Ioachim Zarculea (30). Bineta Hansen (23). Jonas Pätzold (38). Dominik Puhl (29). Karin Becker (51). Ambitionierte und etablierte Schauspielerinnen und Schauspieler am Stadttheater Konstanz. Karin Becker ist die Intendantin. Sie alle sind Teile eines Stammtisches der städtischen Einrichtung. Fünf Menschen, die nicht verstehen, dass sie etwas Besonders sein sollen. Etwas Besonderes, nur weil sie queer sind.

Die Diskussionen rund um das Spiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Mittwochabend hat auch sie beschäftigt. Die Absage des Europäischen Fußball-Verbandes Uefa an die Stadt München, die Arena gegen Ungarn in den Regenbogen-Farben erstrahlen zu lassen – auch als Protest gegen die homophobe Politik der ungarischen Regierung, ist auch in Konstanz Thema.
Dominik Puhl hat eine klare Meinung: „Die Vielfaltskampagne #equalgame der Uefa hatte sich bereits als scheinheilig entpuppt, als eine Untersuchung zu Manuel Neuers Regenbogen-Armbinde aufgenommen wurde. Nun hat sich eindeutig gezeigt, auf wessen Seite die Uefa steht: Die Beziehungen zu queerfeindlichen Machthabern scheinen wichtiger zu sein als Menschenrechte.“
Bineta Hansen pflichtet ihm bei: „Solange kritische Sponsoren aus kritischen Ländern die EM mitfinanzieren und dadurch Profit machen dürften, sind wir noch lange nicht am Ziel. Solange die Regenbogenflagge als ein politisches Statement gelesen wird, sind wir noch lange nicht am Ziel. Es ist erschreckend, dass sowas noch immer nicht als normal, sondern als politische Einstellung gilt. Regenbogenfarben diskriminieren niemanden, das ungarische Gesetz schon.“
„Eine klare Position und Aussage gegen Menschenrechte“
Dass über eine Regenbogenkapitänsbinde diskutiert werde, nicht über kritische Banner auf ungarischen Tribünen, nicht über Affenlaute gegenüber Spielern, „das alles ist keine neutrale unpolitische Haltung von der Uefa, sondern eine klare Position und Aussage gegen Menschenrechte“.
Jonas Pätzold ist bereits seit 2012 Teil des Konstanzer Ensembles und hat in zahlreichen Stücken mitgespielt. Die übrigen Gesprächspartner sind zusammen mit Karin Becker 2020 an den Bodensee gekommen. Jonas Pätzold erinnert sich an einen sonnigen Sonntag vor wenigen Wochen.
Er ging mit seinem Lebensgefährten im Freibad Hörnle Hand in Hand spazieren. „Die Leute haben sich nach uns umgedreht und geglotzt“, sagt er. Er sah geradezu, wie ihm das Stigma angeheftet wurde: ‚Ein schwules Paar, was laufen die hier auch einfach so herum und zeigen auch noch ganz offen, dass sie anders sind.‘
Karin Becker hat ähnliches erlebt. „Ich bin ja oft mit meiner Lebensgefährtin unterwegs“, erzählt sie. „Wir haben Menschen tuscheln hören: Gehen die echt Hand in Hand in der Öffentlichkeit?“ Einmal hat sie sich umgedreht und lächelnd gesagt: „Ja, wir sind ein lesbisches Paar.“
Dominik Puhl kann solche Blicke schnell einordnen. „Es gibt eine Vielzahl von Reaktionen, außer Empörung und irritierten Blicken kann auch ein wohlwollend gemeintes Lächeln ein Kommentar sein, auf den wir eigentlich lieber verzichten würden.“ Er träumt davon, irgendwann einmal nicht mehr aufzufallen, wenn er mit seinem Partner durch die Welt läuft. „Wir sind doch nicht besonders, nur weil wir queer sind.“

