Zwei Tage nach Heiligabend schreibt Monika ihrem Sohn Fabian auf WhatsApp: Es war wirklich mega schön, dass Du da warst. Ich bin so mega stolz auf Dich wie Du das durchziehst und dein Leben rockst. Ich liebe dich über alles. Dazu sendet sie ein Herz-Emoji.
Fabian, 23, ist suchtkrank. Aber jetzt ist er clean, wohnt in einer betreuten WG und arbeitet mit Kindern. Der Job macht ihm Spaß, das sagt er seinen Eltern. Er antwortet: Ich liebe dich auch.
46 Tage später, erzählt Monika, klingeln zwei Polizisten und zwei Seelsorger bei ihr. Fabians Papa Karl steht an diesem Abend im Februar 2023 ein paar Dörfer weiter in seiner Abstellkammer am Fenster und zieht an einer selbstgedrehten Zigarette. So erinnert er sich. Er ist mit seinem Sohn zum Video-Chat verabredet. Als sein Handy klingelt und der Name seiner Ex-Frau auf dem Display aufploppt, wundert er sich: Ist Fabian bei Monika? Dann geht er ran. Und Monika sagt: „Unser Sohn ist tot.“
Das ist die Geschichte von Fabian, der mit 23 Jahren an einer Überdosis Opiaten stirbt. So zumindest sagen es die Polizisten Monika – auf einen toxikologischen Bericht warten Fabians Eltern bis heute. Und das ist die Geschichte von Monika und Karl, die ihrem Sohn im Kampf gegen die Sucht so sehr helfen wollten und ihn doch verloren haben.
Monika und Karl wohnen beide am Bodensee, auf ihren Wunsch haben wir ihre Namen und den Namen ihres Sohnes geändert.
Monika und Karl lernen sich als Teenies kennen. Sie verlieben sich, kommen zusammen, trennen sich, verlieben sich wieder. Monika will ein Kind, Karl nicht. Monika wird schwanger, Karl geht. Als Fabian auf die Welt kommt, sind sie selbst fast noch Kinder, auf der Suche nach sich selbst. Karl nimmt Drogen, um klarzukommen, Monika lernt eine Frau kennen. Karl sieht Fabian nicht mehr.
Als Fabian sechs Jahre alt ist, nimmt Monika Kontakt zu Karls Mutter auf, und die klingelt bei Karl durch. Sie sagt ihm, so erinnert er sich heute: „Monika kommt mit deinem Sohn. Magst du nicht auch kommen?“ Eine halbe Stunde später umschlingt ein kleiner Bub in blauer Latzhose und Schirmkäppi Karls Bein. Papa und Sohn sehen sich jetzt an den Wochenenden. Sie fischen, zelten, radeln, grillen, glotzen, hören Harry-Potter-Hörbücher, zocken auf der Playstation.
„Manchmal hast du das Gefühl, du gibst deinem Kind genau das mit in die Wiege, was du nicht willst.“Monika, Mutter
Unter der Woche ist er bei Mama und geht in die Schule. Das ist nicht einfach für Fabian. Er hat ADHS und Legasthenie, er ist tollpatschig, ein bisschen verpeilt und ein „Moppelchen“, wie Monika sagt. Wie sie selbst früher, kämpfte er immer mit seinem Gewicht, sagt Monika. „Manchmal hast du das Gefühl, du gibst deinem Kind genau das mit in die Wiege, was du nicht willst.“ Monika glaubt, dass Fabian wenig Selbstwertgefühl hatte. Seine Eltern sehen aber auch einen anderen Fabian. Sensibel, einfühlsam, ein Junge, der alten Damen im Supermarkt half, wie Karl sagt.
Kurz vor Fabians Hauptschulabschluss verliebt sich Monika, erzählt sie, aber die Beziehung vergiftet sie. Ihr geht es nicht gut, und sie ruft Karl an. Fabian zieht zu seinem Vater. Monika sagt, sie wollte Fabian schützen, sie wollte nicht, dass Fabian mitbekommt, wie es ihr geht. Später, als Fabian in der Klinik ist, sagt er ihr, dass er dachte, sie wolle ihn nicht bei sich haben. „Über eine Zeit hat er mit diesem Gedanken gelebt“, sagt Monika. „Ich habe Angst, dass diese Zeit mit Fabians Sucht zu tun hat.“
Karl ist strenger als Monika. Das sagen beide. Karl ist ein stämmiger Mann mit glatt rasierten Backen, Kinnbart und Kurzhaarschnitt. Monika ist nicht weich, aber Fabian gegenüber weicher. Als Fabian zu Karl zieht, erholt der sich gerade von einem schweren Bandscheibenvorfall. Einmal kommt Fabian abends nach Hause, sein Vater daddelt an der Playstation, Fabian setzt sich daneben, reißt eine Packung Kekse auf und guckt Karl beim Spielen zu. Schnaufend und mit roten Augen, so erinnert er sich an den Abend.
