Das Gebäude, das als steinerner Zeuge insbesondere der kirchengeschichtlichen Entwicklung von Konstanz gilt, stand seit geraumer Zeit leer, Anfang des Jahres wurde es über ein Immobilien-Portal für 2,9 Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Allein auf den Preis kam es bei dem Geschäft allerdings nicht an. Wie der Makler im Januar gegenüber dem SÜDKURIER ausführte, knüpften Bettina und Johannes Wolf als bisherige Eigentümer den Verkauf an die beabsichtigte künftige Nutzung.
Das ist auch im Sinne des Unternehmers und Investors Hauke Hansen: Der 53-jährige Konstanzer, der das Gebäude in seiner Funktion als Chef der Lakeside Immobilien GmbH gekauft hat, bezeichnet sein Engagement als „Herzensangelegenheit und nicht als Renditeobjekt“.
Um eine reine Liebhaberei handelt es sich dennoch nicht. Hauke Hansen und die beiden Mieter des Objekts sind sich bewusst, dass das Konzept einer künftigen Nutzung als flexibel nutzbarer Arbeitsraum (neudeutsch als Coworking-Space bezeichnet) einem steigenden Bedarf entspricht. Bei den beiden Mietern handelt es sich um Moritz Meidert und Dominik Gerspacher, beide ihrerseits Unternehmer und seit vielen Jahren mit Hauke Hansen partnerschaftlich verbunden.
Moritz Meidert ist Geschäftsführer eines Unternehmens mit dem Namen „Gründerschiff“, das sich auf die Konzeption und den Aufbau von Gründungs- und Innovationszentren im ländlichen Raum spezialisiert hat. Dominik Gerspacher leitet die Online-Marketing Agentur Media Lab und hat mit dem Aufbau von Coworking-Spaces bereits am Zähringer Platz in Konstanz Erfahrungen zu bieten.

Corona hat dabei die latent schon zuvor vorhandene Nachfrage nach Arbeitsplätzen befördert, die sich im Bereich zwischen herkömmlichen Büroarbeitsplatz und Homeoffice bewegen. In St. Johann soll nun auf der zur Verfügung stehenden Fläche von etwa 700 Quadratmetern ein Konzept umgesetzt werden, bei dem 60 bis 80 Büroarbeitsplätze flexibel anmietbar sein sollen – und das im Prinzip rund um die Uhr und an sieben Tagen die Woche.
Gegenüber herkömmlichen Büroarbeitsplätzen hat dies den Vorteil einer optimalen Nutzung. Gleichzeitig soll beispielsweise durch eine Begegnungszone, Besprechungsräume und eine gemeinschaftlich nutzbare Küche die Gefahr der Isolation minimiert werden, die beim Homeoffice droht.
Insbesondere in der Gründungsphase von Unternehmen oder bei der Entwicklung von Innovationen mit wirtschaftlichen Potenzial besteht Bedarf an solchen flexibel nutzbaren Büroflächen. Das Trio aus Investor und den beiden Mietern verweist dabei ausdrücklich auf die Bedeutung des sozialen und kommunikativen Faktors. „Man weiß inzwischen, dass die Gefahr des Scheiterns sehr hoch ist, wenn man im stillen Kämmerlein vor sich hinarbeitet“, sagt Hauke Hansen.
Das Miteinander und Nebeneinander der Büroflächennutzer und nicht zuletzt die zentrale Lage des Gebäudes in der Konstanzer Innenstadt sei ein Motivationsfaktor, der erfahrungsgemäß maßgeblich zum Erfolg bei der Umsetzung von Projekten oder Unternehmensideen beitrage.
Bürobedarf für Freiberufler und digitale Nomaden
Als Zielgruppen benennt Moritz Meidert Einzelkämpfer ebenso wie Gruppen bis zu 16 Personen aus dem Medien- und Werbebereich. Dominik Gerspacher sieht das Konzept als nächsten Schritt für die Tendenz zum dezentralen Arbeiten etwa für Freiberufler oder digitale Nomaden aus der Bodenseeregion. Durch den Umzug nach St. Johann finde beispielsweise das Netzwerk „Freelancer Bodensee“ mit mehr als 200 Personen ein Zentrum für ihre Arbeit und den persönlichen Austausch.
Ein weiterer Kick an dem Konzept liegt in der geplanten Nutzung des früheren Kirchenschiffs als Veranstaltungsort. Die Innenarchitektur soll so ausgerichtet sein, dass an Samstag- und Sonntagabenden Platz für Konzerte, Lesungen oder Kleinkunst mit bis zu 100 Besuchern geschaffen werden kann.
Mit einem Interessenten ist man nach Angaben der Betreiber des neuen St. Johann bereits handelseinig: Das Improtheater Konstanz möchte den Raum für seine Veranstaltungen nutzen. Als Raum für Kultur und gesellschaftliche Anlässe wird im Übrigen an die Idee der Vorbesitzer angeknüpft. Sie hatten St. Johann unter anderem für die SWR-Talk-Show von Gaby Hauptmann zur Verfügung gestellt.
„Neue Ideen in alten Steinen“
Für Hauke Hansen setzt sich seine Herzensangelegenheit aus mehreren Aspekten zusammen. Als Teil des Gründernetzwerks einer Kreativwirtschaft sieht er St. Johann als idealen Raum für „neue Ideen in alten Steinen“.
Nach Corona eröffne sich zudem ein Silberstreifen am Horizont für die wachsende Zahl von digitalen Nomaden mit der attraktiven Innenstadtlage von Konstanz, außerdem werde St. Johann im besten Fall als Kulturzentrum wiederentdeckt und nicht zuletzt bleibe das geschichtsträchtige Gebäude durch das neue Leben dem kollektiven Bewusstsein der Stadt erhalten.