg wundert sich, wie man überhaupt auf die Idee kommt, Gehwege auf 2,70 Meter verbreitern zu wollen. „Sie sind ausreichend“, findet sie. Das bestätigen viele Anwohner der Schottenstraße, darunter Anna-Lena Frick, Mutter dreier Kinder. Ihr Nachwuchs könne auf dem Gehweg spielen. Auch der Schulweg zur Wallgutschule sei mit Kindern und Kinderwagen kein Problem. „Es reicht so wie es ist“, stellt Frick fest.
Problem ist nicht die Breite, sondern der Zustand
Weniger die Breite der Gehwege, vielmehr deren Zustand sei ein Problem. Eine Dame monierte das Flickwerk; gerade bei Dunkelheit sei es aufgrund der Stolperfallen gefährlich. Statt unnötiger Gehwegverbreiterungen solle die Stadt lieber die Aufenthaltsqualität am Weber- und Winterersteig, Schänzle oder Stadtgarten steigern, meint Silvia Jungmann. Was sie am Vorgehen der Stadt ärgert: „Hier wird gesagt, wo Leute sich aufhalten sollen.“
Das Vorgehen der Stadt ärgert viele, vor allem die sogenannte Online-Bürgerbefragung, die Peter Schuck, wohnhaft in der Altstadt und Arbeitsstätte im Paradies, als „digitales Desaster der Verwaltung“ bezeichnet, denn es handle sich am „ein Online-Tool ohne Sicherheitseinschränkung“. Jeder – nicht nur deutschlandweit – habe sich beteiligen und sogar mehrfach abstimmen können.
Augenwischerei statt Bürgerbeteiligung?
„Was ich an der Befragung schlecht fand: Es ging nicht um die Frage des Ob, sondern nur um die Reihenfolge. Für niemanden war es transparent, welche Konsequenzen daraus resultieren“, moniert auch Irene Heiland, Vorsitzende des Stadtseniorenrats. Das sei keine Bürgerbeteiligung, „ich halte das für Augenwischerei“. Der Stadtseniorenrat habe sich die Stadtteile angeschaut, ob Fußgänger gut und sicher unterwegs sein können, insbesondere was den Belag, aber auch Bordsteinabsenkungen anbelange, berichtet Heiland.
„Das Hauptproblem sind die Fahrräder, die an Häusern geparkt sind; mit Anhänger oder auch an Lastenrädern kommt keiner mehr vorbei“, stellt sie fest. „Unser Vorschlag war: Wie kann man die vorhandenen Flächen sinnvoll für alle möglichen Verkehrsteilnehmer aufteilen.“ Eine „stückleweises“ Vorgehen „ist nicht zielführend“, es brauche ein Gesamtkonzept, findet sie.

Von Autofahrern würde erwartet, dass sie weitere Wege bis zu ihrem Auto in Kauf nehmen, so CDU-Gemeinderat Marcus Nabholz aus der Hussenstraße. „Warum kann man das von Radfahrern nicht verlangen?“, wirft er in den Raum. „Sie könnten zum Beispiel auf der Laube parken und dann in die Altstadt laufen.“
Von undemokratischem Vorgehen ist die Rede
Thomas Sturm aus der Schottenstraße opponiert ebenfalls: „Ich bin Radler, Fußgänger und Autofahrer. Was mich stört: Man wird mit fertigen Lösungen konfrontiert. Die Stadt versucht mit dem Stemmeisen hintenrum Parkplätze abzuschaffen.“ Dabei seien viele – junge Familien, ältere Menschen, Handwerker – auf ein Auto angewiesen.
„Die Reihenfolge ist falsch. Man hätte eine Perspektive bieten müssen“, findet er. „Ich kenne nur Leute, die verärgert sind, weil die Stadt den Bürgern Sachen aufzwingt. Eine differenzierte, qualitative Befragung wäre erforderlich.“ Es sei ein „undemokratisches Vorgehen“ seitens der Stadt. Man hätte auf die Anwohner zugehen müssen.
Der Preis der Nachverdichtung
„Jede Lücke ist mit Wohnraum gefüllt“, stellt Noch-Gemeinderat und Schützensträßler Wolfgang Müller-Fehrenbach in Bezug auf die schon erfolgte Nachverdichtungsoffensive fest. „Und wir haben nicht mal die Hälfte der Parkplätze, die wir bräuchten.“
Wenn die Döbele-Bebauung erfolge, dann „wird es entsprechend noch bitterer“, prognostiziert er. „Die Leute brauchen zum Teil ein Auto, ob man es ideologisch für toll hält oder nicht. Die Stadt sollte linksrheinisch auch noch lebenswert sein.“

Roland Wallisch aus der Talgartentstraße findet, Vermieter sollten nur noch an Leute vermieten, die kein Auto hätten. Mit dem Verzicht auf Wohnmobile könne seiner Ansicht nach Platz gewonnen werden. Auch Parkgebühren, die sich nach Fahrzeuggröße bemesse, regte er an.