„Hast du gekifft?“, fragt Karl.
„Nur einen Zug!“, sagt Fabian.
„Du Depp, ab in dein Zimmer“, sagt Karl.
Heute lacht er, wenn er davon erzählt. Damals führen Vater und Sohn ein langes und ernstes Gespräch. Wann Fabian mit Alkohol trinken und Cannabis rauchen angefangen hat, wissen Monika und Karl nicht genau. Irgendwann mit 15 oder 16, aber Teenager würden oft Erfahrungen mit Bier und Gras machen. Karl kauft Urintests, denn mit der Kifferei soll erstmal Schluss sein. Einmal lässt er seinen Sohn daraufpinkeln. Negativ.
„Fabian war erfüllt von Selbstzweifel, er hatte wenig Selbstvertrauen und Angst zu versagen.“Karl, Vater
Fabian ist schlecht in der Schule, die Abschlussprüfungen stehen an, und Fabian hat keinen Plan, was für eine Ausbildung er machen will. Karl spricht „Tacheles“ mit seinem Sohn, wie er sagt. Sie lernen zusammen, sie suchen Praktikumsplätze zusammen und vier Monate später – da wohnt Fabian schon wieder bei seiner Mama – hat Fabian seinen Hauptschulabschluss und bekommt nicht eine, sondern sogar zwei Lehrstellen angeboten.
„Fabian war erfüllt von Selbstzweifel, er hatte wenig Selbstvertrauen und Angst zu versagen“, sagt sein Vater. Nach diesem Erfolg sei er glücklich und stolz gewesen. Auch die Ausbildung schafft Fabian, mit Nachdruck der Eltern. Er wird Maler – auch wenn die Eltern glauben, er sollte lieber „was Soziales“ machen. Sie sehen immer die weiche, sensible Seite von Fabian. Bei der Gesellenbrief-Übergabe trinkt Fabian noch während der Verleihung völlig selbstverständlich Dosenbier. Karl ist geschockt. „Das bist nicht du, mein Sohn“, denkt er.
So ähnlich spricht auch Monika von Fabian. Von Fabian, wenn er drauf ist. Dann sei er ganz anders gewesen, nicht mehr er selbst. Nicht mehr der sensible und einfühlsame Fabian, sondern rechthaberisch und überheblich. Fabian rutscht jetzt immer weiter ab. Welche Substanzen Fabian genommen hat, das wissen Monika und Karl nicht genau.
Einmal findet Monika Fabian völlig benebelt, fast bewusstlos im Bett – „Wie jemand, der gerade aufwacht, aber nicht wach wird“, sagt Monika. Sie wird panisch und ruft den Krankenwagen. Fabian hatte wohl synthetische Cannabinoide geraucht. Seinem Papa erzählt Fabian, das knocke ihn aus. Er komme zu sich und rauche das Zeug weiter. Man kann nur erahnen, was in einem jungen Mann vorgeht, der sich so wegschießen will. „Wann machst du so was? Wenn du die Welt so, wie sie ist, als nicht erträglich empfindest“, sagt Karl.