Karin Becker nickt zustimmend: „Ich würde mir wünschen, dass Homosexualität einfach normal ist“, sagt sie. „Aber ich glaube, wir werden das alle nicht mehr erleben.“ Bineta Hansen schüttelt sofort den Kopf: „Ich glaube daran“, sagt sie schnell. „Wenn wir keine Hoffnung hätten, wäre es doch noch trauriger.“ Ioachim Zarculea nickt zustimmend: „Ich bin sogar wahnsinnig hoffnungsvoll“, erklärt er. „Es wächst eine tolle junge Generation heran.“
Es entsteht eine angeregte Diskussion unter den Menschen des Queer-Stammtisches. „Ich glaube nicht, dass jemals so offen und ehrlich über das Thema diskutiert wurde“, vermutet Dominik Puhl. „Alleine die Tatsache, dass wir Hand in Hand durch die Stadt gehen mit unseren Partnern ist doch ein Fortschritt. Man stelle sich das vor 30 Jahren vor“, stimmt ihm Jonas Pätzold zu. „Vielleicht müssen wir in ein paar Jahren solche Interviews gar nicht mehr geben, weil das niemanden mehr interessiert.“

Karin Becker freut sich über diese Statements und Ansichten ihrer Mitarbeiter. „Dann übernehme ich gerne euren Optimismus“, sagt sie schließlich lächelnd. „Ich glaube ja auch, dass sehr viel passiert ist in den vergangenen 20, 30 Jahren. Aber es existieren nach wie vor viele Baustellen.“
400.000 Euro für die Männer, 37.000 für die Frauen
Sie nennt die schlechtere Bezahlung für Frauen als Beispiel für kaum vorhandene Gleichberechtigung – auch wenn das Stadttheater in diesem Bereich längst keinen Unterschied mehr macht. Doch beim Fußball, und nicht nur da, gibt es noch deutliche Unterschiede: „Wenn Deutschland Europameister wird, erhält jeder Spieler 400.000 Euro Prämie. Bei den Frauen wären es zuletzt 37.000 gewesen.“
Die Kirche und Homosexualität
Auch die Kirche und der Glaube ist ein Thema am Stammtisch. Ioachim Zarculea erlebte mit 14 Jahren eine Sinnkrise. „Ich habe überall nach Antworten gesucht“, erzählt er. „Beim Protestantismus, beim Buddhismus, beim Islam. Ich habe aber keine Ruhe gefunden.“
Jonas Pätzold ist nie in der Kirche eingetreten. „Ich bin im Osten geboren und aufgewachsen. Mein kommunistischer Großvater hielt nichts von der Kirche“, erklärt Jonas Pätzold. Er hat drei lesbische Schwestern, eine ist heute mit einer evangelischen Pfarrerin verpartnert. „Wir haben ihre Trauung als queere Geschwister in der Kirche gefeiert. Das war ein so schönes Erlebnis, das ich mir auch in einer katholischen Kirche wünschen würde.“
Dominik Puhl sieht sich persönlich nicht in der Institution Kirche, „denn hier habe ich das Gefühl, nur geduldet zu sein. Es ist doch knallharte Ausgrenzung von der Kirche, wenn man als queerer Mensch bangen muss, ob man überhaupt gesegnet werden darf“.

Karin Beckers ablehnende Haltung gegenüber der Institution Kirche hat zunächst einmal „nichts damit zu tun, dass ich Frauen liebe. Aber das ist ein Verein, der auf wertvollen Bildern und Kunstschätzen für Milliarden von Geldern sitzt. Wenn nur einiges davon verkauft werden würde, könnte man zum Beispiel die wachsende Kinderarmut verhindern“.
So aber dürfen „lediglich 115 alte Männer einen Teil diese Kunstwerke anschauen. Das ist pure Arroganz und Ignoranz und hat nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun“. Und noch einen Bereich spricht sie offen an: „Wenn ein Vater sein Kind misshandelt, kommt er zurecht ins Gefängnis. Doch wenn Kirchenmänner Kinder sexuell und körperlich missbrauchen, werden sie nur versetzt. Unglaublich.“