Thomas Bissinger als Ferdinand Havlicek steht auf der Brücke und flirtet mit einer jungen Frau. „Sehr schön“, wirft Regisseurin Anne-Stine Peters während der Probe ein, fordert aber von dem Amateurschauspieler noch mehr. Ihr fehlt noch etwas mehr „Männlichkeit“ in dieser Passage und meint: „Kannst du mir das nochmal geben?“

Bissinger geht kurz in sich und gibt dann den charmanten Macho. Dies ist nur ein winziger Einblick in die Arbeit des neu gegründeten Stadtensembles am Theater Konstanz, bestehend aus ausgewählten Laienschauspielern. Die Profis vom Theater haben mit ihnen während der Corona-Zeit eine Produktion erarbeitet, die am Sonntag Uraufführung feiert: die Posse „Hin und her“ nach Ödön von Horvath.

„Bürgerbühnen gibt es in einigen Städten“, erzählt Doris Happl, Chefdramaturgin am Theater Konstanz. Mit dem Stadtensemble hat das Stadttheater im vergangenen Jahr das Pendant aus der Taufe gehoben, wobei Happl sofort anmerkt: „Es ist nicht nur ein Spielclub, wo sich Amateure ausprobieren können.“ Die Theaterprofis haben die Messlatte um einiges höher gelegt, die Laienschauspieler gefordert und gefördert und eine ernst zu nehmende Produktion erarbeitet, die nicht nur einmal aufgeführt wird, sondern im regulären Spielplan verankert ist.

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Etwa 70 Interessierte hatten an Workshops teilgenommen und letztlich 13 Talentierte im Alter von 15 bis über 70 Jahren ausgewählt. „Einfach super. Es sind so feine, großartige, entzückende, engagierte Menschen, die sich hineingeschmissen und extra Urlaub für die Proben genommen haben“, schwärmt Doris Happl. Hinzu kamen noch die erschwerten Bedingungen durch Corona, die kreativ gemeistert wurden.

Am Anfang gab es zunächst Video-Konferenzen. Anne-Stine Peters arbeitete mit den Stadtensemble-Mitgliedern am Stück, wobei die Amateure Textbausteine zulieferten, die die Regisseurin hineinwob. Selbstverständlich wurde der Text immer weiter verfeinert, geschliffen – und auch mal gekürzt. „Beim Streichen haben sie um ihre Sätze gekämpft“, schmunzelt Peters; das beste Beispiel für die Identifikation der Akteure.

„Nicht in Schubladen denken“

Anne-Stine Peters geht in der Arbeit mit Amateuren richtig auf, denn sie erweiterten den Horizont der Theaterschaffenden, findet sie. „Sie denken nicht in Schubladen, weil sie außerhalb des Theaters sind. Beruflich weißt du, was funktioniert und was nicht. Amateure sind noch experimentierfreudiger“, sagt sie.

Regisseurin Anne-Stine Peters (links) und Chef-Dramaturgin Doris Happl sind stolz auf die Leistung des Stadtensembles.
Regisseurin Anne-Stine Peters (links) und Chef-Dramaturgin Doris Happl sind stolz auf die Leistung des Stadtensembles. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Toll ist ihre Spielfreude. Sie haben eine andere Energie als ausgebildete Schauspieler. Sie schenken sich der Rolle, sind fast kindlicher, naiver, direkter.“ Doris Happl ergänzt: „Sie füllen die Rolle mit ihrem Leben und sind purer.“ Und noch etwas: „Ein Profi weiß, wie er sich schützen kann. Eine professionelle Distanz gibt es bei Amateuren nicht“, stellt Anne-Stine Peters, wohlwissend um ihre Verantwortung in Sachen Achtsamkeit, fest.

Die professionelle Arbeit auf Augenhöhe schätzen die Amateur-Schauspieler sehr. „Es ist sehr anspruchsvoll, aber dadurch lernen wir sehr viel, denn es sind alles professionelle Kräfte, die uns anleiten“, erzählt beispielsweise Antje Griessmayer. Lasse Hinrichsen, der Jüngste im Stadtensemble, kann ihr nur beipflichten.

Im Kidsclub des Theaters hat er zwar schon Bühnenerfahrungen gesammelt, aber das jetzt sei eine ganz andere Liga. „Es ist so neu, aber super spannend, mit so vielen unterschiedlichen Generationen zusammenzuarbeiten“, stellt der 15-Jährige fest und freut sich in Anbetracht seiner Jugend: „Man wird ernst genommen.“

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Auch Thomas Bissinger genießt die Teilhabe, denn: „Wann hat man schon die Möglichkeit eines so professionellen Rahmens? Das Theater nimmt sich unserer sehr an. Es macht voll Spaß, zu spielen“, schwärmt er. „Ich habe einen großen Respekt vor den Profis, die alles spielen können. Unter kompetenter Regie werden wir hier nach unseren Fähigkeiten gefördert“, schildert Bissinger. „Und dann noch die Arbeit mit den Subtexten“, gibt Dorothea Jüttner ein wichtiges Stichwort.

„Subtexte sind ein großes Thema für mich“, bekennt Anne-Stine Peters mit unverhohlener Freude. Die unterschwellige Botschaft, die in der Art und Weise des Sprechens Ausdruck findet, ist ihr wichtig. Sie gibt sofort ein Beispiel: „Hallo! Wie geht‘s? Das kann ich fröhlich oder genervt sagen.“

Ein anderes Beispiel: Ein Monolog über Depression könne sehr emotional gesprochen werden. Das wäre das zu Erwartende. Was aber passiert, wenn dieser Monolog wie ein Werbe-Spot daherkomme? Anne-Stine Peters findet es spannend, auch einmal das Gegenteil auszuprobieren. Im Kreis der Stadtensemble-Mitglieder fühlt sie sich wie ein Fisch im Wasser, denn alle sind offen, Neues und Ungewohntes auszuprobieren. Sie machen einfach mit und vertrauen der Regisseurin.

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Bis kurz vor der Uraufführung wird noch an der Produktion „Hin und her“ gefeilt. Um den Amateuren Sicherheit zu geben, bekamen sie allerlei Requisiten. „Jetzt wird reduziert. Wir nehmen ihnen alles weg, was sie nicht brauchen“, verrät Anne-Stine Peters, wobei im Subtext höchstes Vergnügen nicht zu überhören ist. Stolz schwingt überdies mit, denn sie weiß, dass die Amateur-Schauspieler nicht mehr auf diese Hilfsmittel angewiesen sein werden.

Brücke zwischen Staaten

Das Bühnenbild entwickelt sich auch noch weiter. Im Zentrum steht selbstverständlich eine Brücke. Sie ist ein zentrales Element, denn die Posse spielt auf einer Brücke zwischen zwei Staaten. Protagonist Ferdinand Havlicek wurde aus der Stadt, in der er lange gelebt hat, ausgewiesen. Zurück kann er nicht, wird aber auch nicht in das andere Land hineingelassen. „Keiner will ihn“, so Happl. Dann gibt es noch Zöllner, Liebes- und natürlich Schmugglergeschichten und vieles mehr.

„Ein schräger Sommernachtstraum dank Anne-Stine“, lächelt Doris Happl. „Ja, die Nacht ist für mich das Spannendste, da können wirre Sachen passieren“, so Peters. Und deshalb belässt es Bühnenbildner Christian Hofmann bei der Brücke nicht um einen bloßen Gegenstand: „Sie hat gewisse Funktionen und sie wird lebendig werden“, lässt er schon mal durchblicken. Und doch, so die Regisseurin: „Es steht und fällt mit den Spielern.“

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