Ein anderes Mal fängt Monika ein Paket ab, darin sind sogenannte neue psychoaktive Substanzen. Man nennt sie auch Legal Highs oder Research Chemicals. Das sind synthetisch hergestellte Substanzen, die in ihrer chemischen Struktur und Wirkung illegalen Rauschmitteln ähneln, aber dadurch oft nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
Fabian bestellt online 3-MMC Crystal, Flunitrazepam, und AL-Lad. Es sind Verschnitte von Methamphetaminen, Benzodiazepinen und LSD. Aufputscher, Downer, Halluzinogene – Fabian scheint alles genommen zu haben, er guckt Videos über Drogen auf Netflix, Amazon, YouTube. „Stundenlang“, sagt Monika über diese Besessenheit. „Es war wie ein Hobby.“
Sie bittet und bettelt; sie sagt zu Fabian: “Überleg mal, was das mit mir macht?“ Sie droht ihm mit dem Rausschmiss, aber nimmt ihn dann doch wieder bei sich auf. Als Fabian das erste Mal LSD ausprobieren will, hat Monika solche Angst um ihn, dass sie auf ihn aufpasst, während er konsumiert, erzählt sie. Sie glaubt, er hätte es „eh gemacht“. Heute sagt sie: „Blöd, gell?“
Karl spricht viel mit seinem Sohn, geht mit Fabian auf den Friedhof, zeigt ihm Gräber von alten Freunden, die an Drogen gestorben sind. „Fabian dachte immer, er weiß es besser“, sagt Karl. Karl glaubt, dass es gut war, dass er selbst Erfahrungen mit Drogen gemacht hat. Oder hofft es. Denn auch er fragt sich: „Habe ich Schuld?“
„Du bist furchtbar hilflos. Du bist machtlos. Du kannst nichts machen.“Monika und Karl, Mutter und Vater
Was können Eltern schon machen, wenn ihr Sohn Drogen nehmen will? Sie müssen zusehen, wie Fabian immer weiter abrutscht. „Fabian war nur noch dicht“, sagt Monika. Karl erzählt, dass Fabian einmal nach Frankfurt gefahren sei. „Ich weiß, was man in Frankfurt macht“, sagt Karl seinem Sohn und meint: Heroin.
Immer wieder sagen Monika und Karl Sätze wie: „Du bist furchtbar hilflos“, „Du bist machtlos“ oder „Du kannst nichts machen“. Und dass Fabian es immer besser gewusst habe. Karl denkt an sich, seine Jugend und seine Erfahrungen. „Wir waren uns so ähnlich. Ich hatte gehofft, dass er, wie ich damals, eines Tages aufwacht und sich denkt: Das ist doch Kacke.“
Fabian will nicht aufhören, das sagt er seiner Mama auch. Trotzdem probiert er es. Warum? „Mir zuliebe“, glaubt Monika. Sie und Fabian haben eine „abartig enge Bindung.“ Sie haben sich zusammen ein Tattoo stechen lassen, das Hintergrundbild vom Handy ist der jeweils andere. Bei WhatsApp schreiben sie sich oft, dass sie sich lieben. „Seiner Mutter zuliebe“, glaubt auch Karl. „Und auch mir zuliebe.“
Das erste Mal fliegt Fabian aus dem Entzug, weil er konsumiert. Beim zweiten Mal zieht Fabian es durch. Mit seinem Papa trifft er sich davor noch einmal, sie trinken Wodka Bull. Gemütlich, zu zweit, quatschen. Karl sagt, dass Fabian so oder so getrunken hätte.
Dann macht Fabian eine Entgiftung und geht für fast neun Monate in eine Klinik. Monika bringt ihn hin – in der Klinik hat man nur sehr wenig Kontakt zur Außenwelt, Fabian schreibt seiner Mama eine letzte Nachricht. In den kommenden Wochen werden sie wenig Kontakt haben. Ich liebe dich. Ich wünsche dir eine schöne Zeit, schreibt sie und sendet dazu einen Kuss-Smiley.
Für Monika ist es eine Erleichterung. Sie denkt: „Gott sei Dank. Er ist dort gut aufgehoben.“ Und Karl hofft, dass sein Sohn beginnt, über sich und die Drogen nachzudenken. Die richtigen Prioritäten setzt. Und das macht Fabian auch, fasst nach und nach einen Plan. Vielleicht noch keinen Plan für sein ganzes Leben, aber zumindest mal für das nächste Jahr. Er will nach München ziehen, in eine betreute WG für suchtkranke junge Menschen, und er will ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machen. Mit Kindern arbeiten.
Neun Monate nachdem Monika ihren Sohn in die Klinik gebracht hat, holt sie ihn ab. Zusammen mit Monikas Partner fahren sie nach München, gehen in ein Möbelhaus, suchen Kommoden und Wäschetonnen aus, richten Fabians Zimmer ein. Was Mamas so machen, wenn der Sohn auszieht. Eine Woche später zieht Fabian fix nach München.
In München besucht er Vorbereitungsseminare für sein FSJ. Er fährt nach Hamburg, einen Freund aus der Klinik besuchen. Er will ein Fahrrad kaufen, um sich mehr zu bewegen. Er zockt an der Playstation. Ein ganz normaler 23-Jähriger. Im Oktober beginnt er sein FSJ in einer Kindertagesstätte. Aus der Ferne ist Monika immer dabei, auch wenn sie sich eigentlich weniger bei Fabian melden wollte. Ihm zeigen, dass sie ihm vertraut. „Ich bin so eine Glucke“, sagt Monika.
