Winfried Hermann wünscht Konstanz Mut und Durchhaltevermögen. Der Verkehrsminister von Baden-Württemberg ist per Internet zugeschaltet. Beides wird die Stadt für ihr ehrgeiziges Ziel brauchen. Bis 2035 will sie weitgehend klimaneutral sein, bis dahin also auch die Mobilitätswende geschafft haben. Bis in anderthalb Jahren soll es einen Plan geben, wie Konstanz auf diesem Feld besonders viele Treibhausgase einsparen kann.
Aktuell lassen sich rund 20 Prozent der Treibhausgase in Konstanz auf den Verkehr zurückführen. Jetzt will die Stadt wissen, welche Maßnahmen nötig sind, um CO2 zu vermeiden. Bürger und Aktivisten verfolgen bei einer Veranstaltung die Vorstellung, wie der Plan erstellt werden soll, und beteiligen sich rege an einer Frage- und Antwortrunde. Klar wird: Mobilität soll bald auch ohne eigenes Auto bequem sein.
Prioritätenliste mit Maßnahmen zur Mobilität wird erstellt
Winfried Hermann bringt es auf den Punkt: Alle seien für den Klimaschutz, doch wenn es ernst werde, kämen viele Einwände. Das kennt auch der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt: Für den Klimaschutz gebe es einen großen Rückhalt. Nun gelte es einen Weg zu finden, der für die Jungen wie für die Alten gut ist.
Eines der Brennpunktthemen: Mobilität. „Wir brauchen einen Zeitplan, bis wann was umgesetzt sein muss“, fordert die Grünen-Stadträtin Anne Mühlhäußer. Sie bemängelt, dass man schon seit Jahren Pläne beschließe, ohne den Individualverkehr auszubremsen. „So ein Auto ist einfach ein geniales Instrument. So schnell. So bequem.“ Dies sagt kein Autofetischist, sondern der Professor für Verkehrsplanung Wilko Manz von der Inovaplan GmbH.
Er unterstützt die Stadt beim Erstellen des Mobilitätsplans. Dieser soll bestehende Pläne zur Mobilität und zur Smart City nicht ersetzen, sondern ergänzen, und der Stadt helfen, eine Prioritätenliste bei den Maßnahmen zu erstellen. Manz ist guter Dinge, dass auch Konstanz die Verkehrswende schafft, wenn es Alternativen gibt, und den Menschen klar wird, dass sie Qualität gewinnen.
Qualitätsgewinn oder doch nur „eine ganz schlechte Lösung“?
Harry Fuchs vom Stadtseniorenrat hat da seine Zweifel. Der öffentliche Nahverkehr stelle „eine ganz schlechte Lösung“ dar. Das Warten auf den Bus, und das Laufen zur Haltestelle und dann zur Wohnung seien aufwendig und unbequem, umso mehr, wenn es auch noch regnet.
Zur Verkehrswende sagt dann auch Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn: „Der Weg dahin ist steinig.“ Er ist sich sicher, es wird ein Qualitätsgewinn für die Stadt sein, wenn öffentliche Räume nicht mit Fahrzeugen zugestellt sind und sie wieder vielen Menschen zur Verfügung stehen.
Er und die Planer zeichnen die Strategie vor: Das Auto soll in Quartiersgaragen verschwinden, der Weg vom Auto zur Wohnung so weiter werden, gleichzeitig, soll es mehr alternative Angebote wie das Auto zum Teilen, mehr Bushaltestellen und Bestellbusse und bessere Bahnanbindungen geben, und das alles verknüpft. Irgendwann sollen die Bürger dann beim Abwägen der Kosten und der Bequemlichkeit feststellen, dass es praktischer ist, aufs eigene Auto zu verzichten.
Konstanz braucht Hilfe, um das Klimaschutzziel 2035 zu erreichen
Langensteiner-Schönborn stellt aber auch klar: Ohne die Hilfe von Bund und Land habe Konstanz keine Chance, sein Klimaschutzziel bis 2035 zu erreichen. Beim Bahnverkehr sei Konstanz ebenso auf überregionale Unterstützung angewiesen, wie bei Änderungen von Gesetzen, nach denen die Entscheidung über Tempo 30 in der gesamten Stadt den Kommunen in die Hand gelegt werden.
Was sich da derzeit abspiele, sei „ein Drama“. Es hätten schon 600 Städte unterschrieben, damit sie nach eigenem Ermessen Tempo 30 anordnen können. Er fragt: „Wann werden solche Dinosaurier wie die Straßenverkehrsordnung endlich umgebaut?“

Planerin Gisela Stete betont: Nur den klassischen Antrieb durch ein Modell durch einen elektronischen zu ersetzen, sei keine Verkehrswende. Der Verkehr mit Kraftfahrzeugen in Stadt und Land müsse sinken, nach einer Modellrechnung um mindestens ein Fünftel.
Das Ganze sei eingebettet in eine gesellschaftliche Veränderung, in der das Teilen wichtiger werde als das Besitzen. Sie führt vor Augen: Deutschland werde einer der größten Klimaverlierer von Europa sein, wenn sich nichts ändert. Dies bedeute: Trockenheit, absterbende Wälder, Überschwemmungen.
Autos sollen zukünftig in Quartiersgaragen abgestellt werden
Marion Klose, Leiterin des Amts für Stadtplanung und Umwelt, sagt: „Wir wollen die Mobilität nicht abschaffen.“ Doch Autos, die im engen Konstanz den öffentlichen Raum zustellen, seien eine schlechte Lösung. Dies sollte bei der Entwicklung von Quartieren berücksichtigt werden. Die Autos sollen in eine Quartiersgarage verschwinden, und Alternativen ausgebaut werden.
Mario Zech von der Stete Planung, die ebenfalls mit der Erstellung des Plans beschäftigt ist, betont: Aktuell sei der öffentliche Straßenraum oft 23 Stunden lang mit Autos belegt, die meist nur eine Stunde am Tag gefahren werden. Es wäre klüger, Straßenraum zurückzugewinnen und für den Ausbau der Fuß- und Radwege zu nutzen. Das Konzept Quartiersgarage nannte er gut.

Niklas Becker von der Klimabewegung Fridays for Future hat daran wiederum seine Zweifel. Er fragte, wie denn die Einsparung am Klimagas Kohlendioxid gelingen solle, wenn Parkraum in Parkgaragen und Parkhäuser verlegt werde. Auch der Bau der Gebäude verursache Treibhausgase. Verkehrsplaner Wilko Manz räumt ein, der Bau eines Parkhauses diene nicht dem Klima, könne aber Mehrwerte für die Innenstadt bringen.
Wie will die Stadt künftig mit Lieferdiensten umgehen? Dies fragte ein Vertreter der City-Logistik des SÜDKURIER. Das sei auch Thema des Mobilitätsplans mit Fokus auf das Klima, sagte Bürgermeister Langensteiner-Schönborn. Während der Veranstaltung meldeten sich ansonsten keine Vertreter von Unternehmen zu Wort.