Die Ernüchterung ist auch in der Politik groß. Drei Jahre nach Ausrufung des Klimanotstands gibt es in Konstanz kein einziges großes neues Sonnenkraftwerk. Zwar haben Privatpersonen und Unternehmen in die Energiewende investiert, aber von einem großen Wurf ist noch nichts zu sehen. So kritisierten es viele Stadträte in der letzten Sitzung des Technischen und Umweltausschusses vor der Sommerpause, meist mit dem Tenor: Viele Ideen, wenig Umsetzung.
Trotzdem, das zeigte ein Gastbeitrag in der Sitzung deutlich, lohnt es sich, über ungewöhnliche Ideen nachzudenken. Nicole Conrad von der Hochschule Konstanz (HTWG) war zugeschaltet, und sie stellte Projekte vor, mit denen sich die Studierenden befasst hatten. Zwar drängen die Politiker eher auf konkrete Pläne, aber diese Ungeduld richtete sich eher an die Stadtverwaltung. Denn was der HTWG-Architekturnachwuchs sich überlegt hatte, lässt durchaus aufmerken.
Erschütternde Zahlen: Solarstrom spielt in Konstanz kaum eine Rolle
Es gibt viele Vorschläge, wie Konstanz viel mehr Strom aus der Sonne gewinnen könnte. Denn da ist viel Luft nach oben. Nach den neuesten verfügbaren Zahlen (sie beziehen sich auf 2018 und stammen aus dem Energienutzungsplan von damals) werden in Konstanz 278 Gigawattstunden Strom pro Jahr verbraucht – und nur 13 Gigawattstunden mit Sonnenkraft erzeigt. Das waren damals nur rund fünf Prozent! Selbst wenn dieser Anteil gestiegen ist, hält nicht nur die Fraktion des Jungen Forums (JFK) im Gemeinderat ihn noch viel zu gering.
Das Junge Forum hatte die Solar-Debatte mit ausgelöst, deshalb stellen wir den Vorschlag dieser Fraktion als ersten vor, gefolgt von einer Idee, die die Freien Wähler und der SPD in ähnlicher Form eingebracht wurde. Auch in den anderen Gruppierungen des Rats genießt das Thema Solar inzwischen hohe Aufmerksamkeit.
1. Idee: Ein schwimmendes Sonnenkraftwerk auf dem Bodensee
Hört sich verrückt an, gibt es aber schon: In Luxemburg ist eine so genannte Floating-PV-Anlage bereits auf einem künstlichen See. Laut den Experten vom Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg haben solche Anlagen durchaus Chancen. Sie nehmen kaum Platz für andere Nutzungen weg, und es gibt keine Probleme mit der Beschattung.
Auf der anderen Seite müssen alle Materialien natürlich gewässerverträglich sein. Und dafür müsste auch gar nicht der Konstanzer Trichter zugebaut werden: Das Junge Forum legt in einer Modellrechnung dar, dass ein schwimmender Sonnenpark von 450 mal 450 Metern Größe den Stromverbrauch in der Stadt decken könne.
2. Idee: Ein Solardach für Straßen, zum Beispiel für die B33 im Paradies
Die Überdachung von Straßen ist schon länger ein Thema, in Engen soll dazu sogar eine Versuchsanlage gebaut werden. In Konstanz wird in diesem Zusammenhang immer wieder die vierspurige Bundesstraße 33 genannt, die sich ohnehin schon zwischen Lärmschutzwänden durch das Paradies zieht. Dort würde ein Dach wenig stören.
Allerdings, räumt auch Expertin Nicole Conrad ein, ist das nicht ganz so einfach: Die Stützen müssen auch den Aufprall eines Lastwagens aushalten, und ein Rettungshubschrauber kann auf einer überdeckelten Straße auch nicht mehr landen. Im Fall der B33 kommt noch hinzu, dass auch der Bund für eine solche Anlage gewonnen werden müsste. Daher fordert die SPD, eher Straßen zu untersuchen, auf die die Stadt den alleinigen Zugriff hat. Konkrete Vorschläge hat sie dazu aber noch nicht vorgelegt.