Die Mutter schreibt: Ich wünsche dir morgen einen super Start für dein FSJ. Lass uns doch morgen telefonieren dann kannst mir von Hamburg und deinem ersten Tag erzählen. Ich liebe dich.
Fabian antwortet: Ja machen wir Danke. Dazu sendet er einen Kuss-Smiley.
An Weihnachten kommt er nach Hause. „Das war das schönste Weihnachten meines Lebens“, sagt Monika. Sie hat das Gefühl, dass es Fabian gut geht, er ist wach, er ist da. Als er am zweiten Weihnachtsfeiertag bei seinem Papa ist, spielt Fabian mit seiner fünfjährigen Cousine. „Da konnte ich sehen, wie viel Freude ihm die Arbeit mit Kindern gemacht hat“, erinnert sich Karl. Die Bestätigung, glaubt er, tut Fabian gut. Fabian ist auf dem richtigen Weg. So scheint es.
Danach schreiben sie sich über Tage hinweg.
Monika: Hallo….alles okay? Bitte melde Dich, ich mach mir Sorgen.
Fabian: Alles gut KUSS :*
Monika: Sicher? Warum hast Du Dich so lang nicht gemeldet? Sei bitte ehrlich!
Fabian: Alles super hab nur geschlafen
Monika: Ich hab KEIN gutes Bauchgefühl, irgendwas ist. Hast du wieder was genommen?
An die Zeit nach Weihnachten erinnert sich Monika nur verschwommen. Was sie weiß: Fabian wird zweimal rückfällig. Am Telefon beichtet er ihr, dass er mit einem Flixbus nach Frankfurt gefahren ist, an den Bahnhof, um Heroin und Crystal Meth zu kaufen. Karl erzählt sie nichts von Fabians Rückfällen. „Es reicht, wenn sich einer Sorgen macht“, denkt sie.
Und Fabian sagt seiner Mutter, dass er an sich arbeitet. Dass er mit seinen Betreuern über den Rückfall spricht. Dass er daraus lernen möchte. Dass er eine Gruppen- und Einzeltherapie beginnt. Dass ihm die Arbeit Halt gibt. Dass er wieder Thai-Boxen machen will. Monika denkt: „Der Rückfall war scheiße. Aber es scheint ihm was gebracht zu haben.“
Fabian erzählt auch Karl von seinem Rückfall, aber nicht um, welche Substanzen es ging. Karl glaubt, sein Sohn habe gekifft. Dann meldet sich Fabian wieder kaum, reagiert nur komisch auf Monikas Nachrichten. Der zweite Rückfall innerhalb kürzester Zeit. „Aber er hat es wieder super verkauft. Blablabla“, sagt Monika. „Aber was soll ich machen? Von hier aus?“
„Ich dachte immer, dass ich es spüre, wenn etwas passiert.“Monika, Mutter
Einmal noch kommt Fabian nach Hause – eine Woche, bevor er stirbt. Monika ist fast froh, als er wieder geht. So anders ist er schon wieder. „Ich hatte das Gefühl, da sei eine Wand zwischen uns“, sagt Monika. Sie spricht Fabian nicht darauf an. Sie will nicht noch einmal angelogen werden. Vielleicht kann sie auch einfach nicht mehr. Danach haben sie kaum noch Kontakt.
Fabian stirbt in der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 2023 in seiner WG in München. „Ich dachte immer, dass ich es spüre, wenn was passiert“, sagt Monika. Aber Monika spürt nichts. Am 11. Februar findet eine Sozialarbeiterin ihn leblos im Bett, so wird es den Eltern erzählt. Und Monika ruft Karl an und sagt: „Unser Sohn ist tot.“
Wie geht man damit um, wenn das eigene Kind stirbt? Es gibt ein Lied, das Karl oft zitiert, das gar nicht so recht zu diesem Mann passen will: „Haltet die Welt an“, heißt es – ein, nun ja, kitschiges Lied von der Band Glashaus. Darin heißt es: „Es fehlt ein Stück vom Puzzle“ und „wie eine Kerze ohne Docht“. So fühlt sich Karl. Auch Monika sagt diesen Satz. Vielleicht hilft er, etwas in Worte zu fassen, das nicht in Worte gefasst werden kann. „Trauern kannst du nicht erklären“, sagt Monika.
