Es geht Schlag auf Schlag in der Güttinger Straße 3/1: Mitte März herrschte auf der Fläche hinter dem Gebäude, in dem früher das städtische Bauamt war, noch Brachland. Nur eine Woche später steht hier eine auf den ersten Blick schon fast fertige Flüchtlingsunterkunft für 60 Personen. Und zwar in einer Bauform, die es in Radolfzell bislang noch nicht gibt: Eine Elementbauweise aus fertigen Holzteilen. Sie ist günstiger als reguläre Häuser, aber langlebiger als die schon übliche Modulbauweise mit Containern – sagen zumindest die Beteiligten bei einer Besichtigung der Baustelle mit dem SÜDKURIER.

Die Köpfe hinter dem Projekt: Nathanael Over, Geschäftsführer der Hoffnungsträger Projektentwickler GmbH, sowie Bauleiter Jakob Fischer ...
Die Köpfe hinter dem Projekt: Nathanael Over, Geschäftsführer der Hoffnungsträger Projektentwickler GmbH, sowie Bauleiter Jakob Fischer von der Firma Woodrocks. | Bild: Mario Wössner

Hinter dem Bau steckt die Hoffnungsträger Projektentwickler GmbH, deren hundertprozentiger Gesellschafter die gemeinnützige Stiftung Hoffnungsträger aus Leonberg. Sie kümmert sich um die Planung. Die Bauleitung liegt bei Jakob Fischer von der österreichischen Holzbau-Firma Woodrocks.

Arbeiten wie aus dem Modellbaukasten

Die Vorteile der Bauweise liegen laut Nathanael Over, Geschäftsführer bei der Hoffnungsträger Projektentwickler GmbH, auf der Hand: Das Material sei ökologisch, die serielle Bauweise erlaube zuverlässige Festpreise und eine schnelle Fertigstellung sowie eine einfache Umnutzung. Denn die Bauweise ist simpel gehalten: Anstatt eines Kellers oder tiefen Fundaments diene lediglich eine Bodenplatte aus Beton als Untergrund des Hauses. „Danach bauen wir in einzelnen Achsen und Türmen aus Holz weiter“, erklärt Over, während er durch die bereits stehenden Gebäudeteile führt.

Neben der Bodenplatte besteht nur noch das Treppenhaus aus Beton. Es wird als erstes hochgezogen.
Neben der Bodenplatte besteht nur noch das Treppenhaus aus Beton. Es wird als erstes hochgezogen. | Bild: Mario Wössner

Konkret heißt das: Als Erstes kommt das vorgefertigte Treppenhaus in die Mitte der Bodenplatte – laut Over das einzige weitere Teil aus Beton. Davon ausgehend entstehen dann nacheinander die einzelnen Gebäudeteile, Over nennt sie Türme, des Gebäudes von unten nach oben. Anders als beim üblichen Hausbau geht es also schnell in die Höhe, anstatt erst einmal eine Etage fertig zu machen. „Dadurch können wir einen Teil schneller gegen Regen schützen, was bei Holz wichtig ist“, erklärt Bauleiter Jakob Fischer. So ist beim Besichtigungstermin einer der drei Türme bereits bis unters Dach fertig, während vom dritten Teil nur eine Etage steht.

Die neue Flüchtlingsunterkunft in der Güttinger Straße.
Die neue Flüchtlingsunterkunft in der Güttinger Straße. | Bild: Mario Wössner

Um vor Ort so schnell bauen zu können, sei einiges an Vorbereitung nötig. Bereits zwei Monate vor Baubeginn treffen sich die verschiedenen beteiligten Firmen, sprechen sich ab und fertigen auf dieser Basis dann die fertigen Wand- und Deckenelemente aus Holz, erklärt Bauleiter Fischer. Vor Ort würden dann fertige Wände, Boden- und Deckenplatten angeliefert, die Handwerker nur noch miteinander verschrauben müssen. Die Teile enthielten bereits die Hohlräume für Kabel und Leitungen an den richtigen Stellen.

Bauen wie aus dem Modellbaukasten: Ein Kran setzt die vorgefertigten Teile aufeinander.
Bauen wie aus dem Modellbaukasten: Ein Kran setzt die vorgefertigten Teile aufeinander. | Bild: Nathanael Over

Auf der Baustelle sind daher aktuell alle Gewerke zeitgleich im Einsatz: Elektriker, Installateure, Zimmerer und Holzbauer tummeln sich in den engen Gängen. Während oben noch die Decken darauf kommen, legen unten bereits die Elektriker die Leitungen. Auch das ist anders als beim regulären Bau, bei dem die Gewerke nacheinander auf die Baustelle kommen. „Das wäre für uns aber nicht möglich. Wenn man mit fertigen Elementen baut, braucht es frühe Absprachen, in die alle eingebunden sind“, erklärt Over. Er spricht von einer „verschachtelten Bauweise“, Vorbild sei die Automobilindustrie.