3. Idee: Ein Schattendach für Plätze, das auch Strom erzeugt
Ob öder Supermarkt-Parkplatz oder Fußgängerzone mit Flaniermeile oder Markthalle: Die Überdachung von Plätzen ist keine neue Idee – auch in Konstanz nicht, wo Architekt Burghard von Sondern schon vor vielen Jahren vorschlug, aus der Marktststätte eine riesige Galerie zu machen. Parkplätze mit Solardach gibt es vor allem in Südeuropa schon vielfach, so heizen sich die Autos nicht so stark auf und können im besten Fall auch gleich noch geladen werden.
In Konstanz existiert so etwas noch nicht. Der städtische Großparkplatz am Bodenseeforum weicht bald einer Bebauung, aber es gibt auch noch weitere Flächen wie etwa bei der Fähre in Staad oder vielleicht sogar am Döbele. Und schließlich könnte auch der Stephansplatz neben Schatten aus Bäumen auch Schatten aus einem Solardach beziehen.

4. Idee: Solardächer statt Hagelschutznetze über Obstbäumen
Was schon länger als Agri-PV (also Photovoltaik auf Agrarflächen) diskutiert wird, hätte nach Aussagen von Heinrich Fuchs auch in Konstanz Chancen. Er muss es wissen, denn er ist selbst Obstbauer. Nicht in allen, aber doch einigen Fällen könne man die auch nicht gerade hübschen Hagelschutznutze über Apfel- oder Kirschbäumen durch ein leichtes Dach mit Solarzellen ersetzen.
Es gibt inzwischen Konstruktionen, die trotzdem genügend Licht für die Pflanzen untendrunter durchlassen, wie ein aktueller Versuch in Kressbronn im Bodenseekreis zeigt. Auch dieser Vorschlag zeichnet sich dadurch aus, dass er keinen zusätzlichen Platz benötigt. Und der ist in Konstanz ja bekanntlich sehr knapp.
5. Idee: Ein Solarpark auf belasteter Fläche als Kunstwerk
Sonnenfelder, auf denen statt Agrarpflanzen Solarzellen stehen und die Ernte aus Strom besteht, gibt es im Kreis Konstanz schon mehrere. Ob auf einer ehemaligen Deponie in Rickelshausen oder entlang der Bahnlinie bei Espasingen, die Anlagen sind allgegenwärtig geworden. Allerdings gibt es auch die Kritik, dass so kostbare Fläche für die Erzeugung von Nahrungsmitteln verloren geht – gerade dort, wo schön viel die Sonne scheint.
So rücken Gebiete in den Fokus, die für die Landwirtschaft nicht gut zu nutzen sind. Zum Beispiel am Bettenberg, wo bis heute militärische Munition den Boden belastet. Und ein solche Sonnenkraftwerk muss auch nicht mehr so trist aussehen wie die Anlagen aus der Anfangszeit, die HTWG-Studierenden haben farbige Solarzellen und ungewöhnliche Muster wie eine Art Labyrinth vorgeschlagen. Manches davon wäre allerdings wohl nur aus der Luft zu erkennen.

Zugabe: Ein Zaun findet endlich seinen Sinn
Aufmerken lässt ein weiterer Vorschlag aus der HTWG: An bestehende Zäune und Geländer einfach Solarzellen anzubauen. Diese müssen nämlich gar nicht unbedingt mehr im rechten Winkel zur Sonneneinstrahlung stehen. Leichte Solarzellen für das Balkongeländer gibt es schon.
Wäre das auch etwas für die hunderte Meter langen Geländer an der Schänzlebrücke samt der Fahrrad-Auffahr-Spindeln? Oder für den ziemlich massiven Zaun entlang der Straße von Dettingen nach Allensbach. Das finden Heinrich Fuchs zum Beispiel eine super Idee: „Dann hätte das Ding wenigstens einen Sinn!“