Für Monika und Karl verschwimmt die Welt in den Tagen nach Fabians Tod. Das Bett, in dem Fabian stirbt, haben Monika, ihr Partner und Fabian zusammen aufgebaut, kurz vor seinem Umzug. „Wir hatten so viel Spaß dabei, auch wenn wir uns wie die Deppen angestellt haben“, sagt Monika. Sie schafft es nicht, nach München zu fahren und das Zimmer auszuräumen. „Ich wollte diese lachende Erinnerung nicht kaputt machen.“
Karl fährt, mit seiner Partnerin. Unter Fabians Matratze finden sie eine Nikolausmütze, darin sind, so erzählt Karl, eingeschweißte und sterile Fixerlöffel, Ascorbinsäure, Nadeln und Spritzen. Alles, was man für einen Herointrip braucht.
Wenn ein Mensch mutmaßlich an einer Überdosis stirbt, dann wird er obduziert. Karl war Notfallsanitäter, er weiß, was die Gerichtsmediziner mit der Leiche machen. Er hat seinen toten Sohn trotzdem besucht. „Gegen die Bilder kämpfe ich immer noch“, sagt Karl. Er wollte Fabian sehen und zu ihm sprechen. „Ich möchte daran glauben, dass er noch da war.“
„All das, was man noch sagen wollte, was man aufgeschoben hat, all das bleibt stehen – ohne Haken daran.“Karl, Vater
Für die Beerdigung soll Karls Schwiegervater eine Grabrede verfassen. Als Karl die Rede liest, beschließt er, selbst eine zu schreiben. Die Rede tragen Karl und Monika am Grab ihres Sohnes vor. „Ich dachte nicht, dass ich das schaffe. Ich dachte nicht, dass ich vor lauter Weinen reden kann“, sagt Monika. Aber sie schafft es.
„Als Fabian sich am 10. Februar in sein Bett gelegt hat, hätte er sicherlich nicht gedacht, dass er im Himmel wieder aufwacht. Wir auch nicht! Ich kann mir sein Gesicht vorstellen, in dem Moment, als er realisierte, dass da was nicht nach seinem Plan lief“, sagt Monika auf der Beerdigung, so steht es in der Rede.
Karl sagt: „All das, was man noch sagen wollte, was man aufgeschoben hat mit dem Gedanken: ‘Mach ich nächstes Mal, hab ja noch Zeit‘, die Reise nach Afrika mit Mama und Oma. All das bleibt stehen – ohne Haken daran.“
Dann wieder Monika: „Heute ist der Tag gekommen, an dem wir loslassen müssen. Der Tag, an dem du dein neues Apartment beziehst. Opa wohnt direkt nebenan, nur für den Fall, dass du mal jemanden zum Quatschen brauchst. Wir alle vermissen dich.“ Und Karl: „Das wird sich auch zukünftig nicht ändern, denn du, Fabian, warst einmalig.“
Dann fällt Karl in ein Loch. „Du wachst am nächsten Tag auf, und hast auf einmal nichts mehr zu tun.“ Auch Monika sagt: „Irgendwann gehört die ständige Sorge zu deinem Leben. Und jetzt ist alles weg.“. Was ist stattdessen da? „Leere.“ Monika und Karl besuchen zusammen eine Gruppe für trauernde Eltern. In der Gruppe, erzählen sie, gibt es noch drei andere Paare, die ihre Kinder an die Drogen verloren haben.
Warum sprechen sie, so kurz nach Fabians Tod, mit dem SÜDKURIER? Beide sagen, dass sie anderen betroffenen Eltern das Gefühl geben wollen, nicht alleine zu sein. Dass sie helfen wollen. Und zeigen wollen, dass suchtkranke Menschen nicht „schlecht“ oder „asozial“ sind. Sondern krank.
In ihrer Wohnung hat Monika einen kleinen Schrein für Fabian aufgebaut. Es sind Fotos, die Fabian auf einem FSJ-Seminar aufgenommen hat. Er sieht gut aus. Groß. Kräftig. Weißer Hoodie. Bart. Lachen. Man kann ihn sich gut vorstellen auf einem kleinen Stuhl inmitten von Kindern in einer Kita oder einem Hort. „Ich laufe 50 Mal an den Bildern vorbei und denke mir nichts“, erzählt sie. „Und beim 51. Mal breche ich in Tränen aus und denke: Das kann doch nicht sein, bist du jetzt wirklich weg?“
Chillen, Party, Sucht – die Serie
Dieser Text ist Teil von Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie auf SÜDKURIER Online: Wenn ein Familienmitglied suchtkrank ist, übt das eine große Macht über Angehörige aus. Eine Expertin erklärt, was Co-Abhängigkeit ist und wie Betroffene damit umgehen können.