Sie ist die Erste, die beim Narrenmarkt auf der Marktstätte spontan die Bühne stürmt und mitsingt. Im Freie-Blätz-Häs aus bunten Filz- und Stofffetzen, den orangenen Kamm auf dem Kopf, animiert sie Jahr für Jahr die Leit uff de Gas. Sie hat immer einen lustigen Spruch parat und für Sprüchle aufsagende Kinder einen Orden in der Tasche. Lachen, Feiern, Fröhlich-Sein – mit Ariane Biesinger, der Narrenpräsidentin der Freien Blätz, fällt das leicht.
Das strahlende Gesicht ihrer Zunft
Konstanz kennt sie als strahlendes Gesicht ihrer Zunft und als eine der wenigen Frauen in närrischen Machtpositionen. Doch wer ist die Konstanzerin eigentlich, wenn das Häs fällt? Als Inhaberin eines Friseursalons, als Mensch, als Frischverheiratete? Der SÜDKURIER besuchte sie in Radolfzell und sprach mit ihr über das Miteinander in Corona-Zeiten, hart beurteilte Frauen und Rücksichtslosigkeit bei der Fasnacht. Dabei fand Biesinger auch sehr nachdenkliche Worte.

Biesinger lebt mit ihrem Mann in Radolfzell, 2020 hat das Paar geheiratet. Fragt man die 57-Jährige, wie es ihr geht, erzählt sie von der Corona-Infektion, die sie vor einem Jahr hatte. Lange kämpfte sie mit den Folgen, war sogar in einer Reha-Einrichtung. Doch nun geht es bergauf: „Ich bin froh, endlich wieder mehrere Worte in einem Atemzug sagen zu können“, sagt sie. Gehen und sprechen klappe zwar immer noch nicht gleichzeitig, aber sie blicke positiv in die Zukunft. Nicht nur körperlich, auch beruflich und mental war die Pandemie für die Narrenpräsidentin sicher prägender als so manch anderen. Denn sie war dreifach betroffen: Als selbstständige Friseurin hatte sie mit den Vorgaben der Regierung, mit Lockdown und über 2-G-Regeln wütende Kunden zu kämpfen. Als Narrenpräsidentin tüftelte sie gemeinsam mit den anderen Vorständen und Vereinen Pläne aus, wie die Tradition Fasnacht trotz Virus gelebt werden kann. Und privat litt sie selbst unter der Erkrankung.
„Ja, ich muss sagen, es hat mich verändert“, sagt sie. „Zum Positiven: Corona war für mich die Chance mich selbst kennenzulernen, mein Umfeld, meine Familie, meine Freunde. Auch darüber nachzudenken, wie ich bis jetzt gelebt habe und in Zukunft leben will.“ Sie zitiert den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt: ‚In der Krise beweist sich der Charakter.‘ Manches an Charakter, das sie die vergangenen zwei Jahre gesehen hat, gefiel ihr sehr, zum Beispiel, dass die Kunden sich wieder mehr Zeit für den Friseurbesuch nehmen, es genießen.
Markstätte am Dunschtig: „Das sah grauenvoll aus“
Manch andere Charakter-Offenbarungen wiederum gefielen ihr gar nicht. Wie etwa Streit innerhalb der eigenen Familie zwischen extremen Impfgegnern und -befürwortern. Kunden, die wütend waren, weil sie ungeimpft nicht in Biesingers Salon in der Münzgasse durften. Und dann die Bilder von der Markstätte am Schmotzigen Dunschtig dieses Jahr. Massen von Menschen, dicht gedrängt. „Das sah grauenvoll aus“, erinnert sie sich. „Die hatten keinen Respekt, gegenseitig.“
Respekt – für Ariane Biesinger ein Wert, der ihr vor der Krise schon wichtig war und durch die Krise bestätigt wurde, sagt sie. Als positives Beispiel für Respekt und Anstand nennt sie die Narrenvereine und ihr Verhalten während der bisherigen Pandemie. „Über 80 Vereinigungen haben sich zusammengetan und gemeinsam mit der Stadt über Auflagen und Regelungen diskutiert. Heraus kam die Idee, zwar kleinere Umzüge oder Events durchzuführen, aber ohne aktive Aufrufe. Pop-up-Fasnacht – das hat super geklappt.“
Ohnehin ist sie kein Einzelkämpfer, sondern ein Gemeinschaftsmensch. Ihr Tipp, wie man 127 Narren und ein Friseurgeschäft führt, ist: „Dass man viele Menschen dabei hat, die einen unterstützen.“ Gerne denkt sie daran zurück, wie ihr kurz nach ihrer Wahl zur neuen Präsidentin der Freien Blätz 2008 die Konstanzer Fasnachtslegende Kurtle Köberlin auf die Schulter klopfte, ihr ein Visitenkärtchen überreichte und sagte: ‚Wenn etwas ist, kannst du mich immer anrufen.‘ „Das ist der Geist der Konstanzer Fasnacht: Ein Miteinander. Einfach schön“, schwärmt sie.
War es für Frauen schon immer so einfach? Nein, die mussten sich natürlich auch in der Konstanzer Narrenwelt ihren Platz erkämpfen, wie überall. Die erste weibliche Narrenpräsidentin überhaupt war Ariane Biesingers Tante, Margareta Steinert. Kein Wunder, dass die ihre Nichte schon früh mit in die Zunft der Freien Blätz nahm. Als Ariane Biesinger 20 Jahre alt war, durfte sie das Häs tragen.
Nur sechs Jahre später eröffnete sie ihren ersten eigenen Friseursalon. „Ich war damals eine von ganz wenigen Frauen, die auch tatsächlich Inhaberin waren“, so Biesinger. Die Welt habe sich seither für das weibliche Geschlecht rasant verändert. „Damals war es normal, dass Männer nur Männern die Haare schnitten“, erinnert sie sich. Noch heute käme so manch älterer Herr in ihren Salon, schaue suchend um sich und frage: ‚Hier ist ja gar kein Mann – schneidet ihr auch Männer?‘ Solche Begegnungen rühren die Konstanzerin. Auch, wenn sie sich die Zeit keineswegs zurückwünscht.
„Noch in den 60-er-Jahren mussten Frauen ihre Männer um Erlaubnis bitten, überhaupt zu arbeiten. Heute ist das unvorstellbar, zum Glück.“ Die Chefin von 127 Narren findet, dass in Sachen Gleichheit die Gesellschaft auf einem guten Weg sei. „Aber: Nicht nur die Gesellschaft, auch wir Frauen müssen uns ändern. Zum Beispiel müssen wir uns viel mehr trauen, zu sagen, was wir wirklich wollen.“
Dabei wäre die Lösung so einfach
Dazu gehört auch, zu sagen, was man nicht möchte. „Es gibt leider auch heute noch genügend Menschen, die einer Frau, die mit sagen wir 40 Jahren ohne Partner lebt, andichten, mit ihr stimme etwas nicht. Als wären sie weniger Wert.“ Sie habe da auch bei ihr im Geschäft so manch Satz gehört, der sie wütend machte.
Als sie 2020 ihren Mann heiratete, änderte sich das: „Ich werde seither tatsächlich von so manchem anders angesehen und behandelt. Das ist schade.“ Dabei wäre die Lösung so einfach: Ein bisschen mehr Respekt. Das gilt für Corona, das gilt für die Fasnacht und den privaten Lebensbereich einer jeden Frau.