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Fertige Bäder werden vom Kran eingesetzt

Die einzelnen Gebäudeteile seien weitgehend standardisiert, sodass die Zimmer immer drei Meter breit sind. Und in jedem Turm seien gleiche viele Zimmer enthalten. Je nach Bedarf könnten unterschiedlich viele solcher Achsen aneinander gebaut werden, zwischen vier und acht. In Radolfzell sind es acht Achsen mit drei Geschossen, sodass Platz für sechs Wohnungen für 60 Bewohner auf insgesamt 660 Quadratmetern Wohnfläche entsteht. Jeweils zwei Bewohner teilen sich später ein Zimmer. Vier bis fünf Zimmer nutzen jeweils zwei Bäder und eine Küche gemeinsam. Over spricht von „WG-Charakter“.

„WG-Charakter“: Mehrere Zimmer teilen sich Bad und Küche. Während weiter oben noch die Decken gebaut werden, sind hier unten ...
„WG-Charakter“: Mehrere Zimmer teilen sich Bad und Küche. Während weiter oben noch die Decken gebaut werden, sind hier unten bereits zum Teil Kabel verlegt. | Bild: Mario Wössner

Auch die Bäder kommen bereits fertig an – inklusive Waschbecken und Halterung für Klopapierrollen. Sie werden von einem Kran passgenau in die Badezimmer eingesetzt. Der Anschluss an Heizung, Elektrik und Wasserrohre dauert laut Fischer nur wenige Stunden. Um noch effektiver zu sein, werden in den Badezimmern weitere Materialien mitgeliefert, um den Platz zu nutzen. „Während bei der klassischen Modulbauweise mit fertigen Containern sehr viel Luft mitgeliefert wird, nutzen wir mit den Elementen jeden Stauraum aus“, erklärt Over die Vorteile.

Jeder Winkel wird ausgenutzt: In den fertigen Bädern werden bereits weitere Bauteile mitgeliefert.
Jeder Winkel wird ausgenutzt: In den fertigen Bädern werden bereits weitere Bauteile mitgeliefert. | Bild: Mario Wössner

Bezug ab Ende Juni möglich

Der weitere Zeitplan ist ähnlich straff wie die erste Bau-Woche: Bis Ende dieser Woche sind Fassade, Zimmer und Elektrik fertig, so Fischer. Ab April folge dann der Estrich, der einige Zeit trocknen müsse. „Danach kommen nur noch die Innenarbeiten, also das Verlegen der Böden und der Einbau der Küche“, berichtet der Bauleiter weiter. Ende Juni seien die Zimmer bezugsfertig.

Nach Fertigstellung bestehen sowohl die Deckenunterseiten als auch die Wände aus Holz. Auf die sogenannten OSB-Platten an den Wänden komme kein Putz. „Die sind pflegeleichter und robuster, was gerade bei Flüchtlingsunterkünften wichtig ist“, erklärt Over und klopft gegen eine der Platten.

So ähnlich sieht die Unterkunft am Ende aus: Der Entwurf eines anderen Gebäudes mit der gleichen Bauweise.
So ähnlich sieht die Unterkunft am Ende aus: Der Entwurf eines anderen Gebäudes mit der gleichen Bauweise. | Bild: andOFFICE

Generell sei Holz für diese Zwecke gut geeignet, da es Feuchtigkeit aufnehme und wieder abgebe. „Das reduziert die Schimmelprobleme, die es in vielen Unterkünften gibt“, sagt Over. Bei einem Auszug sei daher eine Komplettrenovierung für nur 10.000 Euro pro Wohnung möglich. Die Baukosten liegen laut Over bei etwa 3200 Euro pro Quadratmeter zuzüglich Baunebenkosten, etwa 300 bis 500 Euro weniger als im Hausbau aktuell üblich. Der gesamte Bau koste so nur 2,595 Millionen Euro.

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Zudem sei die Bauweise nachhaltig. Während klassische Container nur zehn Jahre halten würden, seien die Holzmodule auf 80 bis 100 Jahre ausgelegt. Sobald sie nicht mehr als Unterkünfte benötigt werden, könne die Stadt sie daher einfach umnutzen, verspricht Over. „Die Wände neben den Küchen können einfach entfernt werden, die sind nicht tragend“, erklärt er.

Aus zwei Wohngemeinschaften könnten so zwei Wohnungen mit mehreren Schlafzimmern und einer großen Wohnküche werden. „Und die Wandplatten kann man nachträglich noch weiß verputzen“, fügt Bauleiter Jakob Fischer hinzu. Da die Baukosten so niedrig sind, sei das Gebäude daher langfristig ideal für günstige Sozialwohnungen geeignet.